Drei Stimmen - 23. Mai 2018

Argumente, die überzeugen: Marcel Kruse

Den Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Marcel Kruse aus Winterberg im Sauerland irritierte der sperrige Begriff Steuerbürger-Szenario zunächst. Zudem vermisste er einen Businessplan mit validen Zahlen. Im Interview erklärt der Partner der Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaft Kruse und Brickstein, warum er die strategische Ausrichtung einer ge­nos­sen­schaft­lichen Plattform dennoch immer befürwortet hat.

Das Steuerbürger-Szenario. Wie gefällt Ihnen der Name?

Marcel Kruse: Bei der ordentlichen Vertreter­ver­samm­lung im letzten Jahr bin ich über den Begriff gestolpert und konnte mir erst wenig darunter vorstellen. Dieser Terminus Steuerbürger – ich finde ihn relativ sperrig.

Was würden Sie präferieren? Steuerpflichtige?

Marcel Kruse: Klar ist das ein Steuerbürger, über den wir uns unterhalten. Ich denke aber marktorientiert und meine, mit so einem Begriff erreicht man draußen nie­man­den. Sollte die Plattform kommen, wird sie sicher auch anders heißen, ich bin schon gespannt.

Stichwort Plattformökonomie. Haben Sie sich schon vorher mit dem Thema beschäftigt?

Marcel Kruse: Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt. Auch vorher. Unsere Kanzlei befindet sich in Winterberg im Sauerland, und wir betreuen dementsprechend viele Gastronomie- und Hotelleriemandate. Da macht man sich ­automatisch über Plattformanbieter Gedanken. Beispielsweise beim Thema Booking. Wie kriegt man mehr Direktbuchungen hin? Wie vermeidet man Provisionszahlungen? Oder wie erreicht man insgesamt eine bessere Sichtbarkeit?

Sie könnten als Steuerberater aber auch selbst von den negativen Auswirkungen einer Plattformökonomie betroffen sein …

Marcel Kruse: Ich bin als Vertreter in der Vertreterversammlung und im Vertreterrat und dessen Ausschuss 1. Da habe ich mich natürlich auch für den Berufsstand damit auseinandergesetzt. Deswegen kenne ich die emo­tio­nalen Diskussionen in den beruflich relevanten Medien zum Thema. So wird man unweigerlich auf Lösungen oder auf Marktbewegungen aufmerksam, die im Gange sind und die man sich intensiver anschaut. Auch, um zu sehen, was man für die eigene Kanzlei davon nutzen kann oder welche Auswirkungen das auf den Berufsstand hat.

Worin besteht Ihre Kritik gegenüber dem Steuerbürger-Szenario?

Marcel Kruse: Auch da muss ich noch einmal auf die ordentliche Vertreter­ver­samm­lung im letzten Jahr zu sprechen kommen. Da war es noch nicht klar, ob wir eine Satzungsänderung brauchen. Dann hat sich die Satzungskommission konstituiert und letztendlich einen Vorschlag präsentiert, der eine komplette Öffnung der Satzung vorschlug. Da fühlt man sich natürlich überrumpelt. Und ich war nicht der Einzige. Die Kommunikation dazu war nicht optimal. Für mich als Wirtschaftsprüfer war es ein großes Manko, dass bis zur außerordentlichen Vertreterversammlung kein Businessplan mit Zahlen vorgelegt wurde. Das war meines Erachtens zu spät. Um hier aber noch einmal zu differenzieren: Wenn Sie sich mit den Kollegen unterhalten, dann glaube ich kaum, dass sich da ein großer Anteil gegen ein Plattform-Szenario ausspricht. Das Problem ist immer, ob wir das Risiko eingehen, fundamentale Grundsätze der Genossenschaft, in diesem Fall die Satzung, so weitreichend zu verändern.

Welche Argumente haben Sie von einer DATEV-Plattform überzeugt?

Marcel Kruse: Die Verfolgung der Strategie habe ich nie infrage gestellt. Wir als steuerberatender Berufsstand und folglich auch als Genossenschaft, die den Steuerberatern gehört, müssen unsere Marktposition ausbauen und uns zukunftsfähig aufstellen. Um wirklich nachhaltig auch gegenüber dem Wettbewerb in einer Art und Weise agieren zu können, wie es sinnvoll ist, muss in letzter Konsequenz eben auch die Satzung geändert werden. Ich habe mich anfangs nur gefragt: Muss das so weit gehen? Die eingebauten Kon­trollmechanismen sind für mich letztlich der Grund, auch in diesem Punkt voller Überzeugung mitzugehen. Ich spreche von der Berichtspflicht des Vorstands, davon, dass der Aufsichtsrat zustimmen muss und der Vertreterrat ein An­hö­rungs­recht hat.

