Künftig sollen sich Krankheiten nicht nur mit Pillen, sondern mit Elektronik behandeln lassen. Forscher wollen mit Mikroimplantaten Nervenzellen gezielt elektrisch stimulieren. Dann ließen sich chronische Leiden wie Asthma behandeln.
Forscher des Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM arbeiten an Mikroimplantaten, die beispielsweise bei Harninkontinenz helfen können. Bisher mussten Patienten auf spezielle Schrittmacher oder Medikamente zurückgreifen oder ein operativer Eingriff war notwendig. Mit elektronischen Implantaten lassen sich unterbrochene Signale auslösen, unerwünschte Signale wiederum blockieren oder es können sogar Signale zu anderen Stellen im Körper überbrückt werden.
Kann ein Patient aufgrund der Harninkontinenz seine Blase nicht mehr kontrollieren, so kann das bioelektronisches Implantat jederzeit das Blasenvolumen messen und eine Meldung senden, wann eine Person auf die Toilette gehen sollte. Darüber hinaus könnte es ungewolltes Entleeren der Blase durch Hochfrequenzstimulation des betreffenden Nervs stoppen.
Daten aus dem Körper senden
Damit das möglich wird, arbeitet das Team um Vasiliki Giagka, Gruppenleiterin am Fraunhofer-Institut IZM, zusammen mit Forschern der TU Delft an miniaturisierter, flexibler und vor allem langlebiger Elektronik. Solche Elektroniksysteme müssen einerseits über eine Sensoreinheit verfügen, die das Blasenvolumen erfasst und verarbeitet. Darüber hinaus muss die Elektronik die Daten drahtlos aus dem Körper senden. Das ist problematisch, da das menschliche Innenleben mit seinen Organen und Körperflüssigkeiten für das Senden von Funksignalen äußerst ungünstig ist.
Und eine weitere wichtige Funktion muss drahtlos erfolgen: das Laden des Implantats durch Ultraschall. Dabei versetzen Ultraschallwellen winzige Schwingkörper im Implantat in Bewegung und verformen es. Diese elastische Verformung wird in Strom umgewandelt.
Außerdem können solche Mikroimplantate durch Elektroden Nervenzellen ansteuern und durch elektrische Impulse physiologische Abläufe aktivieren. Die flexiblen Elektroden sind mit bis zu zehn Mikrometer dünnen Mikrochips verbunden. Ziel ist es, hierdurch Feedback-Schleifen zwischen Nervenzellen und den Mikroimplantaten zu erzeugen und somit personalisierte und lokale Therapien für die Patienten zu entwickeln. Um an den neuronalen Schnittstellen Abstoßungsreaktionen des Körpers zu vermeiden, verwenden die Bioelektroniker um Giagka biokompatible Materialien wie Polymere, Edelmetalle und Silizium für die Elektronik.
Strom statt Pillen
In der Forschung hat sich für solche Mikroimplantate der Begriff Elektrozeutika etabliert, weil statt pharmazeutischer Produkte miniaturisierte Elektronik zum Einsatz kommt: Strom statt Pillen. Mit diesem Ansatz lassen sich ganze Therapien neu entwickeln und unerwünschte Nebenwirkungen minimieren. Neben Inkontinenzleiden sind mehrere weit verbreitete chronische Krankheiten behandelbar. Voraussetzung ist, dass sich deren Wirkmechanismen durch Elektrostimulation gezielt beeinflussen lassen: Asthma, Diabetes, Parkinson, Migräne, Rheuma, Bluthochdruck – die Liste ist lang und das Forschungspotenzial enorm.
Bis die Elektrozeutika jedoch in größerem Maßstab Anwendung finden, müssen noch einige Hürden überwunden werden: „Noch können wir nicht vorhersagen, wann erste klinische Erprobungen möglich sein werden: Zurzeit entwickeln wir passende Testmodelle, die die Zuverlässigkeit der Implantate während des gesamten Prozesses prüfen werden und bis dahin miniaturisieren und optimieren wir die Stimulatoren weiterhin.“, sagt Vasso Giagka. Besonders die Langlebigkeit der Mikrostimulatoren stellt bislang eine Herausforderung dar. Immerhin sollen die Implantate mehrere Jahrzehnte im Körper zuverlässig funktionieren. Ziel der Miniaturisierung ist es, eine Gesamtgröße von weniger als einem Kubikzentimeter zu erreichen.
Mikrosysteme und ihre Zuverlässigkeit
Ein besonderes Augenmerk legt das Team um Giagka deshalb darauf, die Lebensdauer der Implantate zu erhöhen. Dazu belasten sie in Zuverlässigkeitstests die Mikrosysteme mit elektromagnetischen Schwingungen, Feuchte sowie Temperatur und berechnen daraus zunächst die tatsächliche Lebensdauer. Zusätzlich passen sie das Chipdesign so an, dass sich die elektromagnetischen Belastungen während des Betriebs reduzieren. Hierdurch wird die Lebensdauer der Implantate sowie die mögliche Dauer ihrer Messfähigkeit deutlich verlängert. Das Team peilt eine Gesamtlebensdauer von Jahrzehnten an.
Auch das Thema Datensicherheit bleibt nicht unbeantwortet: Dazu kooperiert Vasiliki Giagka mit dem Fraunhofer-Leistungszentrum Digitale Vernetzung.
Autor: Hendrik Härter
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