AIA-Standard - 17. Januar 2018

Gefährliche Wege

Die neuen Regeln zur Ver­hin­de­rung von Steuer­hinter­­zie­hung mag man begrüßen. Doch mit Blick auf Selbst­anzeige und Ver­jährung stellt sich eine Fülle an Fragen.

Entscheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Selbstanzeige ist, dass die relevante Tat bisher noch nicht entdeckt wurde. Die aus einer wirksamen Selbstanzeige entstehenden Vorteile für den Steuerpflichtigen werden damit begründet, dass dieser mit seiner im Regelfall vollständigen Anzeige Umstände offenbart, die die Verfolgungsbehörden ohne dessen Mithilfe regelmäßig nicht oder nur mit viel Aufwand hätten ermitteln können. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings, dass die Anzeige einer bereits entdeckten Steuerhinterziehung der Finanzverwaltung und den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit zwar erleichtert, sie sich aber nicht zwangsläufig günstig für den Steuerpflichtigen auswirken muss. Mit Blick auf den bevorstehenden internationalen Datenaustausch nach dem Standard des automatischen Informationsaustausches (AIA) ist heute alles andere als sicher, ab wann von einer Entdeckung auszugehen ist.

Zeitpunkt der Entdeckung

Denkbar wären die folgenden Entdeckungszeitpunkte:

  1. Datenerfassung durch das ausländische Kreditinstitut
  2. Übermittlung der Daten vom ausländischen Kreditinstitut an die vor Ort zuständige Steuerbehörde
  3. Übermittlung der Daten durch die ausländische Steuerbe­hörde an das deutsche Bundeszentralamt für Steuern
  4. Übermittlung der Daten vom Bundeszentralamt an das örtlich zuständige Finanzamt
  5. Abgleich mit den individuellen Steuerakten durch das zuständige Finanzamt im konkreten Fall

Nicht ausgeschlossen ist demnach, dass die Tat bereits im Moment der Datenerhebung zur Weitergabe – also bereits jetzt – entdeckt ist. Dieser Umstand macht die Selbstanzeige derzeit zu einem Wagnis, das nicht außer Betracht gelassen werden kann. Der Annahme einer derart frühzeitigen Tatentdeckung lässt sich allerdings entgegenhalten, dass der Informationsaustausch zwar zwingend vorgesehen ist, aber dennoch keine Gewissheit besteht, ob und in welchem konkreten Umfang es tatsächlich zu einem Austausch kommt; weil zum Beispiel niemand genau weiß, ob die Daten vollständig sein werden. Auch scheint die Rechtsprechung für eine Tatentdeckung im Ausland (noch) zu fordern, dass neben der sicher bevorstehenden Weitergabe dort auch eine (zumindest rudimentäre) strafrechtliche Parallelwertung der gewonnenen Informationen erfolgen muss. Je nachdem, auf welchen Zeitpunkt es für die Tatentdeckung am Ende ankommt, könnte die bereits angelaufene Umsetzung des AIA-Standards eine Selbstanzeige derzeit also ebenso nahelegen wie ihre Wirksamkeit verhindern – mit spürbaren Folgen für den Steuerpflichtigen.

Fehlende Unterlagen

Um zu entscheiden, ob mit Blick auf den AIA eine Selbstanzeige erstattet werden soll, müssen daher insbesondere die weiteren Anforderungen beachtet und geprüft werden, ob die Selbstanzeige nicht ohnehin an anderen Umständen scheitert. So können mitunter die relevanten Zeiträume nicht vollständig ­nach erklärt werden. Oft liegt das nicht am Fehlen des entsprechenden Willens, sondern daran, dass beispielsweise die erforderlichen Unterlagen für die relevanten Jahre nicht mehr vollständig vorliegen beziehungsweise zu beschaffen sind und deshalb die Vorgänge zunächst nur bruchstückhaft rekonstruiert werden können. Die großzügige Schätzung einzelner Jahre kann teilweise über Rekonstruktionslücken hinweghelfen, wobei die Behörden gerade im Falle von Auslandssachverhalten die Beweislastverteilung zu ihren Gunsten nutzen.

Sonderkonstellationen

Insbesondere im Zusammenhang mit Erbschaftsfällen und ausländischem Vermögen kommt es immer wieder zu Fehlern.

