Arbeitsrecht in der Insolvenz - 15. Oktober 2019

Spielraum schaffen

Wenn die wirt­schaft­liche Situation eines Unter­neh­mens es erfordert, ein In­sol­venz­ver­fahren einzuleiten be­zie­hungs­weise zu durch­laufen, sind arbeits­recht­liche Be­son­der­heiten zu beachten.

Die Ausnahmeregelungen im deutschen Arbeitsrecht, die sich zum größten Teil aus der Insolvenzordnung (InsO) ergeben, folgen dabei dem gesetzgeberischen Willen, die Sanierung eines Unternehmens zu beschleunigen und zu erleichtern sowie gleichsam nachhaltig zu gestalten. Dabei müssen aber zunächst zwei Feststellungen getroffen werden. Zum einen kommt auch in der Insolvenz das normale Arbeitsrecht zur Anwendung. Das gilt insbesondere für den allgemeinen Kündigungsschutz der Mitarbeiter in Unternehmen, die dem Kündigungsschutzgesetz (grundsätzlich mehr als zehn Arbeitnehmer und der betroffene Arbeitnehmer ist länger als sechs Monate betriebszugehörig) unterliegen, als auch für den besonderen Kündigungsschutz des einzelnen Arbeitnehmers, sofern die persönlichen Voraussetzungen vorliegen, wie etwa im Falle einer Schwerbehinderung oder einer Schwangerschaft. Zum anderen finden die besonderen insolvenzarbeitsrechtlichen Vorschriften erst ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung.

Insolvenzgeld als Entgeltersatzleistung

Ein Insolvenzverfahren, unabhängig von der Frage, ob es sich um ein sogenanntes Regelinsolvenzverfahren oder eine – heute immer häufiger von Unternehmen betriebene – Insolvenz in Eigenverwaltung (§ 270a InsO) handelt, gliedert sich immer in zwei Stadien, das vorläufige und das eröffnete Insolvenzverfahren. Das vorläufige Insolvenzverfahren folgt auf den Insolvenzantrag und dauert in aller Regel zwei Monate, was ursächlich auch mit der Dauer des Insolvenzgeldanspruchs zusammenhängt. Das Insolvenzgeld (früher Konkursausfallgeld) ist eine Entgeltersatzleistung. Sie wird durch die Agentur für Arbeit für die drei ­Monate gezahlt, die der Eröffnung des Insolvenz­verfahrens vorangehen, und entspricht der Höhe nach zu 100 Prozent dem Entgeltanspruch des Arbeitnehmers, gedeckelt durch die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung. Da das Schuldnerunternehmen zumeist bei Antragstellung zum Ende des Monats für eben diesen Monat noch keine Löhne und Gehälter gezahlt hat, können deswegen zwei weitere Monate hinzutreten, in denen das Unternehmen von der Entgeltlast befreit ist. Insoweit ist das Insolvenzgeld als erste Sanierungshilfe zu verstehen. In diesen zwei Monaten des vorläufigen Verfahrens begutachtet der vorläufige Insolvenzverwalter oder Sachwalter (im Falle der Eigenverwaltung) insbesondere, ob die vorhandene Masse die Kosten des Verfahrens trägt, und gibt auch eine Einschätzung zur Sanierungsfähigkeit des Unternehmens ab. Sofern das Insolvenzgericht infolge eines positiven Votums des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters die Voraussetzungen für die Eröffnung bejaht, ergeht ein entsprechender Beschluss. Erst ab diesem Zeitpunkt ist der Anwendungsbereich für die insolvenzrechtlichen Ausnahmeregelungen vom allgemeinen Arbeitsrecht eröffnet.

Kündigungsfristen

Beschleunigt wird ein Personalabbau zum Beispiel durch die Regelung des § 113 InsO, der die Kündigung eines Dienstverhältnisses und damit auch eines Arbeitsverhältnisses mit einer Maximalkündigungsfrist von drei Monaten ermöglicht. Im Ergebnis bedeutet dies, dass jede arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Kündigungsfrist, die länger als drei Monate beträgt, auf drei Monate reduziert wird. Das gilt sogar für tarifvertraglich unkündbare Arbeitnehmer, für die ebenfalls im Insolvenzfall die dreimonatige Frist zur Anwendung kommt. Soweit für den einzelnen Arbeitnehmer eine Kündigungsfrist von unter drei Monaten gilt, verbleibt es bei der individuell kürzeren Frist.

Einschränkung der Sozialauswahl

Im Übrigen findet eine Beweislastumkehr statt, die es dem Arbeitnehmer aufbürdet, die grobe Fehlerhaftigkeit nachzuweisen.

