Systematische Personalentwicklung - 21. Juli 2015

Von nix kommt nix? – Von wegen!

Fachkräfte sind Mangelware. Doch das Jammern hilft nichts. Stattdessen gilt es, Talente zu erkennen und zu fördern.

Wir schätzen unsere Mitarbeiter und bieten Ihnen wertvolle und vielfältige Perspektiven – weltweit. Wir finden, dass das Leben genauso wichtig ist wie Arbeit. Work-Life-Choice hat deshalb einen sehr hohen und ‚ausgezeichneten‘ Stellenwert bei uns. Und außerdem können doch tausende von Bewerbern jährlich nicht irren.“ Dieses vielversprechende Zitat entstammt der Website von PricewaterhouseCoopers und findet sich unter dem Punkt Karriere ganz oben.
Es signalisiert, dass die großen Beratungs- und Prüfungsgesellschaften längst erkannt haben, auf welche Weise sie Nachwuchskräfte ansprechen müssen, um sie für sich zu interessieren. Dr. Manfred Becker, Professor für Betriebswirtschaftslehre, Organisation und Personalwirtschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, bringt das auf die einfache Formel „Arbeit muss Genuss sein“. Kanzleien verschaffen ihren Mitarbeitern diesen aber längst nicht mehr durch ein hohes Gehalt oder einen repräsentativen Dienstwagen.

Sinn und Karriere

Die Zauberwörter heißen Sinn und Karriere. Im Wesentlichen geht es darum, jeden auf den für ihn passenden Platz zu bekommen, allerdings – und das sei das Doofe, sagt der Professor – gemäß seinen eigenen Wünschen. Bei den Großen der Branche hört sich das dann wieder so an: „Wir legen Ihnen die Welt zu Füßen – und schicken Sie für ein Praktikum oder auf Ihrem Weg an die Unternehmensspitze hinaus in unser internationales Netzwerk.“ Damit können kleine und mittelständische Kanzleien nicht mithalten. Wenn sie jedoch in Zukunft nicht nur die Mitarbeiter, die attraktivere Arbeitgeber übrig lassen, akquirieren wollen, kommen sie an einer systematischen Personalentwicklung und einem Karriere-Coaching ihrer Mitarbeiter nicht vorbei. So sagten in einer Umfrage des Personaldienstleisters Robert Half 88 Prozent der deutschen Arbeitnehmer, dass es wichtig sei, einen Vorgesetzten zu haben, der auch ein guter Karriere-Coach ist. Allerdings meinten 42 Prozent, dass dies bei ihrem eigenen Chef nicht der Fall sei.
„Studienberatung, Partnerberatung, psychologische Beratung – jeder Student in der betreuten Gesellschaft wird rundum gepäppelt. Dass auch nach dem Studium oder der Schule jemand den Entwicklungsweg für ihn aufzeigt, ist nur eine fortgesetzte Erwartung“, weiß Prof. Dr. Manfred Becker. Das setzt Kanzleichefs unter erheblichen Zugzwang. Denn bislang geben die Strukturen gerade in kleineren Einheiten kaum Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten her. Das müsse sich definitiv ändern, sagt Becker, der Erfolg der Kanzleien sowohl in der Rechts- als auch in der Steuerberatung und der Wirtschaftsprüfung gehe künftig durch das Nadelöhr der Personalentwicklung. Ab einer Größe von etwa zehn Mitarbeitern sollten Kanzleichefs prüfen, wo und wie sie Fach- oder Führungskarrieren anbieten können. Das kann etwa die neu geschaffene Position eines Büroleiters sein, die ideal mit einer Person besetzt wird, die zwar fachlich nicht die kompetenteste ist, aber dafür über Führungsqualitäten verfügt. Umgekehrt findet sich in vielen Kanzleien eine Menge an Mitarbeitern, die gern detailliert fachlich arbeitet, aber keinerlei Ambitionen zu Führungsaufgaben hat. Die besten dieser Mitarbeiter können mit komplexeren Sachverhalten und mehr Verantwortung betraut werden. „Es geht darum, genau herauszufinden, wen ich in meiner Kanzlei überhaupt habe und wen ich künftig bekommen werde“, erklärt der Professor.

Tätigkeit definiert Anforderung

Für den Einstieg in eine systematische Personalentwicklung muss im Vorfeld die strategische Frage geklärt werden, welche Leistungen die Kanzlei in Zukunft erbringen will und in welcher Form. Ganz am Anfang davon steht eine Bestandsaufnahme der aktuellen Prozesse. Denn die Tätigkeiten definieren letztlich die Anforderungen an die Mitarbeiter und stecken den Rahmen für Entwicklungsbedarf und -möglichkeiten ab. Denn selbstverständlich ist Personalentwicklung kein Selbstzweck oder nutzt allein dem Personalmarketing. Letztlich dienen alle Maßnahmen dem wirtschaftlichen Erfolg der Kanzlei. Wie eng gerade das Karriere-­Coaching aber damit verbunden ist, zeigt ein Blick auf die Strukturen und Prozesse in der Zukunft.
Die fortschreitende Digitalisierung sorgt dafür, dass immer mehr Routine­tätigkeiten von Programmen erledigt werden, die humane Intelligenz sukzessive mehr und mehr durch artifizielle ersetzen. Kanzleien müssen darauf mit einer neuen Personalstruktur reagieren, um im Fluss der Automatisierung wettbewerbsfähig zu bleiben. Dadurch steigt der Bedarf an administrativen Hilfskräften, gleichzeitig aber erhöht sich der Anspruch an die Qualifikation und Spezialisierung der fachlich gebildeten Belegschaft. Deren Leistungs- und Bleibebereitschaft steht letztlich im Fokus aller Bemühungen, da die Mitarbeiter dafür sorgen, dass die – ebenfalls immer anspruchsvolleren – Mandanten zufrieden sind. ­Oftmals sind diese im Übrigen ebenso wie die Mitarbeiter Bohnenstangenkinder, entstammen Familien, die keinen breiten Stammbaum haben, sondern bei denen jede Generation nur wenige Mitglieder hat und mehrere Generationen gleichzeitig leben, die nicht selten gut situiert sind. „Mit Geld kriegen Sie die nicht“, sagt Becker, „die Arbeitswelt 4.0 erzwingt eine systematische Personalentwicklung.“

Zur Autorin

AB
Alexandra Buba

M.A., Wirtschaftsredakteurin, buba.medientext

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