Anfang der neunziger Jahre – ich war damals in einem Werk der Automobilsparte von Siemens in den USA tätig – kam die MIT-Studie zur Lean Production (Toyota Production System) heraus. Es gab einen riesigen Hype um das Thema!
Das Buch „The Machine that changed the World“ der Studienautoren James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos war rasch vergriffen. In der deutschen Industrie wurde zunächst vielfach gewitzelt, dass man nicht vorhabe, magersüchtig zu werden (wegen engl. lean zu Deutsch mager). Ein ganzheitliches Qualitätsverständnis, welches dem Total Quality Management entspricht, gebe es ja bereits seit vielen Jahren in Deutschland… Heute sind Prinzipien des Lean-Managements und der Lean-Production in annähernd jedem erfolgreichen deutschen Industrieunternehmen eine Selbstverständlichkeit. TQM ist der weltweit am meisten genutzte Management-Ansatz.
Zeitlich etwas später als lean entstanden die Grundgedanken zu agile und mündeten im agilen Manifest im Jahr 2001. Eine enge Verwandtschaft verbindet die beiden Denkschulen: Agile hat seinen Fokus primär auf der Software-Produktion, letztlich geht es aber generell um ein zeitgemäßes Organisationsverständnis. Vor dem Hintergrund des verschärften Zeitwettbewerbs und der gestiegenen Komplexität der Marktanforderungen, braucht ein Unternehmen beides: lean & agile.
Innovationen und Bestandsgeschäft
Im Sinne der sogenannten Ambidextrie (griechisch: Beidhändigkeit) müssen sowohl Bestandsgeschäft, als auch die Implementation von Innovationen gleichermaßen erfolgreich sein. Ich meine, man muss die Methoden (bei lean: kanban, just in time, KVP etc.; bei agil: Scrum, standup meetings, design thinking etc.) differenziert anwenden – auf Standardgeschäftsprozesse einerseits und auf Innovationsprozesse andererseits.
Die grundlegende Zielsetzung ist jedoch vor dem Hintergrund des Zeit- und Innovationswettbewerbs aus meiner Sicht unverzichtbar: bedingungsloser Kundennutzen, Adaptionsfähigkeit, kontinuierliche Prozessverbesserung, interdisziplinäre Teams, kurze Entscheidungswege, mehr Eigenverantwortung und eben mehr Innovationsfreude. Neben einer mitreißenden User Experience der Produkte und Dienstleistungen gehört für mich ebenso eine motivierende Employee Experience hinzu: Eine Arbeitskultur, in der es Spaß macht, sich mit neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Agilität ist für mich eine Haltung, ein Mindset. Sie erfordert Kooperationsformen, die den Menschen und dessen Interaktionen wichtiger nehmen als die überkommenen Organisationsprinzipien der Arbeitsteilung und des Taylorismus.
Über den Autor
Jörg von Pappenheim begann nach dem Studium der Rechtswissenschaften seine berufliche Laufbahn im Personalbereich bei Siemens. Anfang 1997 wurde er Personalchef des Rodenstock-Konzerns in München. Seit 2004 ist er Mitglied des Vorstandes der DATEV eG. in Nürnberg, IT-Dienstleister für Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer sowie deren Mandanten. Zu seinem Ressort gehören die Bereiche Personal, Gebäude und Umwelt.
Über wechselnde Unternehmen hinweg galt sein Hauptinteresse immer den Menschen im Unternehmen, dem Wandel und der Nachhaltigkeit. In Fachbüchern, Artikeln und Vorträgen bezieht er Stellung zu nachhaltiger Unternehmensführung und strategischer Personalarbeit. Jörg Rabe von Pappenheim ist verheiratet und hat drei Kinder. In der Freizeit liebt er das Joggen, Skifahren und Reisen.