Die Arten der beruflichen Betätigung haben sich bei den freien Berufen gravierend gewandelt. Die Rechtswirklichkeit von heute ist nicht mehr die von gestern. Darauf muss das Recht reagieren.
Im Themenplan zum 70. Deutschen Juristentag Mitte September 2014 in Hannover hieß es: „Recht ist eine lebendige Sache. Gesellschaftliche Gegebenheiten verändern sich, ebenso politische wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen, und das Recht sollte diesen Entwicklungen Rechnung tragen.“ Die Kernfrage ist: Was macht den Anwalt, den Arzt, den Steuerberater, den Wirtschaftsprüfer aus? Nicht die Rechtsform, in der er – allein oder mit anderen Berufsträgern – seinen Beruf ausübt, und auch nicht die Rechtsgrundlage, auf der er tätig ist, sondern die Eigenständigkeit, die Weisungsfreiheit in der Sache, die Wahrung der Core Values, die den betreffenden Beruf prägen, sowie die Übernahme persönlicher Verantwortung für das Ergebnis der Leistung. Vor dem Hintergrund der nachhaltig veränderten Rechtswirklichkeit haben die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 2014 zur Versicherungspflicht angestellter Rechtsanwälte in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur die Anwaltschaft aufgeschreckt; sie strahlen auch auf die anderen freien Berufe aus, deren Angehörige im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses tätig sind.
Ärzte
Am leichtesten tun sich die Ärzte, für die es in § 1 Abs. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO) heißt, dass der Beruf des Arztes seiner Natur nach ein freier Beruf ist. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers die „Freiheit des ärztlichen Tuns“ gewährleistet werden, unabhängig davon, in welcher Form der Beruf ausgeübt wird. Auch der angestellte Arzt fällt deshalb unter § 1 Abs. 2 BÄO. Es muss nur in dem Anstellungsvertrag sichergestellt sein, dass der Arzt in seiner ärztlichen Tätigkeit keinen Weisungen von Nichtärzten unterworfen ist und das Kernstück der ärztlichen Profession, die Therapiefreiheit, also die Entscheidung über das Ob und das Wie einer Behandlung, gewahrt bleibt. Ist das der Fall, dann übt der Arzt den für ihn typischen Beruf aus und ist nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien – mit der Folge, dass sich in den Ärztekammern sowohl angestellte, namentlich Klinikärzte, als auch niedergelassene Ärzte zusammenfinden. Die angestellten Ärzte bilden in den Ärztekammern sogar die Mehrheit der Mitglieder. Ein Arzt muss nicht als solcher wirken, er kann auch in die Dienste eines Unternehmens treten, das im Bereich der Medizin oder der Pharmazie gewerblich tätig ist und beispielsweise Medizinprodukte oder Arzneimittel herstellt. Zu denken ist an eine Tätigkeit in Forschung und Entwicklung oder als Medizinproduktberater oder als Pharmareferent. In solchen Fällen übt der Arzt nicht den für ihn charakteristischen Beruf aus und kann sich folglich nicht zugunsten eines der Versorgungswerke von der Sozialversicherungspflicht befreien lassen.
Apotheker
Ähnlich wie bei Ärzten ist die Rechtslage bei Apothekern. Diese üben, wenn sie eine Apotheke betreiben, den für sie typischen freien Beruf aus, sind allerdings als Betreiber einer Apotheke gleichzeitig Kaufleute und können sich neben der Pflichtmitgliedschaft in der Apothekerkammer ins Handelsregister eintragen lassen. Auch im Bereich der Apotheker gibt es Anstellungsverhältnisse, sei es in Gestalt der Anstellung bei einem Kollegen, der eine Apotheke betreibt, sei es in Gestalt der Anstellung in einem Krankenhaus (Krankenhausapotheker) oder in einem Unternehmen der Pharmaindustrie zur Mitwirkung in der Entwicklung und Erforschung von Arzneimitteln (Industrieapotheker) oder sonst in Wissenschaft oder Verwaltung. Hier ist wiederum darauf abzustellen, ob der spezifische Beruf als Apotheker ausgeübt wird. Probleme kann es nur bei den Industrieapothekern geben sowie bei Anstellungsverhältnissen in Wissenschaft oder Verwaltung bzw. als Pharmareferent.
Steuerberater
Bei den Steuerberatern hat die gesetzliche Regelung für klare Verhältnisse gesorgt.
