Chancen der Digitalisierung - 30. Juni 2016

„Digitale Transformation“

Neue Technologien bedeuten Entwick­lung und Fort­schritt. Die meisten sich daraus für Ar­beits­weisen und Tätig­keiten er­ge­ben­den Ver­än­de­run­gen setzen sich lang­sam durch und be­treffen nicht alle Wirt­schafts­zweige in gleichem Maße. Mit der di­gi­talen Trans­for­ma­tion ist das anders. Sie hat be­gonnen, das gesamte Wirt­schafts­leben in kurzer Zeit fun­da­men­tal um­zu­ge­stalten. Für Steuer­be­rater er­ge­ben sich daraus neue ge­schäft­liche Mög­lich­keiten – sofern sie bereit sind, sich den Ver­än­de­run­gen zu stellen. Ein Gespräch mit dem neuen Vor­stands­vor­sit­zen­den der DATEV, Dr. Robert Mayr.

Neue Handlungsfelder für den Berufsstand und für DATEV

Mit den Chancen, aber auch mit den Risiken, die eine umfassende Digitalisierung mit sich bringt, setzt sich die DATEV für ihre Mitglieder intensiv auseinander. Klar und nüchtern gilt es abzuwägen, welche Entwicklungen wirklich nachhaltig sind und wie die Leistungen der Genossenschaft am besten dabei unterstützen können, in den Kanzleien den nötigen Wandel zu vollziehen. Strukturiert an die Dinge heranzugehen, ist für Dr. Robert Mayr die maßgebliche Voraussetzung, um diese Aufgabe zu meistern. Wir haben den seit dem 1. April amtierenden Vorstandsvorsitzenden der DATEV in seiner Rolle als Vordenker befragt, wie er dazu beitragen will, aus der digitalen Transformation Nutzen für den Berufsstand und deren Mandanten zu ziehen.

DATEV magazin: Herr Dr. Mayr, der Begriff „digitale Transformation“ beschreibt ja einen Übergang – weg vom hergebrachten physischen Umgang mit den Dingen hin zur immer umfassender werdenden virtuellen Steuerung von Prozessen in einer IT, die alles mit allem vernetzt. Was bedeutet das für unsere Lebens- und Arbeitswelt? Wie weit wird die Virtualisierung reichen?

DR. ROBERT MAYR: Wir stehen erst am Beginn eines langen Prozesses, der über immer weiter reichende Vernetzung und Automatisierung ganze Lebens­be­reiche um­krem­peln wird. Die Basis dafür ist die Tech­no­logie: Cloud Com­pu­ting, Big Data Ana­ly­tics, Cog­ni­tive Com­pu­ting und in­tel­li­gente Netze be­ein­flussen die Mög­lich­keiten ebenso wie die immer viel­fäl­ti­ger, kom­pak­ter und leis­tungs­fähi­ger werdenden End­ge­räte. Smart­phones, Tablets und Ultra­books sorgen dafür, dass dem per­ma­nen­ten In­for­ma­tions­aus­tausch kaum noch geo­gra­fische Grenzen ge­setzt sind. Parallel werden die Daten­netze immer schneller und ver­teilen stetig steigende Daten­vo­lu­mina. Dies alles ist die Grundlage für eine zunehmende Vernetzung von Geräten, Maschinen, Bauteilen et cetera, sodass eine Reihe von Prozessen inzwischen ohne aktives Zutun von Menschen automatisiert ablaufen kann. Für die Wirtschaft geht es dabei vor allem darum, neue digitale Wertschöpfungsketten aufzubauen oder die bestehenden zumindest digital zu verlängern und durch die konsequente Digitalisierung aller Geschäftsprozesse ihre Effizienz weiter zu steigern. Für die Kanzleien bringt die digitale Transformation sogar gleich zwei Handlungsfelder mit: Sie können einerseits ihre eigenen Prozesse entsprechend umgestalten und sollten andererseits auch Sparrings-Partner für ihre Mandanten sein.