In diesem Zusammenhang bergen Sonderkonstellationen, die nicht selten sind, besondere Risiken. So kommt es insbesondere im Zusammenhang mit Erbschaftsfällen und ausländischem Vermögen immer wieder zu Fehlern. Sollen etwa Zinseinkünfte aus ausländischem Kapitalvermögen im Rahmen einer Selbstanzeige nacherklärt werden, greift – wenn alle übrigen Voraussetzungen erfüllt sind – Straffreiheit nur für die Steuerhinterziehung bezüglich der Zinseinkünfte. Wurde der Anfall des ausländischen Vermögens aus der Erbschaft seinerzeit hingegen nicht erklärt, liegt darin unter Umständen ebenfalls eine Hinterziehungstat. Umfasst die Selbstanzeige aber nur die Einkommensteuer, nicht auch die Erbschaftsteuer, wird es problematisch. Bestenfalls kann die Selbstanzeige nur hinsichtlich der Einkommensteuer strafbefreiend wirken. Schlimmstenfalls steht die Wirksamkeit der Selbstanzeige insgesamt infrage. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich, wenn zum Beispiel ausländisches Anlagevermögen nicht nur regelmäßige Erträge abgeworfen hat, sondern zwischenzeitlich aufgestockt wurde. Klar sollte zudem sein, dass der Steuerpflichtige bei einer Selbstanzeige zeitnah hohe Beträge für Steuernachzahlungen, Hinterziehungszinsen und gegebenenfalls Strafzuschläge aufbringen muss. Ist er dazu womöglich gar nicht mehr vollständig in der Lage, geht die Selbstanzeige ebenfalls ins Leere, selbst wenn im Übrigen alle Voraussetzungen erfüllt sind. In diesem Fall wäre die klassische Verteidigung das Mittel der Wahl, wobei diese Strategie oft zur Passivität verdammt.

Verjährungsfristen

In der Beratung sind neben der etwaigen Tatentdeckung vor Erstattung einer Selbstanzeige vor allem auch die Verjährungsfristen zu beachten, die einen erheblichen Einfluss auf die Beratung haben können. Denn während die einfache Steuerhinterziehung grundsätzlich fünf Jahre nach Tatbeendigung verjährt, beginnt die steuerliche Verjährung grundsätzlich erst mit Ablauf des Jahrs, in dem die Erklärung abgegeben oder pflichtwidrig unterlassen wurde, und dauert dann zehn Jahre bis zum jeweiligen Jahresende. Eine zehnjährige Verjährungsfrist gilt auch im Strafrecht, soweit ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegt [§ 376 Abs. 1 Abgabenordnung (AO)], wobei die Frist hier erneut an den Tag der Tatbeendigung anzuknüpfen ist. Die Laufzeiten der steuerlichen und der strafrechtlichen Verjährung sind folglich in den seltensten Fällen deckungsgleich. Außerdem fällt der Zeitpunkt der Tatbeendigung als Beginn der Verjährungsfrist im Steuer- beziehungsweise Strafrecht regelmäßig auseinander. Dabei hängt im Strafrecht vieles davon ab, ob die Steuerhinterziehung durch ein Tun oder Unterlassen, also durch eine falsche Erklärung oder eine Nichterklärung steuerlich relevanter Tatsachen begangen wird.

Falsch- oder Nichterklärung

Im ersten, einfacheren Fall liegt eine Hinterziehung durch aktives Tun vor, deren Beendigungszeitpunkt regelmäßig mit dem Erlass des falschen Steuerbescheids zusammenfällt. Wer die Steuer für 2006 also zum Beispiel 2007 falsch erklärt und 2008 einen falschen Steuerbescheid erhält, hat beim besonders schweren Fall noch bis 2018 mit Verfolgung zu rechnen – wobei eine etwaige Unterbrechung oder ein Ruhen der Verjährung diese Frist im äußersten Fall erheblich verlängern kann. Im zweiten Fall einer Hinterziehung durch Unterlassen ist es komplizierter. Wurde etwa eine Schenkung nicht erklärt, beginnt die strafrechtliche Verjährung grundsätzlich zu dem Zeitpunkt, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wäre die Erklärung ordnungsgemäß erfolgt. Da es aber für die Schenkungsteuer mangels regelmäßigem Veranlagungsverfahren keinen allgemeinen Veranlagungsschluss gibt, wird der Verjährungsbeginn durch eine fiktive Berechnung ermittelt, bei der es mitunter sogar auf die Bearbeitungsdauer der Finanzbehörden ankommt. Dem steht die Rechtsprechung des für Steuerstrafsachen zuständigen 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach die Verjährungsfrist ungeachtet der tatsächlichen (fiktiven) Bearbeitung einen Monat nach dem Zeitpunkt beginnt, zu dem die Schenkung spätestens hätte angezeigt werden müssen. In steuerlicher Hinsicht ist vieles anders. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Bei einer Schenkung beginnt die Verjährung der steuerlichen Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der Schenkung Kenntnis erlangt hat. Im Einzelfall kann also die Beendigung als Anknüpfungspunkt der steuerlichen Verjährung erst Jahre nach der Schenkung eintreten. Darüber hinaus kann der Anlauf der steuerlichen Verjährungsfrist aus verschiedenen Gründen bis zu drei und mehr Jahre gehemmt sein, was regelmäßig dazu führt, dass die steuerliche Verjährungsfrist effektiv 13 und mehr Jahre beträgt.

