Vor gut einem Jahr startete DATEV das Projekt FIBU-Automatisierung. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Buchungsautomaten der Zukunft, der künftig den DATEV-Mitgliedern die Arbeit erleichtern soll? Im Interview gewährt Projektleiter Dr. Thilo Edinger Einblicke und erklärt, wie künstliche Intelligenz trainiert wird.
Herr Dr. Edinger, wie bucht man heute und wie bucht man morgen?
Heute bucht man entweder komplett händisch mit den Papierbelegen auf dem Schreibtisch oder schon digital mit den Belegen in Unternehmen online. Zudem können bereits seit einigen Jahren Kontoauszüge direkt für das elektronische Bankbuchen zur Verfügung gestellt werden. In Zukunft können standardisierte Geschäftsvorfälle wie Eingangsrechnungen, Ausgangsrechnungen, Zahlungen und Rechnungsausgleich von einem technischen System gebucht werden.
Was ist das Ziel der FIBU-Automatisierung?
Das Hauptziel ist die Unterstützung der FIBU-Sachbearbeiter in Kanzleien von DATEV-Mitgliedern, indem wir sie von Routineaufgaben entlasten, damit sie sich auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren können, bei denen eine Einzelwürdigung und entsprechendes Wissen erforderlich ist.
Werden FIBU-Sachbearbeiter in der Kanzlei aufgrund der Automation ihren Job verlieren?
Der Anteil der händischen Arbeit wird in der Tat sinken. Auf der anderen Seite wird es für Kanzleien immer schwieriger, überhaupt FIBU-Sachbearbeiter zu gewinnen. Wenn wir durch die Automatisierung die einfachen Arbeiten abnehmen, dann mildern wir dieses Problem. In der Gesamtsicht kompensieren sich diese beiden Effekte. Zudem bleibt endlich mehr Zeit für die persönliche Beratung der Mandanten. Also: Nein, die FIBU-Sachbearbeiter werden nicht ihren Job verlieren.
Aktuelle Finanzbuchführung und tagaktuelle Auswertungen
Welches Problem löst die FIBU-Automatisierung bzw. welche konkreten Mehrwerte haben die Kunden davon?
Die FIBU-Automatisierung löst mehrere Probleme: Die Buchführung wird wegen der monatlichen Termine zur Umsatzsteuervoranmeldung oft unter hohem Zeitdruck erstellt. Die Belege kommen dabei meist sehr spät in die Kanzlei. Das bedeutet Stress und eine hohe Arbeitsbelastung. Die FIBU-Automatisierung kann diese Belastung mindern, indem sie tagaktuell jeden Beleg, sobald er kommt, automatisch verarbeitet.
Der zweite Nutzen ergibt sich für den Mandanten: Wenn die Belege und Zahlungen laufend automatisch gebucht werden, kann der Steuerberater dem Mandanten eine aktuelle Finanzbuchführung zur Verfügung stellen und ohne größeren Mehraufwand tagaktuelle Auswertungen beispielsweise zu Liquidität und Finanzstatus anbieten. Das Thema Liquidität ist im Mittelstand ganz entscheidend, denn viele Geschäftsmodelle funktionieren im Grunde, aber die Mittel sind nicht verfügbar.
Muss der FIBU-Sachbearbeiter künftig mehr prüfen müssen??
Wenn ich ein neues Assistenzsystem im Auto bekomme, schaue ich mir das am Anfang sehr genau an, bekomme langsam ein Gefühl für das System und baue Vertrauen auf. Ich muss auch wissen, wie weit ich dem System vertraue. Es ist wichtig, dass man das Zusammenspiel von System und Mensch individuell gestalten kann. Wir werden deshalb Stellschrauben anbieten, mit denen die Menschen bestimmen können, wie weit das System gehen soll und wo sie eingreifen wollen. Wenn man mit einem automatischen System Ergebnisse produziert, muss man tatsächlich im Anschluss Prüfroutinen etablieren, damit man Fehler rechtzeitig aufdeckt. Das heißt, der Sachbearbeiter erstellt nicht mehr die FIBU, sondern überprüft und überwacht das System. Das ist eine andere Arbeit als heute.
Wer ist die Hauptzielgruppe der FIBU-Automatisierung?
