Handelsrecht - 20. Mai 2019

Auch wenn es bitter schmeckt

Trotz einer zwei­jährigen Über­gangs­zeit zwischen Re­fe­ren­dum und dem geplanten Aus­tritts­termin Groß­bri­tan­niens aus der Euro­pä­ischen Union gelang es nicht, den Brexit für alle Seiten zu­frieden­stel­lend zu regeln.

Ist es wirklich schon so spät? Ja, denn mit Ende des 29. März 2019 war der Übergangszeitraum, welcher der britischen Austrittserklärung folgte, abgelaufen und verlängert bis voraussichtlich Ende Oktober 2019. Am 23. Juni 2016 hatten 51,89 Prozent der Wähler für den Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der Europäischen Union (EU) gestimmt. Am 29. März 2017 teilte die Regierung des UK diesem Votum folgend dann der EU seinen beabsichtigten Austritt auf dem hierfür vorgesehenen Weg mit. Seitdem war der Brexit in aller Munde und es hatte den Anschein, als würden verschiedene Kräfte immer neue Anläufe unternehmen, um den Austritt aus der EU vielleicht doch noch zu verhindern. In Schottland und Irland regten sich durch den Brexit angefeuerte Widerstände gegen die Zugehörigkeit zum UK. Und gegen Theresa May als Regierungschefin wurde ein, allerdings gescheitertes, Misstrauensvotum gestellt. Im Laufe der Monate wurde dann allen Beteiligten klar, dass der Brexit bevorsteht. Tatsächlich wahrnehmbar wurde er aber erst kurz vor dem ursprünglich geplanten Ausstiegszeitpunkt, als Aktivität auf beiden Seiten des Kanals entfaltet wurde und sich die Ereignisse überschlugen. Inzwischen scheiterten bereits drei Versuche der britischen Premierministerin, das Brexit-Abkommen mit der EU durch das Parlament zu bringen. Einen Austritt ohne Vertrag oder eine andere Alternative zum Abkommen mit der EU versagte das Unterhaus der Premierministerin auch. Notgedrungen stimmte die EU nun der Bitte Großbritanniens auf Verschiebung des EU-Austritts bis zum Oktober dieses Jahres zu. Daher stellt sich mittlerweile die Frage, ob das alles nur politisches Geplänkel war oder ob der Brexit wirklich so tief greifende Folgen für die Bürger Großbritanniens und der EU mit sich bringen wird? Verkürzt gesagt, dürften die Folgen tatsächlich, wenn auch nicht auf den ersten Blick erkennbar, tief greifend sein. Denn die EU wurde als Wirtschafts- und Zollunion gegründet. Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten soll nicht durch Zölle und andere Abgaben beschränkt werden. Genau diese Vereinfachung des Handels entfällt, wenn es doch noch zum Brexit kommt.

Im- und Export

Unternehmen, die international tätig sind, kennen die Probleme, die der Im- und Export von Gütern mit sich bringen kann. Zwar kann man die faktischen Probleme oft durch Einschaltung eines Zollagenten abmildern, ein Kostenpunkt bleibt die Verzollung dennoch. Und demnach ist zu befürchten, dass Warenlieferungen von und nach Großbritannien nach dem Brexit faktisch erheblich erschwert werden können. Dem steht zwar die am 25. November 2018 verabschiedete Erklärung zum Austritt des UK aus der EU (Erklärung) entgegen, die in Nummer 16 zunächst festhält, dass die Parteien (EU und UK) über 45 Jahre wirtschaftlich verflochten waren, und dass die Parteien eine ambitionierte, weitreichende und ausgewogene ökonomische Partnerschaft vereinbaren werden (Nummer 17). Sie soll auch eine Freihandelszone umfassen. Die Parteien werden schließlich eine Handelsbeziehung aufbauen, die so nah wie möglich ist (Nummer 20). Wie genau das aber aussehen wird, muss die Praxis zeigen, sodass weiterhin eine erhebliche Unsicherheit besteht.

Zölle

Erste Unternehmen haben sich deswegen Zwischenlager angelegt oder aber ihre Lagerbestände erhöht.

