- 4. Dezember 2012

Der E-Mail-Wahnsinn

… titelte das Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 27.11.2012. Und unwillkürlich musste ich weiter lesen. Wer von uns hat sich noch nicht über die enorme Flut von Mails geärgert? Wer kennt nicht die nervtötende Wirkung der lapidaren Bildschirmanzeige „Sie haben 115 ungelesene Mails in ihrem Postfach“, nur weil man eben mal ein paar Tage nicht…

Prof. Dieter KempfDas betrifft mich doch auch! Und dann kommt im Artikel wirklich überraschendes zu Tage! So wird berichtet, dass bei Volkswagen ab 18:15 Uhr keine E-Mails mehr empfangen werden können. Bei Daimler können Mitarbeiter alle eingehenden Mails in ihrer Abwesenheit automatisch löschen lassen. Und der Chef von Henkel verbietet sich sogar die Zusendung von Mails zwischen Weihnachten und Neujahr.

Ganz ehrlich: Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht über die Mailflut ärgere. Über jene Mails, bei denen ganz offenkundig ist, dass sich der Versender keinerlei Gedanken darüber gemacht hat, wer weshalb in die Adressliste oder ins „cc“ genommen werden soll. Oder die Vielzahl von Mails, die ich von Seminarveranstaltern zur Werbung für ihr neuestes und wichtigstes Seminar bekomme. Den bahnbrechenden Ergebnisbericht eines mehr oder weniger bekannten Instituts oder Unternehmens, den ich nicht versäumen darf, obwohl ich mich nicht erinnere, dass mich das Thema der Untersuchung je interessiert hätte, bis hin zu den vielen Mails wohlmeinender Freunde, die mich auf den neuesten Joke im Internet hinweisen wollen. Und weil sie mir das eigenständige Finden nicht zutrauen, die 30MB große Videodatei gleich mit angehängt haben. Da kommt dann große Freude auf, wenn ich meine Mailbox via UMTS aktualisiere, weil ich wieder mal unterwegs bin.

Aber deshalb die Nutzung einschränken? Den Versand von Mails zu bestimmten Tagen oder Uhrzeiten verbieten? Brauchen wir wirklich neue Regeln, um zu einem sinnvollen Umgang mit dem Medium zu kommen? Ich selbst schreibe z.B. häufig Mails während der Sonntags-Abend-Krimi-Zeit. Aber nicht weil ich testen will, ob außer mir noch jemand am PC sitzt, sondern weil ich (im Gegensatz zum Rest meiner Familie) schwedischen Krimis nichts abgewinnen kann. Und natürlich erwarte ich nicht, dass jemand diese Mail am Sonntag liest. Aber ich konnte meinen Teil der Arbeit erledigen. Und je nach Wichtigkeit kann der Empfänger sie am Montag oder den darauf folgenden Tagen bearbeiten.

Deshalb meine Bitte: Keine neuen Regelungen zur Beschränkung von Freiheiten, die moderne Kommunikationstechniken bieten, aber ein vernünftiger Umgang damit. Überlegen Sie genau, ob wirklich so viele Personen von ihrer Mail in Kenntnis gesetzt werden müssen. Niemand erwartet, dass Mails, die Sie außerhalb der Arbeitszeit erhalten, von Ihnen auch außerhalb der Arbeitszeit gelesen werden. Jeder versteht, dass Sie während Ihres Urlaubs keine Mails lesen oder gar bearbeiten. Nutzen Sie den Abwesenheitsassistenten und weisen Sie den Versender auf Ihre Vertretung hin. Und glauben Sie mir: Wäre es eine Nachricht, die keinen Zeitversatz bei der Bearbeitung duldet, dann wäre sie auch nicht per Mail versandt worden!

Ihr Dieter Kempf

Zum Autor

Prof. Dieter Kempf

Vorstandsvorsitzender der DATEV eG und Präsident der BITKOM – Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.

Weitere Artikel des Autors