Im Zuge des Achten Steuerberatungsänderungsgesetzes erhielten die Steuerberater 2008 eine ganz spezifische Rechtsgrundlage für die Tätigkeit im Anstellungsverhältnis. Aufgrund des eingefügten § 58 Nr. 5 a Steuerberatergesetz (StBerG) dürfen Steuerberater beziehungsweise Steuerbevollmächtigte auch tätig werden „als Angestellte, wenn sie im Rahmen des Anstellungsverhältnisses Tätigkeiten im Sinne des § 33 wahrnehmen“, also Hilfeleistung in Steuersachen erbringen. Hierdurch darf nur nicht „die Pflicht zur unabhängigen und eigenverantwortlichen Berufsausübung“ beeinträchtigt werden. Unter diesen Prämissen ist der Syndikussteuerberater auch von der Pflicht zur Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Hier hat die gesetzliche Regelung für klare Verhältnisse gesorgt.
Wirtschaftsprüfer
Bei Wirtschaftsprüfern ist die Rechtslage insofern einfach, als Wirtschaftsprüfer kein Anstellungsverhältnis bei Nichtwirtschaftsprüfern eingehen dürfen (siehe § 43 a Abs. 3 Wirtschaftsprüferordnung). Die Anstellung als Wirtschaftsprüfer bei einem anderen Wirtschaftsprüfer oder einer Prüfungsgesellschaft ist aber Ausübung des Berufs als Wirtschaftsprüfer, sodass es Probleme bei der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht – jedenfalls bislang – nicht gibt.
Architekten
Um beispielhaft noch einen anderen Beruf aus dem Kreis der verkammerten freien Berufe herauszugreifen: Architekten können sowohl bei Kollegen als auch bei Nichtarchitekten, etwa einem Bauträger, im Anstellungsverhältnis tätig sein. Werden sie als Architekt bei Kollegen tätig, üben sie ihren Beruf als Architekt aus; werden sie bei Nichtarchitekten im Anstellungsverhältnis tätig, kommt es wieder auf den Gegenstand des Anstellungsverhältnisses an. Ist der Architekt mit den spezifischen klassischen Aufgaben eben eines Architekten betraut, wie diese beispielsweise in Art. 3 Bayerisches Baukammerngesetz niedergelegt sind, dann übt er seinen Beruf als Architekt aus, das auch unter dieser Berufsbezeichnung, und ist auf Antrag von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.
Rechtsanwälte
Völlig anders verhält es sich bei den Juristen, denn die „Befugnis, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen“, ist nicht an die Zulassung zur Anwaltschaft gebunden. Ein Unternehmen, das laufend der rechtlichen Beratung und Unterstützung, auch der (außergerichtlichen) Vertretung gegenüber Dritten bedarf, muss nicht einen Rechtsanwalt – im Wege laufender Einzelmandate oder im Rahmen eines Dauermandats – an sich binden. Es kann zur Erledigung seiner Rechtsangelegenheiten einen Assessor anstellen. Dieser darf dann nicht nur für das betreffende Unternehmen tätig sein, sondern für alle verbundenen Unternehmen im Sinne von § 15 Aktiengesetz (AktG), so § 2 Abs. 3 Nr. 6 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), denn es handelt sich dabei nicht um die Erledigung fremder Rechtsangelegenheiten, sondern um die Erledigung eigener durch einen Angestellten. Das fällt nicht unter das RDG und ist auch nicht den Rechtsanwälten vorbehalten, anders als die Ausübung der Heilkunde am Menschen, die in jedem Fall dem Arzt obliegt – abgesehen von dem engen Bereich der Befugnis zur Ausübung der Heilkunde durch Heilpraktiker nach dem Heilpraktikergesetz.
Den Rechtsanwälten ist nach den einschlägigen Verfahrensordnungen nur die Vertretung vor den (meisten) Gerichten vorbehalten. Das kann zu Konflikten führen, wenn der Anwalt gleichzeitig Angestellter des Mandanten ist, den er vor Gericht vertritt. Deshalb schließt § 46 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) die Vertretung des Arbeitgebers, dem der Rechtsanwalt aufgrund eines ständigen Dienst- oder Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft überwiegend zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgerichten aus, allerdings nur in der Eigenschaft als Rechtsanwalt. Als Prokurist darf er aber in einem Verfahren, das nicht dem Anwaltszwang unterliegt, wie etwa ein Prozess vor dem Amtsgericht, für seinen Arbeitgeber auftreten. Mit der Regelung in § 46 Abs. 1 BRAO erkennt das Gesetz an, dass Rechtsanwälte durchaus ein Anstellungsverhältnis eingehen können. Es schränkt nur den Tätigkeitsbereich von Rechtsanwälten in diesem Anstellungsverhältnis ein, indem es ihnen untersagt, für ihren Arbeitgeber in der „Eigenschaft als Rechtsanwalt“ vor Gericht aufzutreten. Damit ist aber noch nicht gesagt, wie im Einzelfall die Tätigkeit im Anstellungsverhältnis zu bewerten ist; vor allem dann nicht, wenn der Rechtsanwalt gerade als Rechtsanwalt, also um der Zulassung willen, angestellt wird und nicht nur als juristischer Dienstleister, wie das nach dem RDG möglich ist. Herrschend ist hier die sogenannte Zweitberufstheorie, der sich auch das BSG in den Entscheidungen vom 3. April 2014 angeschlossen hat; also die Auffassung, dass die Tätigkeit im Anstellungsverhältnis bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber eine Tätigkeit neben dem Beruf des Rechtsanwalts darstellt und damit in einem zweiten Beruf erfolgt.