DATEV magazin: Welche Vorteile ergeben sich aus den technischen Möglichkeiten? Was bringt etwa die Verfügbarkeit von leistungsstarken Netzen und sicheren Cloud-Lösungen im Vergleich zu den bisherigen On-Premise-Anwendungen, also der Datenhaltung und Verarbeitung vor Ort?

DR. ROBERT MAYR: Innerhalb nur eines Jahrzehnts ist das gesamte Wissen der Menschheit bereits zum Großteil digitalisiert worden und kann dank der weltweiten Vernetzung quasi orts­un­ab­hängig bereitgestellt werden. Insbesondere im Geschäftsleben ist nahezu jeder Schritt heute digital dokumentiert. Aus diesen elektronisch vorliegenden Daten lassen sich mittels Big Data Analysis ausgewählte Informationen nun intelligent verknüpfen. Aus diesen Analysen können wiederum Erkenntnisse abgeleitet werden, die einen zielgerichteten Ressourceneinsatz ermöglichen oder sogar Potenziale für neue Geschäftsmodelle aufzeigen. Diese Vorteile sind beispielsweise auch für die Optimierung der Zusammenarbeit zwischen Kanzlei und Mandant nutzbar. Datenbasierte Dienstleistungen entlang vollständig digitaler Prozessketten sind dafür Voraussetzung und Treiber zugleich. Sie eröffnen dank Automatisierung, Vereinfachung und Beschleunigung ganz neue Dimensionen einer digitalen Ökonomie. Genau darum geht es.

DATEV magazin: An dieser Entwicklung sind ja auch staatliche Institutionen nicht ganz unbeteiligt, werden doch digitale Geschäftsprozesse zunehmend auf rechtlich abgesicherte Fundamente gestellt und zum Teil sogar obligatorisch.

DR. ROBERT MAYR: Völlig richtig, der Gesetzgeber bekennt sich klar zur digitalen Transformation und hat in der vergangenen Dekade bereits etliche Weichenstellungen in diese Richtung vorgenommen. In allen Verwaltungsbereichen werden immer mehr Daten in digitaler Form erhoben. Dieser Trend ist klar und unumkehrbar. Die Liste der ausschließlich elektronisch zu erfüllenden Meldepflichten wird mit jedem Jahr länger, seit sie 2005 mit der Pflicht zur digitalen Abgabe der Lohnsteueranmeldung und der Umsatzsteuervoranmeldung ihren Anfang nahm. Ein aus meiner Sicht wichtiger weiterer Schritt in die digitale Zukunft ist die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, die zum 1. Januar 2017 schrittweise umgesetzt wird: Künftig soll der Gesamtprozess weiter digitalisiert und automatisiert werden. Die Finanzverwaltung möchte dadurch eine höhere Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Verfahrens erreichen. Um die Mandanten in diesem Umfeld optimal betreuen zu können, ist die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater auf einer gemeinsamen Plattform eine unverzichtbare Voraussetzung.

DATEV magazin: Das klingt, als kämen die Steuerberater nicht darum herum, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Was bedeutet das dann für den Arbeitsalltag in den Kanzleien?

DR. ROBERT MAYR: Auf jeden Fall werden Kanzleien, die den Trend zur Digitalisierung ignorieren, definitiv Potenziale verschenken. Denn, wenn sie die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzen, können sie sich weitgehend von rein verwaltenden Tätigkeiten entlasten und künftig in Echtzeit auf eine viel breitere mandantenbezogene Datenbasis zugreifen. Diese Informationen versetzen die Berater dann in die Lage, die Unternehmen viel aktiver bei der Steuerung des Betriebs zu unterstützen. So birgt die neue Qualität der Datenbasis Möglichkeiten für an­spruchs­volle Mehrwertdienste, die deutlich lukrativer sind als reine Erfassungs- und De­kla­ra­tions­auf­gaben. Kanzleien, die den dafür nötigen Wandel vollziehen, haben hervorragende Chancen, so ihr Geschäft auszubauen! Wer die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht nutzen will, wird seine Wettbewerbsposition dagegen dauerhaft eher schwächen. Die Kanzleien sollten deshalb ihr Personal frühzeitig auf diese neuen Aufgaben vorbereiten und für entsprechende Weiterbildung sorgen.

