Die EU-Kommission will konkrete Maßnahmen gegen den Chiphersteller Broadcom in die Wege leiten. Die Wettbewerbshüter verdächtigen den Halbleiterhersteller mit Hauptsitz in den USA, über Jahre Konkurrenten mit Absprachen aus dem Markt gedrängt zu haben. Das will die EU nun unterbinden.

In den letzten Jahren stand mit Qualcom der weltweit größte Fabless-Halbleiterhersteller im Fadenkreuz der Kartellbehörden: Durch illegale Preisabsprachen und Knebelverträge soll das Chipunternehmen Konkurrenten aus dem Markt gedrängt und sich eine Quasi-Monopolstellung speziell bei 4G-Modems im Smartphonemarkt verschafft haben. Nun nehmen sich die EU-Wettbewerbshüter einen der schärfsten Konkurrenten vor: Wie das Handelsblatt meldet, sollen sie voraussichtlich diese oder nächste Woche den US-Chipkonzern Broadcom per „einstweiliger Maßnahme“ dazu verpflichten, bestimmte Geschäftspraktiken bis auf Weiteres nicht mehr anzuwenden. Dazu soll unter Berufung auf Insidern EU-Kommissarin Margrethe Vestager planen, ein lange Zeit ungenutztes Instrument der EU-Kommission zu reaktivieren, um zügiger gegen Unternehmen vorgehen zu können, die ihre Marktmacht missbrauchen.

Zuvor hatte bereits die Financial Times berichtet, dass die oberste EU-Wettbewerbshüterin nun konkrete Maßnahmen ergreifen werde. Vestager hatte schon bei der Einleitung des Verfahrens im Juni erklärt, sie wolle einen schnellen Stopp der Praktiken Broadcoms anordnen, um „jedes Risiko zu vermeiden, dass der Wettbewerb ernsthaft und irreparabel beschädigt wird“.

Gerätehersteller per Verträge Illegitim gebunden

Im Juni war Broadcom mitgeteilt worden, dass die Wettbewerbshüter der EU die Geschäftspraktiken des Unternehmens näher untersuchen würden. Im August nahmen unter anderem Intel, MediaTek, Humax und Quantenna – eine ON Semi-Betriebseinheit – an einer Anhörung zu diesem Fall teil.

Die EU-Wettbewerbshüter verdächtigen das US-Unternehmen, seine marktbeherrschende Stellung bei Halbleitern für TV-Digitaldecoder und Modems dafür genutzt zu haben, Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. So habe Broadcom die großen Gerätehersteller vertraglich dazu verpflichtet, ausschließlich die eigenen Chipsätze einzubauen. Das Unternehmen bezeichnete die Vorwürfe damals als unberechtigt und könnte gerichtlich gegen ein einstweiliges Verbot der Praxis vorgehen.

Wie Das Handelsblatt schreibt, wende die französische Kartellbehörde solche einstweiligen Maßnahmen bereits regelmäßig an. Die EU-Kommission habe dagegen das Instrument seit knapp 20 Jahren nicht mehr angewandt. Zuletzt verhängte die europäische Wettbewerbsaufsicht solche Interimasmaßnahmen im Jahr 2001. Dahinter steht die Einsicht, dass die Untersuchungen der Wettbewerbshüter oft zu lange dauern – im Falle von Google Shopping vergingen fast sieben Jahre zwischen Verfahrenseröffnung und der finalen Milliardenstrafe.

„Wir müssen schnell eingreifen können“, sagt Vestager, die von der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erneut als oberste EU-Wettbewerbshüterin nominiert wurde. Es gelte, zu verhindern, dass in der Zwischenzeit Konkurrenten aus dem Markt gedrängt würden.

Das handelsblatt zitiert allerdings Experten wie Tilman Kuhn, Partner bei der Kanzlei White & Case, die auf die hohen rechtlichen Hürden verweisen, die das EU-Recht für einen solch tiefgreifenden Eingriff vorsieht. So müsse die Behörde nicht nur einen klaren Regelverstoß nachweisen, sondern auch akute und schwerwiegende Auswirkungen auf den Wettbewerb – und das gerichtsfest. Indem Vestager nun zu diesem Mittel greife, so Kuhn, signalisiere sie „mehr Risikobereitschaft und Aggressivität“.

Autor: Sebastian Gerstl

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