Im Fach „Digitales“ geben sich die deutschen Unternehmen selbst nur eine Drei. Die Chancen der Digitalisierung werden zwar gesehen, aber nur jedes vierte Unternehmen investiert in digitale Geschäftsmodelle. Das sind zwei Kernaussagen einer Bitkom-Umfrage zum Stand der Digitalisierung.
Gefragt nach dem Stand der Digitalisierung des eigenen Unternehmens, vergeben Geschäftsführer und Vorstände im Durchschnitt nur die Schulnote „befriedigend“. In Deutschland steht eine Drei, salopp gesagt, für gediegenes Mittelmaß, In Amerika hingegen wäre sie die schlechteste Note, so Bitkom-Präsident Achim Berg bei der (Telefon- und Web-)Pressekonferenz zum Stand der digitalen Transformation am 1. April.
Bei Deutschlands Mittelständlern (Firmen mit 100 bis 499 Mitarbeitern) reicht es gerade für eine Vier. Dazu Berg: „Wenn sich der Mittelstand nur ein ‚Ausreichend‘ gibt, dann sollte das für uns ein Weckruf sein, dass wir jetzt wirklich Gas geben.“
Die Ergebnisse basieren auf einer repräsentativen Umfrage unter 603 Unternehmen aller Branchen im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.
Deutschland digital führend? Glaubt niemand mehr!
Selbst wenn die deutschen Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten bei der Digitalisierung vorangekommen sind, wird der der Fortschritt von den Unternehmen eher „zurückhaltend“ bewertet. Nur noch 22 Prozent sehen die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung in der Spitzengruppe, vor einem Jahr waren es immerhin noch 26 Prozent gewesen.
Dass Deutschland weltweit führend in Sachen Digitalisierung sei, glaubt niemand mehr. Zugleich wächst der Anteil derjenigen, die Deutschland im Mittelfeld (von 47 auf 51 Prozent) oder unter den Nachzüglern (von 18 auf 21 Prozent) verorten. Unverändert halten vier Prozent die deutsche Wirtschaft für digital abgeschlagen.
Wenigstens ist die Furcht vor der Digitalisierung inzwischen einer positiven Einstellung gewichen. Nur noch jedes zehnte Unternehmen hat Existenzangst aufgrund der Digitalisierung. Neun von zehn Unternehmen (90 Prozent) sehen sie eher als Chance, nur fünf Prozent als Risiko – auch wenn jedes Dritte (34 Prozent) der Unternehmen offenbar Probleme hat, die Digitalisierung zu meistern.
60 Prozent der Unternehmen haben im Zuge der Digitalisierung neue Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt gebracht. Vor zwei Jahren hatte dieser Anteil bei 48 Prozent gelegen. 75 Prozent der befragten Unternehmen passen schon am Markt befindliche Produkte oder Dienstleistungen den Erfordernissen der digitalen Welt an.
First Mover sind jetzt im Vorteil
Die Unternehmen reagieren damit auch auf einen starken Wettbewerbsdruck, wobei dieser keineswegs nur von branchenfremden „Seiteneinsteigern“ kommt, sondern auch von Unternehmen aus der eigenen Branche, die mit der Digitalisierung bereits früher begonnen haben.
So sagen jeweils sechs von zehn Unternehmen, dass Wettbewerber aus der Internet- und IT-Branche (64 Prozent) bzw. aus anderen fremden Branchen (61 Prozent) auf ihren Markt drängen. Zugleich gibt fast jedes zweite Unternehmen an, dass Wettbewerber aus der eigenen Branche, die frühzeitig auf Digitalisierung gesetzt haben, ihnen jetzt des Rang ablaufen würden. Vor einem Jahr sahen das erst 42 Prozent so, vor zwei Jahren sogar nur 37 Prozent.
„Digitalisierung entwickelt sich exponentiell. Je länger man bei der Digitalisierung zögert, umso schwieriger wird es, den Vorsprung der anderen aufzuholen. Deshalb gilt jetzt: Nicht im Analogen verharren, sondern so schnell wie möglich die Digitalisierung selbst vorantreiben“, so Berg.
Drei Viertel der Unternehmen haben eine Digitalstrategie
Auch in Sachen Digitalstrategie geht es voran. So haben inzwischen mehr als drei Viertel (77 Prozent) eine Digitalstrategie entwickelt: 39 Prozent verfügen über Strategien in einzelnen Unternehmensbereichen, 38 Prozent sogar über eine zentrale Digitalstrategie. Allerdings verzichtet immer noch rund jedes fünfte Unternehmen (22 Prozent) auf eine Digitalstrategie. Hier tut sich erneut der Mittelstand mit besonderer Zurückhaltung hervor. „Wer nicht einmal für Teile seines Unternehmens eine Digitalstrategie aufgesetzt hat, muss sich fragen lassen, ob er nicht mutwillig die Existenz seines Unternehmens aufs Spiel setzt“, betonte der Bitkom-Präsident.