DATEV magazin: Und was würden Sie denen sagen, die hier – vielleicht ein wenig skeptisch, vielleicht mit gewissen Vorbehalten – in die Zukunft schauen und sich fragen: Schaffe ich das? und: Schaffen meine Mandanten das?

DR. ROBERT MAYR: Hier kommt ganz klar die DATEV ins Spiel. Wir verstehen uns als digitaler Wegbereiter und -begleiter des steuerberatenden Berufsstands. Daraus leiten wir auch den Anspruch ab, die digitale Transformation im Sinne unserer Mitglieder zu nutzen und mit­zu­ge­stal­ten. Wir haben uns vorgenommen, Geschäftsideen und Geschäftsmodelle für die Kanzlei der Zukunft zu entwickeln und diese gemeinsam mit den Berufsträgern zu durchdenken und zu erproben. Als Enabler für digitale Abläufe sorgen wir dann für die technische Plattform, auf der die neuen Tätigkeiten aufsetzen. Deshalb möchte ich gerne jedem Mitglied sagen: Für Zweifel oder gar Unsicherheit besteht kein Grund. Meine klare Antwort auf die Frage lautet daher: Ja, Sie und Ihre Mandanten schaffen das! Und wir unterstützen Sie auf diesem Weg.

DATEV magazin: Was sagen Sie ganz allgemein zur Rolle der Mandanten im digitalen Transformationsprozess? Muss man nicht konstatieren, dass manche Unternehmen hier schon weiter fortgeschritten und innovationsfreudiger sind als der ein oder andere Steuerberater?

DR. ROBERT MAYR: Selbstverständlich gibt es unter den Beratern wie auch unter den Unter­neh­mern sowohl sehr fortschrittliche als auch zögernde Charaktere. Insofern mag – je nach Konstellation – der ein oder andere Berater auch einen gewissen Druck vonseiten der Mandanten verspüren. Schließlich betrifft die Digitalisierung, von der wir hier sprechen, natürlich auch die kaufmännischen Prozesse in allen Unternehmen, von denen einige sehr innovativ sind.
Andererseits sind diese kaufmännischen Prozesse nicht die Kernkompetenz der Unternehmer, und ich kenne auch genug Beispiele von Kanzleien, die ihren Mandanten noch mehr digitale Prozesse empfehlen. Der Vorteil in jedem Fall ist aber: Viele Informationen liegen in der Regel ja bereits elektronisch vor, beispielsweise in Angebots- und Rechnungsdokumenten oder in Arbeits­zeit­nach­weisen. Erhält die Kanzlei zeitnah Zugriff darauf, kann sie daraus mitunter sehr wertvolle Handlungsempfehlungen ableiten. Für uns als DATEV besteht also die Aufgabe, ganz unter­schied­liche Digitalisierungsgrade und -geschwindigkeiten zu begleiten, niemanden zu drängen, der hier Schritt für Schritt vorangehen will, aber zugleich auch den Early Adopters top-moderne, umfassende Lösungen anzubieten. Das ist ein manchmal auch durchaus anspruchsvoller Spagat.

Datev magazin: Wenn wir einmal versuchen, vier bis fünf Jahre in die Zukunft zu blicken. Was wird 2020 in der Tätigkeit in den Kanzleien anders sein als heute?

DR. ROBERT MAYR: Eine ganz konkrete Prognose kann ich für die Tätigkeiten rund um die Buchführung abgeben: Erfassende Aufgaben werden in diesem Umfeld definitiv an Bedeutung verlieren. Der Tätigkeitsschwerpunkt wird sich mehr in Richtung Veredlung buchhalterischer Informationen verlagern. Sprich: Es wird wichtiger werden, die Ergebnisse zu interpretieren, statt sie in T-Konten zu erfassen. Entsprechend wird sich der Fokus der Mitarbeiter in den Kanzleien dahin verschieben, aus dem vorhandenen Daten-Pool jeweils die Informationen herauszufiltern, die der Betrieb gerade benötigt.

DATEV magazin: Hieran knüpft sich natürlich die Frage, wie und mit welchen Produkten und Leistungen DATEV diesen Veränderungsprozess begleiten kann und wird?

