Neudefinierung der Syndikusanwälte - 18. Dezember 2014

Überfälliger Weckruf

Trotz jahr­zehn­te­langen En­ga­ge­ments ist es nicht ge­lun­gen, die Ein­heit der An­walt­schaft ge­setz­lich zu nor­mie­ren. Seit den BSG-Urteilen im April 2014 gewinnt die Dis­kus­sion um eine ge­setz­liche Klar­stel­lung des Syn­di­kus­an­walts endlich an Fahrt.

So mancher fragt sich, ob die Anwaltschaft momentan nicht das berühmte Gorbatschow-Zitat – „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – auf sich beziehen müsste. Dieser Satz steht zwar nicht in den Urteilen vom 3. April 2014, in denen das Bundessozialgericht (BSG) Syndikusanwälten die Möglichkeit abspricht, sich zukünftig von der Versicherungspflicht bei der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen. Aber es steht die Frage im Raum, warum es die An­walt­schaft zugelassen hat, dass ihr Berufsbild von Dritten wie dem BSG definiert wird. Warum haben die Meinungsbildner der Anwälte nicht reagiert?

Hintergrund

Den Syndikusanwalt als bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber dauerhaft angestellten Rechtsanwalt, für den er rechtsberatend und -besorgend tätig ist, gibt es in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Er kam mit der Industrialisierung in die aufstrebenden Unternehmen, Banken und Versicherungen, die angesichts der wachsenden rechtlichen Regelungsdichte immer stärker anwaltlichen Rat brauchten und diesen organisatorisch innerhalb des Unternehmens haben wollten. Seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es für den Syn­di­kus­anwalt das Vertretungsverbot vor Gericht und damit dessen mittelbare Anerkennung. § 46 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) statuiert heute den Syndikusanwalt als Institution.
Wie kann da das BSG zu dem Schluss kommen, der Syndikus sei in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig, sondern vielmehr als abhängig Beschäftigter typisiert schutzbedürftig und müsse deshalb in der gesetzlichen Rentenversicherung zwangsversichert werden? Bitter ist nicht nur das Ergebnis, zu dem die Richter in Kassel gekommen sind. Bitter ist auch die Argumentation des Gerichts. Die BSG-Richter ­mussten bei der Entscheidungsfindung im Sozialrecht beginnen. Das Sozialversicherungsrecht kennt keine Berufsbilder wie das des Rechtsanwalts, sondern allein Tätigkeiten. Um aber zu klären, ob die Erwerbstätigkeit des Syndikusanwalts anwaltliche Be­rufs­tä­tig­keit sein kann, legt der 5. Senat in erster Linie die ständige Rechtsprechung des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs (BGH) und das anwaltliche Berufsrecht ­zugrunde. Man darf annehmen, dass die BSG-Urteile ganz anders ­ausgefallen wären, wenn der Syndikusanwalt in der BRAO klarer konturiert wäre.

Gesetzgeber in der Pflicht

Entsprechende Versuche hat es mehrfach gegeben. Der Deutsche Anwalt­ve­rein (DAV) als frei­wil­liger Spit­zen­ver­band des Be­rufs­stands setzt sich seit Jahr­zehn­ten für die Ein­heit der An­walt­schaft ein­schließ­lich der Syn­dikus­an­wälte ein und lehnt die Dop­pel­be­rufs­theo­rie des BGH ab. Die Ar­beits­ge­mein­schaft der Syn­di­kus­an­wälte im DAV wurde 1978 gegründet, um da­ma­lige An­grif­fe auf den Syn­di­kus­an­walt ab­zu­wehren. Zur Be­rufs­rechts­re­form 1994 stellte der DAV einen ersten Ge­setz­ge­bungs­vor­schlag für die Neu­fas­sung des § 46 BRAO vor, den der Ge­setz­geber auf­griff, aber nicht über­nahm. Mit dem Vor­schlag sollte klar­ge­stellt werden, dass der Syn­di­kus auch im ständigen Dienst­ver­hält­nis als Anwalt tätig wird, al­ler­dings ohne vor Gericht auftreten zu dürfen. 2004 fasste der Vorstand des DAV öf­fent­lich­keits­wirk­sam den Beschluss, anwaltliche Tätigkeit liege auch dann vor, wenn ein angestellter Anwalt für ein Unter­nehmen, bei dem er an­ge­stellt ist, rechts­ge­stal­tende, rechts­be­ra­tende oder rechts­ent­schei­den­de Tätigkeit erbringe. 2012 legte der DAV-Vorstand einen neuen Ge­setz­ge­bungs­vor­schlag zur Änderung des § 46 BRAO vor. Die großen deutschen Wirtschaftsverbände haben den Vorschlag unterstützt. Zwischenzeitlich begann auch der Bundesverband der Unter­neh­mens­juristen sein Engagement.

Schließlich, im September 2013, diskutierte die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein „modifiziertes Zulassungsmodell“ als berufsrechtliche Lösung. Die Hauptversammlung der BRAK debattierte über den Vorschlag, er gewann jedoch bei den regionalen Kammern nicht aus­rei­chend Unterstützung. Seitdem setzen sich Syndikusanwälte und niedergelassene Anwälte verstärkt vor Ort ein, um ihre Kammern für einen syndikusfreundlichen Kurs zu gewinnen. Engagement war und ist also reichlich vorhanden. Allein der Gesetzgeber hatte sich die An­re­gun­gen bis zu den Urteilen nicht zu eigen gemacht, und das Berufsrecht blieb so, wie es das BSG vorgefunden hat. Warum? Woran es bislang gefehlt hat, war ein einvernehmliches Vorgehen aller Beteiligten.
Um die Aktivitäten zu bündeln, hat DAV-Präsident Prof. Dr. Wolfgang Ewer schließlich am 7. April und 6. Oktober 2014 zu einem Runden Tisch Syndikusanwälte mit allen an der Diskussion Beteiligten geladen. Neben der erforderlichen berufsrechtlichen Antwort für die Zukunft ­bedarf es zugleich einer sozialrechtlichen Lösung für die sogenannten Altfälle.

Fazit

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Es ist unbestreitbar, dass dem Syndikusanwalt deutlich früher hätte geholfen werden können. Aber wenn die organisierte Anwaltschaft – und nicht zuletzt der Gesetzgeber – die Berufsrechtsreform jetzt gemeinsam angeht und den Syndikusanwalt als Rechtsanwalt klarstellt, dann ist er noch zu retten.

Zum Autor

TM
Thomas Marx

Rechtsanwalt und Geschäftsführer des DAV in Berlin für die Bereiche Arbeitsrecht, Gefahrenabwehrrecht, Syndikusanwälte, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Informationsrecht

Weitere Artikel des Autors