„Beunruhigend ist, dass zu viele kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft gerade in Krisenzeiten bilden, bei der Digitalisierung auf Sicht fahren. Jedes Unternehmen muss jetzt eine Digitalstrategie entwickeln – und diese dann auch konsequent umsetzen.“
Nur jedes vierte Unternehmen (24 Prozent) hat zu Beginn des Jahres 2000 (also noch vor der Corona-Krise) geplant, gezielt in die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ähnlich viele (23 Prozent) haben dies zumindest im vergangenen Jahr getan, wollen aber 2020 nicht nachlegen. Jedes dritte Unternehmen (33 Prozent) hat zuletzt 2018 oder früher solche Investitionen getätigt – und 14 Prozent haben dafür noch nie Geld in die Hand genommen.
Digitalisierung sei nicht zum Nulltarif zu bekommen, denn die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle kosteten zunächst einmal Geld, gibt der Bitkom-Präsident zu bedenken.
Big Data und Analytics sind wichtig für den Unternehmenserfolg
Andererseits sehen die meisten Firmen digitale Technologien als immer wichtiger für den geschäftlichen Erfolg an. 90 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass Big Data und Analytics von großer oder eher großer Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen seien (2019: 83 Prozent).
Auch das Internet der Dinge und der 3D-Druck (additive Fertigung) werden als wettbewerbsrelevant eingeschätzt. Autonome Fahrzeuge und künstliche Intelligenz (KI) klettern in der Prioritätenliste ebenfalls nach oben. Berg: „Hier setzt sich die Erkenntnis durch, dass KI wirklich eine Schlüsseltechnologie ist, die neue Geschäftsmodelle ermöglicht.“
Doch zu früh gefreut! Geht es um die konkrete Umsetzung dieser Technologien, sieht das Bild ganz anders aus. 62 Prozent nutzen Big Data oder setzen Datenanalyse ein. Auf den 3D-Druck setzen 51 Prozent, auf das Internet of Things 49 Prozent. Virtual und Augmented Reality entwickeln sich eher verhaltenem, zumal die Relevanz dieser Technologien aktuell nicht mehr ganz so hoch eingeschätzt wird wie noch vor Jahren.
Den größten Sprung macht die künstliche Intelligenz – nämlich von zwölf auf nun 28 Prozent. Unverändert stagniert die Blockchain-Technologie bei sechs Prozent, was nach Einschätzung von Bitkom-Präsident Berg damit zusammenhängen dürfte, dass dafür offenbar noch keine überzeugenden Geschäftsmodelle gefunden wurden.
Datenschutz, IT-Sicherheit und Fachkräftemangel bremsen Technologie-Einsatz
Die drei größten Hemmschuhe bei der Digitalisierung sind nach Ansicht der Unternehmen die Anforderungen an den Datenschutz (79 Prozent, 2019: 74 Prozent) und die technische Sicherheit (63 Prozent, 2019: 57 Prozent) sowie der Mangel an Fachkräften, der sich immer stärker bemerkbar macht und die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten behindert (55 Prozent, 2019: 48 Prozent). Zeitmangel im Alltagsgeschäft – früher eine beliebte Ausrede aller Digitalisierungsmuffel – ist nur noch von nachrangiger Bedeutung und auch an Geld für die Digitalisierung fehlt es den meisten Unternehmen nicht.
Für den Bitkom-Präsidenten ist es wichtig, beim Datenschutz eine Balance finden. „Natürlich müssen wir die schützenswerten privaten Daten vor unerlaubten Zugriffen schützen. Wir müssen aber auch die Nutzung von Daten zulassen, um innovative Lösungen z. B. in der Medizin entwickeln und auf den Markt bringen zu können.“
Jetzt sei es an der Zeit, alte Zöpfe abzuschneiden. Dafür habe in einer Krise wie der Corona-Krise jeder Verständnis. Bergs Appell: „Es gilt, nicht im Analogen zu verharren, sondern die Digitalisierung so schnell wie möglich voranzutreiben.“ Derzeit könne man sehen, dass stärker digitalisierte Unternehmen und die Digitalwirtschaft in Krisenzeiten weniger anfällig seien und Wirtschaft und Arbeitsmarkt stablisierten.
Corona macht erfinderisch – die virtuelle Weinprobe
Als besonders originelles Beispiel dafür, wie erfinderisch die Corona-Krise machen kann, führte Berg die digitale Weinprobe an. Dazu versenden Winzer an ihre (potenziellen) Kunden ein Wein-Paket. Während der virtuellen Weinprobe – z. B. per Video – kann sich dann der Empfänger in den eigenen vier Wänden die edlen Tröpfchen vom Winzer erklären lassen und verkosten. „Mit fällt keine Branche ein, die nicht von der Digitalisierung profitieren könnte“, so Bergs Resümee.
Autor: Jürgen Schreier
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