„Wir wollen den Workflow zwischen unseren Mitgliedern und ihren Mandanten auf breiter Basis optimieren.“

DR. ROBERT MAYR: Mit unseren Lösungen unter­stüt­zen wir digitale kaufmännische Prozesse schon heute vom Rechnungseingang über die Zahlung und den Buchungssatz bis hin zur rechtssicheren Archivierung. Über die DATEV-Cloud lassen sich jederzeitiger Zugriff und standortunabhängige Zusammenarbeit rea­li­sieren. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, ist ein Höchst­maß an Flexi­bi­li­tät und Mo­bi­li­tät bei der Nutzung von Software, Hardware und Infrastruktur gefragt. Deshalb widmen wir bei der Ent­wick­lung gerade den Cloud-Diensten und -Anwendun­gen große Auf­merk­sam­keit. Nächstliegendes Ziel der Weiterentwicklung des DATEV-Cloud-Systems ist es dabei, die digitale Zusammenarbeit zwischen Kanzlei und Mandant zu intensivieren und so Buchführungsprozesse konsequent zu automatisieren. Das wird den Bearbeitungsaufwand verringern, die Aktualität der Datenbasis noch weiter steigern und damit letztlich die Wett­be­werbs­fähig­keit der Kanzleien verbessern. An dieser Vision arbeiten bereits mehrere Bereiche übergreifend. Ein ganz wesentlicher zusätzlicher Aspekt ist dabei übrigens die Offenheit von DATEV-Cloud-Diensten. Wir wollen den Workflow zwischen unseren Mitgliedern und ihren Mandanten auf breiter Basis optimieren, auch wenn die Unternehmen selbst keine DATEV-Software einsetzen.

DATEV magazin: Wie wird DATEV die Berufsträger einbinden bei der Entwicklung weiterer Angebote hin zur Verwirklichung der
digitalen Kanzlei?

DR. ROBERT MAYR: Schon heute binden wir unsere Mitglieder frühzeitig ein, erheben ausgewählt Bedarfsprofile und bei freiwilligen Pilotanwendern Informationen zum Produkt­nut­zungs­ver­halten. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen: Ein intensiver und frühzeitiger Kun­den­ein­be­zug ist vor­teil­haft für die Einführung neuer Produkte, Funktionen und Veränderungen. Auf diese Weise lässt sich bereits vor der Pilotierung und Auslieferung sicherstellen, dass die Neuerungen den Bedürfnissen unserer Anwender tatsächlich gerecht werden und unserem eigenen Qua­li­täts­an­spruch genügen.

DATEV magazin: Letzte Frage, Herr Dr. Mayr: Was möchten Sie in diesem Zusammenhang als eine Art Antrittsbotschaft und zum Auftakt Ihres Vorstandsvorsitzes den Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten, kurzum: den Mitgliedern der DATEV besonders an Herz legen?

DR. ROBERT MAYR: Viele der neu entstehenden Services werden datenbasierte Be­ra­tungs­pro­dukte sein, die ohne die beschriebenen technischen Voraussetzungen nicht möglich wären. Wir als DATEV nehmen die Aufgabe wahr, diese Möglichkeiten aufzuzeigen und beim Transfer in digitale Services oder datenbasierte Geschäftsmodelle unsere Expertise anzubieten. Alles dient letztlich einzig dem Geschäftserfolg unserer Mitglieder – heute und auch in Zukunft. Aber um im Driver‘s Seat der Digitalisierung Platz zu nehmen, dafür gibt es kein Patentrezept.
Digitalisierung heißt: Komplexität meistern. Mit einer Prise Selbstvertrauen, Mut und Offenheit werden wir diesen Wandel nicht einfach nur mitgehen, sondern ihn gemeinsam mit Ihnen gestalten. Darauf freue ich mich!

Herr Dr. Mayr, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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DATEV aktuell 01/2016: Mit digitalen Lösungen die Zukunft aktiv gestalten, Mai 2016, Art.-Nr. 31261

Zu den Autoren

Andreas Fischer

Presse und Public Relations, DATEV eG

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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