Erleichtert wird die Stellenreduzierung durch § 125 InsO, der den Prüfungsmaßstab des Arbeitsgerichts im Hinblick auf die Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit reduziert. Voraussetzung ist, dass infolge einer Betriebsänderung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste verhandelt wurde und zustande gekommen ist. Diese Bewertung erstreckt sich nicht nur auf die Abwägung der Sozialdaten, sondern auch auf die Feststellung der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer (sogenannte Vergleichsgruppenbildung) sowie die Herausnahme der betriebswichtigen Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl (sogenannte Leistungsträger). Nach § 125 InsO ist die Sozialauswahl nur dann grob fehlerhaft, wenn sie jede Ausgewogenheit vermissen lässt und Fehler aufweist, die gleich ins Auge springen. Damit ist nicht schon jede unter normalen Prüfungsbedingungen nicht ausreichende Sozialauswahl gleich grob fehlerhaft. Im Übrigen findet eine Beweislastumkehr statt, die es dem Arbeitnehmer aufbürdet, die grobe Fehlerhaftigkeit nachzuweisen. Der Wille des Gesetzgebers, die Sanierung nachhaltig zu gestalten, findet sich ebenfalls in § 125 InsO, der die Sozialauswahl auch dann nicht als grob fehlerhaft ansieht, wenn durch sie eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Der Gesetzgeber verfolgt dabei das Ziel, dass dem Schuldner oder im Falle eines Verkaufs dem Übernehmer ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung stehen soll. Dass sich dadurch für den Fall einer angestrebten Veräußerung der Wert des Unternehmens erhöht, ist nicht nur ein positiver Nebeneffekt, sondern nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ein anerkannter Beweggrund für den Personalabbau im Hinblick auf eine nachhaltige Sanierung.

Volumen des Sozialplans

Eine wirtschaftliche Erleichterung, die auch auf die Nachhaltigkeit durchschlägt, hält § 123 InsO parat, der das Volumen eines Sozialplans in der Insolvenz streng limitiert. In der außergerichtlichen Restrukturierung gilt: Sofern in einem Unternehmen mit eingerichtetem Betriebsrat ein Personalabbau, der einer Betriebsänderung gleichkommt, vollzogen wird, ist neben dem Interessenausgleich, der die Vereinbarung über die Personalmaßnahme beinhaltet, ein Sozialplan zu verhandeln. Ein Personalabbau stellt dann eine Betriebsänderung dar, wenn die Grenzen des § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erreicht, etwa bei einem Personalabbau von zehn Prozent oder mehr als 25 Arbeitnehmern in Betrieben zwischen 60 und 499 Mitarbeitern. Der Sozialplan soll in einem derartigen Fall den sozialen Ausgleich zugunsten der von der Personalmaßnahme betroffenen Mitarbeitern regeln. Außerhalb der Insolvenz ist der Inhalt des Sozialplans, insbesondere hinsichtlich der Kosten für das Unternehmen, frei verhandelbar. Nicht selten werden hier pro Mitarbeiter Abfindungszahlungen vereinbart, die über einem Schlüssel von einem Bruttomonatsentgelt pro Beschäftigungsjahr liegen. Bei einem Personalabbau von 50 Mitarbeitern mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren und einem monatlichen Durchschnittsbruttoentgelt von 3.500 Euro ergäbe allein die Abfindungslast ein Volumen von 3,5 Millionen Euro. In der Insolvenz ist das Sozialplanvolumen dagegen auf ein Maximum von 2,5 Bruttomonatsentgelten je vom Abbau betroffenen Arbeitnehmer begrenzt. Die Betriebszugehörigkeit findet keine Berücksichtigung. Das bedeutet, dass für jeden Mitarbeiter die zweieinhalb Entgelte als Topflösung eingebracht werden. Die individuelle Verteilung, zum Beispiel nach sozialen Gesichtspunkten, vereinbaren Betriebsrat und Arbeitgeber als Parteien des Unternehmens. Nach § 123 InsO würde sich mithin das maximale Sozialplanvolumen auf 437.500 Euro belaufen. Das entspricht einer Einsparung im Verhältnis zum Sozialplan außerhalb der Insolvenz von annähernd 90 Prozent.

