DATEV-Vorstandsvorsitzender Dr. Robert Mayr bei den Regional-Info-Tagen 2018 - 8. März 2018

Von Digitalisierung, Plattformökonomie und einer zukunftsfähigen Satzung

Die ersten Termine der Regional-Info-Tage 2018 von DATEV sind absolviert. Eines steht jetzt schon fest: Das Thema Digitalisierung bewegt die DATEV-Mitglieder. Davon konnte ich mich auf dem Regional-Info-Tag in München selbst überzeugen …

Dabei ist das Thema natürlich nicht neu – schon auf den Regional-Info-Tagen 2017 ging es vor allem um die Frage, was die Digitalisierung für die Kanzleien bedeutet. Und doch habe ich den diesjährigen Regional-Info-Tagen mit besonderer Spannung entgegengesehen, schließlich finden sie kurz nach unserer außerordentlichen Vertreterversammlung statt, die am 19. Februar über eine Änderung der DATEV-Satzung abgestimmt hat. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, möchte ich Ihnen im Folgenden erläutern.

Über die Herausforderungen der digitalen Transformation haben Sie hier im Blog und an anderer Stelle schon viel gelesen. Genau diese Herausforderungen haben meine Vorstandskollegen und mich auch bewegt, lange bevor klar wurde, dass eine Satzungsänderung ein wichtiger Baustein für die Gestaltung der Zukunft unserer Genossenschaft werden würde.

Am Anfang stand eine Erkenntnis, die heute wohl niemand mehr in Frage stellt: Wir befinden uns in einem Zeitalter der Plattformökonomie. Das bedeutet, dass die Anbieter digitaler Portale in allen Bereichen der Wirtschaft wichtiger werden. Sie schieben sich als Makler in die klassische Beziehung zwischen Kunde und Dienstleister, degradieren den Dienstleister zum reinen Produzenten ohne Kontakt zum Kunden und drängen ihn somit in den Hintergrund. Die Hotel- und Taxibranche hat bereits erleben müssen, wie dramatisch Plattformen in ihr Gewerbe eingreifen. Auch im Geschäftsfeld der steuerlichen Berater tauchen Portalanbieter am Markt auf. Immer mehr Mitbewerber drängen im Bereich Einkommensteuererklärung auf den Markt. Banken bieten bereits erste Angebote zur Belegablage und sogar zu einer einfachen Steuerdeklaration an. Mit Amazon tritt zudem ein sehr mächtiger Player in Erscheinung, der für E-Commerce Unternehmen die monatliche Erstellung ihrer USt-Erklärung möglich macht.

Die Plattformökonomie als Chance

Als Vorsitzender des Vorstands sehe ich es als wichtigste Aufgabe an, mit unserer Genossenschaft die Zukunftsfähigkeit der Mitglieder zu sichern. Dazu gehört, Marktentwicklungen zu beobachten, zu analysieren und hinsichtlich Chancen und Risiken für unsere Mitglieder zu bewerten. Die Stärke der Genossenschaft besteht dabei seit ihrer Gründung darin, dass wir gemeinsam Herausforderungen meistern können, die den einzelnen überfordern würden. Gerade weil wir gemeinsam diese Stärke haben, müssen wir die Plattformökonomie nicht als Bedrohung hinnehmen, sondern können sie uns als Chance zu Nutze machen.

Dies führte zur Plattformstrategie der DATEV, die wir in den letzten Monaten entwickelt haben: Statt zuzusehen, wie sich Dritte mit einer Plattform zwischen Steuerberater und ihre Mandanten schieben und damit die Berater in den Hintergrund drängen, möchte DATEV selbst Plattformen bauen und gestalten, die im Sinne der Genossenschaft den Mitgliedern neue Chancen und Zielgruppen erschließen und sie mithin zu Profiteuren von digitaler Transformation und Plattformökonomie machen.

Vom Steuerbürger zum Mandanten

Basierend auf dieser Strategie haben wir mit dem so genannten „Steuerbürger-Szenario“ eine erste konkrete Lösung konzipiert: Rund 13 Millionen steuerpflichtige Privatpersonen erstellen ihre Steuererklärung bisher selbst. Über eine neue DATEV-Plattform soll diesen Personen eine einfache Möglichkeit zur digitalen Deklaration gegeben werden – verbunden mit dem Angebot, bei komplexeren Fragen Kontakt zu einem DATEV-Mitglied aufzunehmen und sich beraten zu lassen. So wird aus dem Risiko eine Chance: Statt steuerliche Berater zu verdrängen, wie andere Plattformen das womöglich machen würden, rücken wir sie in den Mittelpunkt aller Überlegungen und bauen die Plattform so, dass sie durch die Anbahnung neuer Mandatsverhältnisse profitieren.