Wir haben im ersten Schritt einfache Mandate im Blick, die insbesondere davon geprägt sind, dass Eingangs- und Ausgangsrechnungen im Mittelpunkt stehen, die mit Zahlungen verknüpft sind, die keine besonderen Branchenspezifika haben und die keine eigenen DV-Systeme bzw. ERP-Systeme nutzen.
Programme starten, Funktionen aufrufen, Dateien hochladen – alles automatisch
Wie wird die Automatisierung in der Praxis für Mandant und Steuerberater aussehen?
Grundlage ist, dass der Mandant seine Belege digitalisiert oder bereits digitale Belege, zum Beispiel im ZUGFerD-Format, zur Verfügung stellt, und dass er den Steuerberater für den Zugang zu den Bankkontoinformationen freischaltet. Für den Mandanten muss sich ansonsten nichts ändern. Ob die FIBU händisch oder automatisch erstellt wird, macht für den Unternehmer keinen Unterschied, außer dass er im zweiten Fall tagaktuelle Informationen erhält. Für die Kanzleimitarbeiter ändert sich mehr. Sie werden entlastet von lästigen Routinetätigkeiten – Programme starten, Funktionen aufrufen, Dateien hochladen – das alles kann automatisch erledigt werden. Der Hauptunterschied liegt in der Buchungserzeugung und der Verknüpfung der Buchführungsinformationen mit den Beleginformationen. Heute haben wir eine Online-Lösung und eine On-Premise-Lösung. Mit der FIBU in der Cloud entfällt diese Hürde.
Die Verarbeitung oder das Festschreiben – macht das auch der Automat oder nach wie vor der Mensch?
Kleine Beträge verarbeitet der Automat immer selbständig, größere Beträge ab X Euro nie, der Rest geht in eine Nachbearbeitung. Die Parameter dafür setzt der Mensch. Die Maschine entscheidet anhand der Parameter, ob die Wahrscheinlichkeit, korrekt zu buchen, für sie hoch genug ist oder ob sie die Buchung dem Menschen zur Prüfung vorlegt. In letzterem Fall füllt die Maschine alle Felder aus, der Mensch kontrolliert nur noch. Das Besondere an der künstlichen Intelligenz ist: Sie kann auch mit weicheren Informationen und unstrukturierten Informationen umgehen und sie entscheidet selbst, ob sie sich den Treffer zutraut oder nicht. Die Festschreibung erfolgt durch den FIBU-Sachbearbeiter, denn die Verantwortung bleibt beim Menschen.
Ist der FIBU-Automat tatsächlich intelligent oder stehen nur programmierte Routinen dahinter?
Die künstliche Intelligenz setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen. Wir haben einerseits das Buchführungswissen, für das DATEV wie kein anderer in Deutschland steht. Wir haben die Algorithmen. Das ist im weitesten Sinne Statistik und die gibt es seit Jahrzehnten. Geändert haben sich die Rechenleistung, die in den letzten Jahren exponentiell gestiegen ist, und die Verfügbarkeit von Daten, die durch das Internet und die Vernetzung der Welt ebenfalls immens gewachsen ist. Aus diesen vier Komponenten kann die künstliche Intelligenz wachsen. Die Mathematik ist also nicht das allein Entscheidende, sondern die Kombination mit der Rechenleistung und den verfügbaren Daten machen die künstliche Intelligenz aus, die allerdings nicht mit der des Menschen vergleichbar ist, denn es ist eine Intelligenz in einer Einzeldisziplin. Das kann man sich wie einen Taschenrechner vorstellen. Er beherrscht genau diese eine Disziplin und ist nur in dieser Disziplin dem Menschen überlegen.
Können Sie in einfachen Worten beschreiben, wie dieser Automat funktioniert?
Das System wird mit möglichst vielen Daten gefüttert, erkennt Muster in den Daten und erstellt aus diesen Mustern so etwas wie Entscheidungsbäume. Daraus werden Modelle trainiert, die dann angewendet werden. Der Beleg läuft durch diese intelligenten, dynamischen Modelle, die für den Beleg die korrekten Buchungssätze erstellen.
Wie lernt der Automat?