Forderungen gegen die Masse

Eine weitere wirtschaftliche Entlastung ergibt sich aus § 120 InsO. Diese Vorschrift ermöglicht es, Betriebsvereinbarungen unabhängig von anderweitig vereinbarten Kündigungsfristen mit einer Frist von drei Monaten zu kündigen. Voraussetzung ist, dass in den Betriebsvereinbarungen Leistungen vorgesehen sind, welche die Masse belasten, und Beratungen mit der Zielsetzung, die Leistungen zu reduzieren, erfolglos bleiben. Vorherrschendes Ziel eines Insolvenzverfahrens ist, das insolvente Unternehmen zu entschulden. Das betrifft sämtliche gegenüber der Insolvenzschuldnerin geltend gemachte Forderungen. Dabei stellt sich – auch arbeitsrechtlich – regelmäßig die Frage, ob diverse Arbeitnehmeransprüche als Insolvenzforderung oder Masseforderung ­einzuordnen sind. Das hat für den Arbeitnehmer erhebliche Auswirkungen. Grundsätzlich gilt der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung (nicht der Tag der Antragstellung) als maßgeblicher Stichtag. Entgeltansprüche, die ab diesem Stichtag erarbeitet werden (man spricht auch von erdient), sind Forderungen gegen die Masse, die zu 100 Prozent vom Unternehmen zu zahlen sind. Etwas anderes gilt für Entgeltansprüche, die vor diesem Stichtag erarbeitet wurden. Sofern sie im Insolvenzgeldzeitraum erdient wurden, fallen sie unter das Insolvenzgeld. Wenn sie jedoch noch weiter im Vorhinein erarbeitet wurden, sind sie zur Insolvenztabelle anzumelden und werden dann später nur quotal befriedigt.

Fälligkeit von Ansprüchen

Das Erarbeiten beziehungsweise Erdienen ist dabei nicht mit der Fälligkeit zu verwechseln. Wann ein Anspruch zur Zahlung fällig ist, hat für die Einordnung als Insolvenz- oder Masseforderung keine Relevanz. Wurde zum Beispiel bei einem Unternehmen am 1. September 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und hat ein Vertriebs­angestellter im März 2017 ein Geschäft abgeschlossen, das für ihn einen Provisionsanspruch auslöste, wobei Provisionen aber regelmäßig am Ende des Jahrs abgerechnet werden, so handelt es sich bei dem Provisionsanspruch um eine einfache Insolvenzforderung. Diese Forderung ist zur Insolvenztabelle anzumelden, völlig losgelöst von der Tatsache, dass die Zahlung erst Ende des Jahrs 2017 fällig gewesen wäre. Das gilt ebenso für Überstunden, die auf Arbeitszeitkonten gutgeschrieben wurden. Sofern sich zum Stichtag ein Guthaben des Mitarbeiters auf dem Arbeitszeitkonto ergibt, wird dies anhand seines Stundenentgelts in Euro umgerechnet und in der Insolvenztabelle festgehalten. Besondere Auswirkungen hat das für Mitarbeiter in Altersteilzeit, die auch Gefahr laufen, ihr in der Aktivphase erarbeitetes Guthaben zu verlieren. Hier greift aber die obligatorische Versicherung, die der Arbeitgeber für den Fall der Insolvenz abzuschließen hat.

Urlaubsansprüche und Abfindungen

Anders ist die Handhabung bei Urlaubsansprüchen. Da der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers kein Entgeltanspruch, sondern ein Anspruch auf Erholung ist, findet keine Umrechnung in Geld statt. Der Urlaubsanspruch bleibt mithin über die Verfahrenseröffnung unverändert bestehen. Etwas anderes gilt beim Urlaubsgeld: War für einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens genommenen Urlaub noch kein Urlaubsgeld gezahlt worden, handelt es sich um eine Insolvenzforderung. Gleiches gilt für die Forderung im Rahmen einer Abfindung, die sich aus einem vor der Eröffnung (im gerichtlichen Kündigungsschutzprozess) vereinbarten Vergleich ergibt. Sie stellt ebenfalls eine einfache Insolvenzforderung dar.

Betriebliche Altersvorsorge

Hat ein Unternehmen erhebliche Rückstellungen aufgrund vereinbarter betrieblicher Altersvorsorge gebildet, kann das im Insolvenzverfahren eine enorme, wirtschaftliche Entlastung bringen. Derartige Rückstellungen können, sofern sie die Zeit vor dem Insolvenzverfahren betreffen, aufgelöst werden, weil für Altforderungen der Pensionssicherungsverein eintritt. Sofern es dem Unternehmen dann noch gelingt, derartige Vereinbarungen über die betriebliche Altersvorsorge für die Zukunft abzuschneiden, ergibt sich für das Unternehmen daraus ein ganz wesentlicher Liquiditätseffekt.