Bis diese Partnerschaft tatsächlich verabschiedet ist, greifen grundsätzlich die normalen Vorschriften des Zollrechts. Das bedeutet, dass der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der EU und dem UK genauso behandelt wird wie mit jedem anderen Drittstaat, sofern bis zum Austritt Großbritanniens kein Abkommen geschlossen wird. Ob ein deutsches Unternehmen also Waren aus Angola einführt oder aus England, ist dann rechtlich gesehen vollkommen das Gleiche. Das bedeutet, dass alle Warenlieferungen aus der EU ins UK wie auch umgekehrt alle Warenlieferungen aus dem UK in die EU zollrechtlich abgefertigt werden müssen. Bereits die Tatsache zollrechtlicher Abfertigungen wird zu zeitlichen Verzögerungen führen und nicht nur Just-in-time-Lieferketten gefährden. Erste Unternehmen haben sich deswegen Zwischenlager angelegt oder aber ihre Lagerbestände erhöht, um die negativen Folgen eines Ausstiegs abzufedern. Da der Brexit nun seit mehr als zwei Jahren im Raum steht, dürfte selbst ein harter, also vertragsfreier EU-Austritt kein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne der Rechtsprechung mehr sein.

Vertragsfreiheit

Die gute Nachricht ist, dass sowohl auf bestehende Lieferverträge als auch für neu abzuschließende Verträge der Austritt des UK aus der EU – von den oben genannten zu erwartenden Kostensteigerungen – keine Auswirkungen hat. Bereits in Zeiten der Zugehörigkeit Großbritanniens zur EU bestand eine eigene Rechtsordnung. Diese wurde lediglich in hohem Umfang von der EU-Gesetzgebung beeinflusst. Das entfällt mit Blick auf die Zukunft grundsätzlich, wie auch Nummer 21 der Erklärung klarstellt. Zwischen Bürgern und/oder Unternehmern geschlossene Verträge unterliegen unabhängig von der Mitgliedschaft einzelner Staaten in der EU der Vertragsfreiheit. Weltweit, nicht nur innerhalb der EU, gilt das Prinzip der Privatautonomie. Das bedeutet, dass jede Person frei in der Gestaltung ihrer Verträge ist. Diese Freiheit ist auch der Grund dafür, dass die Vertragsparteien jeweils frei wählen können, welcher Rechtsordnung sie ihre Verträge unterstellen. Probleme bei Streitigkeiten aus Verträgen sind daher vorrangig in zweierlei Hinsicht vorstellbar. Zum einen kann sich dann, wenn die Unternehmen keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen haben, die Frage stellen, welches Recht auf den konkreten Vertrag angewendet wird. Zum anderen können sich Probleme bei der Vollstreckung von Urteilen ergeben.

Rechtswahlklausel

Der Austritt aus der EU hat auf eine eventuell getroffene Rechtswahl von bereits geschlossenen, also existierenden Verträgen keine tief greifenden Auswirkungen. Wenn eine Rechtswahl wirksam getroffen wurde, bleibt diese für die Parteien bindend. War keine ausdrückliche Wahl getroffen, gilt – soweit der Vertrag während der Zugehörigkeit des UK zur EU abgeschlossen wurde – für die Lösung die zum Zeitpunkt des Vertrags­schlusses geltende EU-rechtliche Vorschrift, hier die Rom-I-Verordnung. Also kommt es für bestehende Verträge faktisch zu keinen materiell-rechtlichen Auswirkungen. Soweit künftig Verträge geschlossen werden, ist aber die Aufnahme einer Rechtswahlklausel dringend zu empfehlen, um eventuelle Unsicherheiten zu vermeiden. Ansonsten muss man sich wohl an den im internationalen Privatrecht geltenden Grundsätzen festhalten lassen, wonach üblicherweise der Ort der Erbringung der vertragstypischen Leistung zur Anwendbarkeit des an diesem Ort anwendbaren Rechts führt.

