In virtuelle Welten ist man bisher primär visuellen und akustischen Reizen ausgesetzt. Paul Strohmeier (Universität des Saarlandes) hat ein Verfahren entwickelt, das zusätzlich haptische Sinneseindrücke einbezieht. Dieses könnte auch AR-Systemen neuartige Funktionalitäten verleihen.

Schließen Sie die Augen und denken Sie an einen Spaziergang im Wald: Sie spüren das weiche Moos unter den Füßen, merken, wie beim Auftreten morsche Äste und Zweige zerbrechen, fühlen die knorrige Rinde eines Baumes. Eindrücke wie diese werden über den Tastsinn wahrgenommen und blieben digitalen Welten daher bislang verwehrt.

Paul Strohmeier, Informatiker an der Universität des Saarlandes, hat nun ein neues Verfahren entwickelt, das derlei haptische Sinneseindrücke künstlich erzeugen kann. Damit werden Virtual Reality und die erweiterte Realität sozusagen begreifbar. Für seine Dissertation zu diesem Thema ist Strohmeier jetzt von der weltgrößten Fachkonferenz für Human-Computer-Interaction ausgezeichnet worden.

Wenn der Schuh vibriert

Mit seinem neuen Verfahren erzeugt der Saarbrücker Informatiker Paul Strohmeier echt wirkende haptische Sinneseindrücke. Das erreicht er, indem er Vibrationsimpulse im Millisekundenbereich in Frequenz und Intensität genau auf die Bewegungen einer Person abstimmt. Die Impulse werden dann nicht mehr als Vibration, sondern als Eigenschaft des Materials wahrgenommen, das man gerade berührt.

„Auf diese Weise kann man verschiedene Eindrücke des Tastsinns hervorrufen, beispielsweise eine Reibung oder das Gefühl für bestimmte Oberflächenstrukturen“, so Strohmeier. Auch Reize der Bewegungsempfindung, z.B. Gewicht oder Widerstand, werden über die Fingerspitzen wahrgenommen und können über das neue Verfahren künstlich erzeugt werden.

Strohmeier arbeitet gemeinsam mit Studierenden der Universität des Saarlandes derzeit an Schuhen, in denen diese Technik verbaut ist. Sie könnten unter anderem in der virtuellen Realität (VR) eingesetzt werden, wo man bisher primär visuellen Reizen und Höreindrücken ausgesetzt ist.

„Mit den Schuhen wird es möglich sein, auch den Tastsinn oder die Bewegungsempfindung anzusprechen. Ginge man damit zum Beispiel einen Kiesweg entlang, könnte man den steinigen Bodenbelag unter den Füßen spüren. Das vereinfacht das Eintauchen in virtuelle Welten“, so Strohmeier.

Dinge außerhalb des Wahrnehmungshorizonts erfahrbar machen

Die Einsatzmöglichkeiten gehen aber noch weiter, zum Beispiel in der erweiterten Realität (Augmented Reality): so könnten auch Dinge, die bisher außerhalb des Wahrnehmungshorizontes eines Menschen lagen, als haptischer Sinneseindruck erfahrbar gemacht werden. Würde man die Technik an Sensoren koppeln, könnte der Nutzer beispielsweise einen Widerstand spüren, wenn er sich einem giftigen, aber geruchlosen Gas nähert.

Die Grundlagenforschung für seine neue Entwicklung leistete Strohmeier mit seiner Doktorarbeit unter dem Titel „Shaping Material Experiences: Designing Vibrotactile Feedback for Active Perception“. Diese wurde vor kurzem mit dem „Outstanding Dissertation Award“ der „Special Interest Group on Computer Human Interaction (SIGCHI)“ ausgezeichnet.

Interessante Perspektiven für Human-Computer-Interaction

Der Preis gilt als eine der renommiertesten Auszeichnungen für Doktorarbeiten des Forschungsfeldes und sollte auf der größten HCI-Fachkonferenz der Welt verliehen werden, der „ACM Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI)“, die in diesem Jahr jedoch aufgrund der Corona-Krise ausfallen musste. Laut der Jury wird die Forschungsarbeit die Möglichkeiten verbessern, wie haptische Reize künftig im Bereich der Human-Computer-Interaction eingesetzt werden. Seine Dissertation hat Strohmeier an der University of Copenhagen in Dänemark verfasst.

Seit Juli 2019 forscht Strohmeier als Postdoctoral Researcher in Professor Jürgen Steimles Forschungsgruppe zur Human-Computer-Interaction am Saarland Informatics Campus. Die internationale Bekanntheit der Gruppe und das Forschungsumfeld an der Universität des Saarlandes waren die Gründe für den Wechsel von Kopenhagen nach Saarbrücken.

Autor: Jürgen Schreier

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