Wiederkehrende Dauersachverhalte

Besondere Herausforderungen stellen sich ferner bei regelmäßig wiederkehrenden Dauersachverhalten. Hier muss die Verjährung für jede einzelne Tat gesondert geprüft werden. Hat ein Steuerpflichtiger beispielsweise Kapitalvermögen im Ausland angelegt und die jährlichen Kapitalerträge bei seinem Finanzamt in Deutschland bisher nicht erklärt, muss für jedes Kalenderjahr einzeln untersucht werden, ob eine strafrechtlich noch nicht verjährte Steuerhinterziehung vorliegt, die zu einer Selbstanzeige Anlass geben könnte. Dabei ist auch zu klären, woher und von wann das ursprüngliche Kapital stammt und ob es in Deutschland versteuert wurde. Womöglich ergibt sich, dass neben der jährlichen Hinterziehung von Kapitalertragssteuern eine weitere Hinterziehung im Zusammenhang mit dem unversteuerten Zugang des Ursprungsvermögens im Raum steht, wie etwa bei Schwarzgelderlösen, Schenkungen oder einer Erbschaft. Wenn ja, könnte ein Strafverfahren nicht zuletzt auch aufgrund der seit dem 1. Juli 2017 erheblich verschärften Vorschriften zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung schwerwiegende Folgen haben. In diesem Zusammenhang sei hier bloß auf die neu geschaffene Verjährungsfrist von 30 Jahren verwiesen (§ 76b StGB). Eine Abschöpfung kann also potenziell noch erfolgen, lange nachdem sowohl Steuerfestsetzung als auch Strafverfolgung längst nicht mehr möglich sind. All diese Erwägungen spielen eine zentrale Rolle für die Frage, ob und in welchem Umfang eine Selbstanzeige erstattet werden sollte. Denn jede Selbstanzeige stellt auch komplexe Anforderungen an die eigene Organisation und die des Beraters. Und so sehr die Einführung des AIA-Standards im Einzelfall auch die Erstattung einer Selbstanzeige nahelegen mag, so sehr sind die Hemmnisse zu bedenken, die eben dieser Standard für die Wirksamkeit der Selbstanzeige mit sich bringen könnte.

Ausblick

Die Frage, ob beziehungsweise bis wann eine Selbstanzeige vor dem Hintergrund des bereits in Gang gesetzten Informationsaustauschs überhaupt noch möglich ist – Stichwort: Tat­entdeckung –, kann derzeit kaum rechtssicher beantwortet werden. Darum müssen sämtliche Voraussetzungen für eine wirksame Selbstanzeige sorgfältig geprüft und der individuelle Nutzen abgewogen werden. Das gilt nicht zuletzt auch mit Blick auf die vielfältigen Nebenfolgen einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung für Beamte, Gewerbetreibende, Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Jäger, Sportschützen und weitere Personengruppen. Schlimmstenfalls droht mehr Schaden als Nutzen. Denn eine Selbstanzeige wird man nur dann erstatten, wenn man sich davon Straffreiheit erwarten kann. Werden dafür hohe Zahlungen geleistet, ist es mehr als ärgerlich, wenn man hinterher erfährt, dass die Strafverfolgung auch ohne Selbstanzeige, zum Beispiel aufgrund zwischenzeitlicher Verjährung, nicht möglich gewesen wäre, die Selbstanzeige aber dazu führte, dass unbekannte Steuerquellen überhaupt erst erschlossen wurden. Wenn sich die Selbstanzeige dann auch noch als unwirksam erweist, sie es den Strafverfolgungsbehörden jedoch ermöglicht, die Verjährung noch kurz vor Fristablauf zu unterbrechen, ist die Katastrophe komplett.

Zum Autor

Manuel Operhalsky

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in der Kanzlei Danckert Bärlein & Partner in Berlin

Weitere Artikel des Autors