Trotz jahrzehntelangen Engagements ist es nicht gelungen, die Einheit der Anwaltschaft gesetzlich zu normieren. Seit den BSG-Urteilen im April 2014 gewinnt die Diskussion um eine gesetzliche Klarstellung des Syndikusanwalts endlich an Fahrt.
So mancher fragt sich, ob die Anwaltschaft momentan nicht das berühmte Gorbatschow-Zitat – „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – auf sich beziehen müsste. Dieser Satz steht zwar nicht in den Urteilen vom 3. April 2014, in denen das Bundessozialgericht (BSG) Syndikusanwälten die Möglichkeit abspricht, sich zukünftig von der Versicherungspflicht bei der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen. Aber es steht die Frage im Raum, warum es die Anwaltschaft zugelassen hat, dass ihr Berufsbild von Dritten wie dem BSG definiert wird. Warum haben die Meinungsbildner der Anwälte nicht reagiert?
Hintergrund
Den Syndikusanwalt als bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber dauerhaft angestellten Rechtsanwalt, für den er rechtsberatend und -besorgend tätig ist, gibt es in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Er kam mit der Industrialisierung in die aufstrebenden Unternehmen, Banken und Versicherungen, die angesichts der wachsenden rechtlichen Regelungsdichte immer stärker anwaltlichen Rat brauchten und diesen organisatorisch innerhalb des Unternehmens haben wollten. Seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es für den Syndikusanwalt das Vertretungsverbot vor Gericht und damit dessen mittelbare Anerkennung. § 46 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) statuiert heute den Syndikusanwalt als Institution.
Wie kann da das BSG zu dem Schluss kommen, der Syndikus sei in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig, sondern vielmehr als abhängig Beschäftigter typisiert schutzbedürftig und müsse deshalb in der gesetzlichen Rentenversicherung zwangsversichert werden? Bitter ist nicht nur das Ergebnis, zu dem die Richter in Kassel gekommen sind. Bitter ist auch die Argumentation des Gerichts. Die BSG-Richter mussten bei der Entscheidungsfindung im Sozialrecht beginnen. Das Sozialversicherungsrecht kennt keine Berufsbilder wie das des Rechtsanwalts, sondern allein Tätigkeiten. Um aber zu klären, ob die Erwerbstätigkeit des Syndikusanwalts anwaltliche Berufstätigkeit sein kann, legt der 5. Senat in erster Linie die ständige Rechtsprechung des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs (BGH) und das anwaltliche Berufsrecht zugrunde. Man darf annehmen, dass die BSG-Urteile ganz anders ausgefallen wären, wenn der Syndikusanwalt in der BRAO klarer konturiert wäre.
Gesetzgeber in der Pflicht
Entsprechende Versuche hat es mehrfach gegeben. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) als freiwilliger Spitzenverband des Berufsstands setzt sich seit Jahrzehnten für die Einheit der Anwaltschaft einschließlich der Syndikusanwälte ein und lehnt die Doppelberufstheorie des BGH ab. Die Arbeitsgemeinschaft der Syndikusanwälte im DAV wurde 1978 gegründet, um damalige Angriffe auf den Syndikusanwalt abzuwehren. Zur Berufsrechtsreform 1994 stellte der DAV einen ersten Gesetzgebungsvorschlag für die Neufassung des § 46 BRAO vor, den der Gesetzgeber aufgriff, aber nicht übernahm. Mit dem Vorschlag sollte klargestellt werden, dass der Syndikus auch im ständigen Dienstverhältnis als Anwalt tätig wird, allerdings ohne vor Gericht auftreten zu dürfen. 2004 fasste der Vorstand des DAV öffentlichkeitswirksam den Beschluss, anwaltliche Tätigkeit liege auch dann vor, wenn ein angestellter Anwalt für ein Unternehmen, bei dem er angestellt ist, rechtsgestaltende, rechtsberatende oder rechtsentscheidende Tätigkeit erbringe. 2012 legte der DAV-Vorstand einen neuen Gesetzgebungsvorschlag zur Änderung des § 46 BRAO vor. Die großen deutschen Wirtschaftsverbände haben den Vorschlag unterstützt. Zwischenzeitlich begann auch der Bundesverband der Unternehmensjuristen sein Engagement.
Schließlich, im September 2013, diskutierte die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein „modifiziertes Zulassungsmodell“ als berufsrechtliche Lösung. Die Hauptversammlung der BRAK debattierte über den Vorschlag, er gewann jedoch bei den regionalen Kammern nicht ausreichend Unterstützung. Seitdem setzen sich Syndikusanwälte und niedergelassene Anwälte verstärkt vor Ort ein, um ihre Kammern für einen syndikusfreundlichen Kurs zu gewinnen. Engagement war und ist also reichlich vorhanden. Allein der Gesetzgeber hatte sich die Anregungen bis zu den Urteilen nicht zu eigen gemacht, und das Berufsrecht blieb so, wie es das BSG vorgefunden hat. Warum? Woran es bislang gefehlt hat, war ein einvernehmliches Vorgehen aller Beteiligten.
Um die Aktivitäten zu bündeln, hat DAV-Präsident Prof. Dr. Wolfgang Ewer schließlich am 7. April und 6. Oktober 2014 zu einem Runden Tisch Syndikusanwälte mit allen an der Diskussion Beteiligten geladen. Neben der erforderlichen berufsrechtlichen Antwort für die Zukunft bedarf es zugleich einer sozialrechtlichen Lösung für die sogenannten Altfälle.
Fazit
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Es ist unbestreitbar, dass dem Syndikusanwalt deutlich früher hätte geholfen werden können. Aber wenn die organisierte Anwaltschaft – und nicht zuletzt der Gesetzgeber – die Berufsrechtsreform jetzt gemeinsam angeht und den Syndikusanwalt als Rechtsanwalt klarstellt, dann ist er noch zu retten.