Veränderte Rechtswirklichkeit
Ein Anstellungsvertrag kann nach Arbeitsrecht durchaus so gestaltet werden, dass die Berufsausübung des Angestellten in ihren Kernelementen weisungsfrei und eigenverantwortlich erfolgt. In einigen Fällen ist das sogar gesetzlich vorgegeben.
So ist der hausinterne Datenschutzbeauftragte bei Tätigkeit auf seinem Fachgebiet weisungsfrei und unabhängig von Dienstvorgesetzten, obwohl Angestellter des betreffenden Unternehmens. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist bei ihm ausgeschlossen, siehe im Detail § 4 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Unkündbar ist auch das Mitglied eines Betriebsrats (§ 15 Kündigungsschutzgesetz [KSchG]), der seinerseits zahlreiche Aufgaben im Interesse der Arbeitnehmer hat und damit dem Arbeitgeber gegenübersteht, siehe insbesondere § 80 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Eine starke, eigenständige Rechtsstellung haben auch der Compliance-Beauftragte eines Unternehmens sowie der Geldwäschebeauftragte nach § 9 Abs. 2 Geldwäschegesetz (GwG).
Juristen werden heute nicht mehr nur entweder als selbstständige Rechtsanwälte auf Basis jeweils eines Mandats oder aber – ohne Zulassung zur Anwaltschaft – als Justiziar oder Syndikus tätig. Es gibt inzwischen ganz unterschiedliche Varianten und Mischformen. So kann sich ein Rechtsanwalt auf die Tätigkeit für nur einen Klienten beschränken, und dies kann als Dauermandat mit arbeitsvertraglichen Elementen wie fester Vergütung, Kündigungsschutz und Wettbewerbsbeschränkungen ausgestaltet sein. Der Anwalt kann sich aber auch – im Vorgriff auf eine spätere Partnerschaft – zunächst auf Basis eines Anstellungsverhältnisses einer Sozietät von Rechtsanwälten oder einer solchen von Steuerberatern oder Patentanwälten oder sonstigen im Sinne von § 59 a BRAO sozietätsfähigen Berufsangehörigen anschließen. Er kann die Rolle eines Vertragsanwalts für einen Rechtsschutzversicherer – auch mit fester Bindung – übernehmen oder als Mitglied einer Sozietät für bestimmte Projekte eines großen Mandanten temporär an diesen ausgeliehen und in dessen Rechtsabteilung eingebunden werden, auf welcher Rechtsgrundlage auch immer. Oder er wird als Rechtsberater für die Mitglieder eines Verbandes oder eines Vereins tätig aufgrund Anstellung bei diesem. In all diesen Fällen wird der Anwalt eben als Anwalt engagiert, und er wird weisungsfrei, in der Sache unabhängig und eigenverantwortlich tätig. Das ist gerade Grundlage und Gegenstand der wie auch immer gearteten Vertragsbeziehung.
Fazit
Ein Jurist muss nicht die Zulassung zur Anwaltschaft erwerben, um in einem Unternehmen tätig zu sein. Wenn er aber die Zulassung erwirbt und gerade deshalb, also um der Zulassung willen, eingebunden wird, dann ist er Rechtsanwalt unabhängig von der Rechtsform der Einbindung. Das StBerG hat dies sehr schön zum Ausdruck gebracht, indem es auf „die Pflicht zur unabhängigen und eigenverantwortlichen Berufsausübung“ abstellt (§ 58 Nr. 5 a StBerG). In den USA spielen mangels Versicherungspflicht die Fragen, die sich jetzt in Deutschland stellen, keine Rolle: Es gibt In-House Lawyers und Private Practice Lawyers und Associates in Law Firms. Sie alle sind Lawyers.