Sie gehen also nicht davon aus, dass DATEV mit der Plattform primär eigene Interessen verfolgen könnte?

Marcel Kruse: Nein, würde DATEV an den Steuerberatern vorbeiagieren, hätte das für Vorstand und Aufsichtsrat haftungsrechtliche Konsequenzen. Auch mit einer geänderten Satzung ist das unrealistisch. Trotz der Kom­plexi­tät des Themas und der teilweise emotional geführten Debatten ist der Vorstand auf die Bedenken der Mit­glieder sachlich eingegangen; ein Glaubwürdigkeitsproblem kann ich insoweit nicht erkennen. Ich habe nicht den Eindruck, dass hier an uns vorbei Geschäfte gemacht werden sollen. Bei DATEV fühlen sich alle Mit­ar­bei­terinnen und Mitarbeiter dem Genossenschaftsgedanken verpflichtet – das weiß ich. So ein Spirit setzt sich eben auch in der Produktentwicklung fort, niemand würde dort auf die Idee kommen, ein Produkt zu konzipieren, das von vornherein darauf ausgelegt ist, direkt an den Markt gebracht zu werden.

Worin sehen Sie für sich und Ihre Kanzlei einen konkreten Nutzen in einer von DATEV bereitgestellten Plattform?

Marcel Kruse: Diese Frage habe ich mir auch gestellt, und zwar an einem konkreten Beispiel einer Mandantin. Wir haben sie jahrelang betreut mit Umsatzsteuer-Voranmeldung, Gewinnermittlung und allem, was dazu­ge­hört. Jetzt ist sie in ein Angestelltenverhältnis gewechselt und sagt zu mir: „Dann brauche ich die Steuer­be­ra­tung in dieser Form nicht mehr, ich kaufe mir ein WISO-Programm, dann ist das in Ordnung. Wenn ich jetzt diese Plattform habe, was mache ich dann?“ Dann sage ich ihr: „Nutz doch jetzt bitte die ­­DATEV-Plattform, da kannst du deine Steuererklärung genauso gut erledigen und hast deine Daten definitiv sicher in Deutschland, und du bist auch in Zukunft nur einen Klick von deinem Steuerberater entfernt.“ Dieser Klick entfernt ist für mich ein unmittelbarer Nutzen. Wenn jemand die Dienstleistung eines Steuerberaters braucht oder danach sucht, dann kommt die Seite dieser Plattform nach oben. Ich muss einfach eine enorme Sichtbarkeit und Auf­find­bar­keit generieren. Das kann ich bei dieser Plattform mit dem Sachverstand von 40.000 Steuerberatern kombinieren.

Was meinen Sie? Wie wird es im Juni ausgehen?

Marcel Kruse: Es wird auch eng werden. Ich glaube, es wird auch davon abhängen, wie die Stimmung auf der Vertreterversammlung im Juni wirklich ist.

Was geben Sie den Kritikern unter Ihren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg nach Nürnberg?

Marcel Kruse: Wenn wir diese Plattform auf den Weg bringen und die Satzung ändern, dann ist das eine Ent­schei­dung, die nur etwas Mut benötigt, ohne ein allzu großes Risiko zu bergen. Es gibt eben viele Bedenken, und ich kann sie auch nachvollziehen, denn wir operieren wie schon gesagt an den Grundfesten der Satzung der Genossenschaft. Aber wir haben wirksame Kontrollmechanismen eingezogen und im ersten Paragrafen der Satzung steht immer noch der För­de­rungs­grund­satz. Ich sehe einfach nicht so große Risiken, für mich überwiegt die Chance, dass wir allen Steuerpflichtigen die Kompetenz von 40.000 DATEV-Steuerberatern einfach zu­gäng­lich machen. Diese Chance ist für mich deutlich größer als die überschaubaren Risiken einer Sat­zungs­än­de­rung. Für mich als junger Familienvater ist es entscheidend, dass DATEV als Genossenschaft zukunftsfähig aufgestellt ist und Lösungen für die aktuellen Herausforderungen bietet.

Unser Gesprächspartner:

Marcel Kruse

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer aus Winterberg im Sauerland. Er ist Vertreter in der Vertreterversammlung und im Vertreterrat sowie im Vertreterrat Ausschuss 1.

Zum Autor

Dietmar Zeilinger

Redaktion DATEV magazin

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