Vollstreckung von Titeln

Problematischer dürfte aber die Frage sein, ob und wie denn gerichtliche Entscheidungen, die in einem EU-Mitgliedstaat getroffen worden sind, ab einem Austritt des UK aus der EU vollstreckt werden können. Denn die erst seit knapp zwei Jahren bestehende vereinfachte Vollstreckbarkeit von Titeln der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten in allen anderen EU-Mitgliedstaaten dürfte schlicht entfallen, sofern hier nicht noch explizit eine vertragliche Regelung getroffen wird. Und hier ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Anwendbarkeit der EU-Vorschriften nicht wie bei Verträgen der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern der Zeitpunkt des Vollstreckungsversuchs eines Urteils. Zwar haben die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien in der Vergangenheit ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung in Zivilsachen geschlossen, das grundsätzlich bei einem harten – also vertraglosen – Brexit zur Anwendung kommen dürfte. Jedoch sind hier faktische Erschwernisse der Vollstreckung nicht auszuschließen. Sicherheit wird hier bereits heute die Vereinbarung einer Schiedsklausel geben, denn das UK ist – wie zum Beispiel auch Deutschland – Mitglied des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New York Convention 1959). Danach werden Schiedssprüche, die in einem Mitgliedstaat erlassen wurden, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt. Dieses Verfahren hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten weltweit bei den Vertragsstaaten des Abkommens bewährt, und die betroffenen Gerichte haben eine eingeübte Praxis bei einem Vorgehen nach der New York Convention.

Gesellschaftsrechtliche Fragen

Schließlich ist auch das Schicksal der in Deutschland eingetragenen Zweigniederlassungen britischer Limited Liability Companies (Limited) fraglich. Das deutsche Gesellschaftsrecht an sich kennt einen sogenannten Numerus clausus der Gesellschaften. Das bedeutet dem Grunde nach, dass in Deutschland nur solche Gesellschaften zugelassen sind, die das deutsche Gesellschaftsrecht kennt. Bei Kapitalgesellschaften sind das die AG, die GmbH und die UG (haftungsbeschränkt) sowie Mischformen, wie zum Beispiel die GmbH & Co. KG. Nach der mehrheitlich vertretenen Sitztheorie ist für die Anerkennung einer Gesellschaft das Recht maßgeblich, das am Ort ihres Sitzes gilt. Sitz in diesem Sinne ist der Sitz der Verwaltung der Gesellschaft. Der rechtlich denkbare Anknüpfungspunkt, wo und nach welchem Recht die Gesellschaft gegründet ist – das wäre nach der abweichenden Gründungstheorie maßgeblich –, ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Gesellschaftsform demnach nicht erheblich. Diese Frage ist nicht nur auf dem Papier von Interesse, sondern sie stellt unter anderem die Weichen für die essenzielle Frage, ob die Haftungsbeschränkung im jeweiligen Land – hier in Deutschland – ihre Wirkungen entfaltet. Nur aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), eines Organs der EU, ist es auch möglich, Zweigniederlassungen von Gesellschaften anderer EU-Rechtsordnungen im deutschen Handelsregister eintragen zu lassen, dann den Verwaltungssitz zu verlegen und faktisch zu einer Anerkennung der Haftungsbeschränkung einer Limited in Deutschland zu gelangen. Hintergrund für diese Entscheidung war, dass eine abweichende Rechtsauffassung faktisch zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von EU-Bürgern oder EU-Gesellschaften führen würde. Dieses Argument an sich entfällt aber für englische Gesellschaften nach einem Austritt aus der EU. Sie drohen zur offenen Handelsgesellschaft (OHG) oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zu werden und dabei ihre Haftungsbeschränkung zu verlieren. Denn eine Limited erfüllt nicht eo ipso die Voraussetzungen einer GmbH, sodass sie nicht ohne weiteres Zutun in eine solche umgewandelt werden könnte. Zu erwägen ist daher, hier kurzfristig und rechtzeitig aktiv zu werden, um unnötige Risiken zu vermeiden.

Ausblick

Unternehmer, die geschäftlichen Kontakt zum UK haben, sollten daher eventuelle Risiken bewerten lassen und jetzt entsprechend reagieren. Denn die Auswirkungen des Brexits können mit Blick auf die Zukunft gravierend werden. Bereits einfache Maßnahmen wie eine Verständigung der Parteien innerhalb einer Lieferkette, um etwaige negative Folgen des Brexits abzufedern, können erste Schritte zur Schadensvermeidung sein.

Zum Autor

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Frank J. Bernardi

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Partner bei Rödl & Partner in Eschborn

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