Wir kodieren keine Regeln, im Sinne von: Wenn X dasteht, dann buche Konto Y. Das System wird in einer speziellen Entwicklungsumgebung, vergleichbar einem Trainingslager, trainiert. Ist es fit genug, dann wird es in die Produktion übergeben und geht damit in den Echtbetrieb. Zudem wird das System immer weiter lernen. Hierfür gibt es Rückkopplungsschleifen. Wenn das System eine Buchung vorschlägt und der Anwender das Sachkonto ändert, dann bekommt das System die Rückmeldung darüber, dass sich der Anwender anders entschieden hat und lernt daraus. Deshalb braucht man intelligente Feedbackschleifen und kann nicht mit Versicherungsmathematik rangehen.
Sie sprechen von einem Trainingslager für den Automaten. Wie kann man sich das denn vorstellen?
Das ist eine geschützte Zone, in der wir mit Echtdaten von über hundert Beständen arbeiten, für die wir eine technische und rechtliche Zustimmungserklärung haben. In dieser Trainingszone arbeitet ein Team hoch qualifizierter Kollegen: Data-Engineers, Data-Scientists, Onlineentwickler, aber auch Buchführungsexperten. Diese Kollegen füttern das System mit Daten und mit den entsprechenden Parametern. Der Automat versucht, die ersten Muster zu erkennen und erstellt seine ersten Buchungen. Diese Buchungen vergleichen wir mit den Buchungen der FIBU-Sachbearbeiter. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Ergebnis des Menschen nicht automatisch das richtige sein muss, denn auch die machen Fehler. Die Ergebnisse bewerten wir und erhalten damit wieder neue Trainingsimpulse. Das ist ein bisschen wie im Fußball. Wenn man härter schießen will, übt man nicht nur das Schießen, sondern überlegt, welchen Muskel, welche Technik man trainieren muss und ob man mit einem Gymnastiktrainer die Schusskraft verbessert.
Was wird das Besondere an der DATEV-Lösung sein?
Das Besondere ist die verfügbare Datenmenge. Wir nehmen nicht alle Daten, die wir haben, sondern nur die, zu deren Verwendung wir berechtigt sind. Das sind in der Genossenschaft aber immer noch ganz schön viele. Die zweite Besonderheit ist die Rechtssicherheit der DATEV-Lösung. Wir reden von Berufsrecht, wir reden von Datenschutz und wir reden von der neuen Datenschutzgrundverordnung, in der die Betroffenenrechte nochmal sehr viel klarer und schärfer geregelt sind. Wir reden hier über die Grund-DNA der DATEV. Dem Berufsstand geben wir damit Mittel an die Hand, die State of the Art sind, verbunden mit unseren Grundwerten Datenschutz, Sicherheit und Vertrauen. Die DATEV-Grundwerte machen den Unterschied.
Wie weit ist das Projekt Stand heute?
Bis Februar haben wir uns mit der Betriebsstabilität im Rechenzentrum befasst, damit, dass das System schnell und sicher ist und auch wirtschaftlich läuft. Auf dieser Basis konzentrieren wir uns nun auf die FIBU-Funktionen. Der Buchungsautomat wird weiterentwickelt, es laufen Kundeneinbezugsmaßnahmen an und auch das Oberflächen-Design wird vorangebracht. Wir sind auf einem guten Weg.
Wann soll die FIBU-Automatisierung dem Kunden zur Verfügung stehen?
Von einem konkreten Freigabetermin haben wir Abstand genommen. Es gibt keine klassische Pilot- und Stabiphase und dann die Freigabe. So funktioniert das mit diesem System nicht. Stattdessen wird es mehrere Stufen geben. Einen Demobetrieb, in dem wir mit Echtbeständen auf dem eigenen Notebook in die Kanzleien fahren, wo sozusagen zweimal gebucht wird: in unserem System und klassisch mit Kanzlei-Rechnungswesen. Anschließend wird es mit kleinem Funktionsumfang eine sehr frühe Pilotierung (Closed Beta) geben. Während dieser Zeit ergänzen wir weitere Funktionen, holen uns die Rückkopplungen zu den Prozessen und passen auch den bisherigen Entwicklungsstand nochmal an. In die Freigabe gehen wir erst, wenn wir einen hinreichenden Nutzen für unsere Kunden stiften können. Momentan rechnen wir mit einer Freigabe im Laufe des Jahres 2019.