Gelegentlich lese ich in Diskussionen zum Thema, diese Privatpersonen seien als Mandanten nicht interessant. Das mag für diese Veranlagung stimmen, gegebenenfalls aber nicht mehr für dieselbe Person in ein paar Jahren. Vergessen Sie bitte nicht, dass wir über die Zukunft reden und in Zeiten leben, in denen etablierte Geschäftsmodelle viel schneller in Gefahr geraten, als man sich das aus einer Position wirtschaftlicher Stärke heraus vorstellen kann. Und wir leben in Zeiten, in denen sich unsere Kunden verändern: Ganze Generationen junger Menschen sind es inzwischen gewohnt, zuerst bei einer Suchmaschine nach Rat zu suchen, selbst wenn es um so sensible Themen wie Gesundheit und Medizin geht. Die Plattformökonomie macht sich genau diese Entwicklung zu nutze: Sie holt die Interessenten dort ab, wo sie sich täglich aufhalten: im Internet. Einen Steuerberater anzurufen oder gar aufzusuchen – auf diese Idee werden plattform-konditionierte Internet-Nutzer auch dann nicht mehr kommen, wenn Sie zu spannenden potenziellen Mandanten „gereift“ sind, etwa da sich ihre Vermögens- oder Einkommensverhältnisse geändert haben.

Notwendigkeit einer Satzungsänderung

Ausgehend von diesen Überlegungen führte uns der Weg zur außerordentlichen Vertreterversammlung, von der ich oben geschrieben habe. Denn bei unseren Strategieüberlegungen wurde schnell deutlich, dass unsere Satzung aus Zeiten stammt, in denen es noch keine digitale Transformation und Plattformökonomie gab. Eine zentrale genossenschaftliche Plattform aufzubauen und über Suchmaschinen gut auffindbar zu machen, die Privatpersonen bei der Erledigung ihrer einfachen Steuerfälle unterstützt, die also potenzielle Mandanten an die Genossenschaft bindet und den DATEV-Mitgliedern zuführt – das ist mit unserer heutigen Satzung nicht möglich.

Als Konsequenz erarbeitete eine Satzungskommission, die sich aus Mitgliedern aller DATEV-Gremien zusammensetzte, einen Änderungsvorschlag, der die Erweiterung des Geschäftsbetriebs der Genossenschaft mit sonstigen Nichtmitgliedern vorsah. Flankiert wurde der Vorschlag von zusätzlichen Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat, von einer Zustimmungspflicht durch den Aufsichtsrat und von einer freiwilligen Selbstverpflichtung des Vorstands, die unter anderem garantierte, dass es keinen funktionalen Vorsprung im Nichtmitgliedergeschäft gegenüber dem Mitgliedergeschäft geben wird. Der Vorstand hat sich diesen Vorschlag zu eigen gemacht und einen Antrag auf Satzungsänderung gestellt.

Zukunft gestalten nach der Vertreterversammlung

Auch wenn der Antrag denkbar knapp gescheitert ist – er verfehlte mit rund 74 Prozent um drei Stimmen die nötige Dreiviertelmehrheit –, hat die Abstimmung dennoch gezeigt, dass die große Mehrheit in der Vertreterversammlung den vom Vorstand eingeschlagenen Weg gutheißt und mitzugehen bereit ist. Die Bemühungen um die Zukunftsfähigkeit unserer Genossenschaft in Zeiten der digitalen Transformation einfach einzustellen, wäre fahrlässig und würde den Wunsch der Mehrheit der Vertreter ignorieren.

Daher verstehe ich das Ergebnis der Abstimmung als klaren Auftrag, am Thema weiterzuarbeiten, die vorgebrachten Bedenken sehr ernst zu nehmen, die Argumente zu schärfen und weiter für die angestrebte Satzungsänderung zu werben, so dass sie vielleicht schon in der kommenden ordentlichen Vertreterversammlung Ende Juni erneut zur Abstimmung gebracht werden kann. Nach intensiven Gesprächen mit dem Aufsichtsrat und den Vorsitzenden des Vertreterrats sehe ich das nicht nur als Möglichkeit, sondern als Aufgabe an. Und auch die intensiven Diskussionen auf den Regional-Info-Tagen bestärken mich darin: Unsere Mitglieder sind höchst interessiert am Thema! Die Nachfragen betreffen sowohl die Strategie als auch Details der möglichen Umsetzung. Dabei habe ich viel positives Feedback für unsere Plattformstrategie bekommen – und einen starken Rückenwind wahrgenommen, auch das Thema Satzungsänderung weiterzuverfolgen. Meine Kollegen berichten übrigens von einem ähnlich positiven Stimmungsbild auf den anderen Regional-Info-Tagen.

In den kommenden Wochen und Monaten liegt aber weiterhin viel Arbeit vor uns. Vor allem möchten wir unsere Mitglieder ausführlich informieren, in unseren Online-Medien und weiter im persönlichen Austausch auf unseren Veranstaltungen.

Die Zukunft – das unentdeckte Land

Am Ende des Tages kann keiner von uns sicher sein, wie der nächste Tag und der darauffolgende aussehen wird. Die Zukunft ist ein unentdecktes Land, und wir sind auf dem Weg dorthin, ohne genau zu wissen, was uns dort erwartet. Wir können uns nur so gut und so rechtzeitig wie möglich auf die Reise vorbereiten. Dabei bitte ich unsere Mitglieder herzlich um ihr Vertrauen! DATEV hat in den über 50 erfolgreichen Jahren ihres Bestehens niemals das Vertrauen der Mitglieder missbraucht und wird das auch in Zukunft nicht tun. Der Vorstand will vielmehr gemeinsam mit ihnen diese Erfolgsgeschichte fortschreiben.

Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

Weitere Artikel des Autors