Ordnungsgemäße Kassenführung - 24. März 2022

Zuschätzungen vermeiden

Eine jüngere Entscheidung des Bundesfinanzhofs relativiert ein früheres Urteil des Gerichts. Für Steuerpflichtige, die eine nicht manipulationssichere Kasse besitzen, wird der Wind immer rauer.

Mit dem sogenannten Zeitreihenvergleichsurteil vom 25. März 2015 (X R 20/13) hatte der Bundesfinanzhof (BFH) versucht, im Zusammenhang mit einer ordnungsge­mäßen Kassenführung einen Rettungsanker zu werfen. Das war grundsätzlich zu begrüßen. Das höchste deutsche Fi­nanzgericht hatte nämlich im genannten Urteil einen Ge­genbeweis zugelassen, wonach trotz der Vermutung, dass die im Raum stehende Kassenführung zu verwerfen sei, weil sie nicht vertrauenswürdig erschien, die oder der Steu­erpflichtige dennoch unter Beweis stellen konnte, dass die Kasse nicht manipuliert wurde beziehungsweise gar nicht manipulierbar sei. Dieser Ansicht des BFH war absolut zu folgen. Denn dem Steuerpflichtigen kann nicht vorgehalten werden, dass er eine Kasse besitze, die theoretisch nicht manipulationssi­cher ist, sondern nur, dass seine Buchführung zu verwerfen sei und er eine Zuschätzung hinnehmen müsse, sofern er seine Erlöse nicht korrekt erfasst, also manipuliert habe.

Rettungsanker des BFH

Dieser Gedanke des BFH war absolut schlüssig. Ihm lag die In­tention zugrunde, auch für solche Kassen, die nicht korrekt eingerichtet wurden, weil es zum Beispiel auf der Einnahmen­seite zu formellen Fehlern kam, einen Ausweg in Form eines Rettungsankers zuzulassen. Der BFH beschrieb diesen Ret­tungsweg dahin gehend, dass eine Buchführung dann doch nicht zu verwerfen sei, wenn der Steuerpflichtige den Gegen­beweis erfolgreich antreten kann, wonach seine Kasse gar nicht manipulationsfähig ist. Diesen Rettungsanker formulier­te der BFH in seinem Urteil vom 25. März 2015 und führte dort wörtlich aus: „Das Gewicht dieses Mangels tritt allerdings zu­rück, wenn der Steuerpflichtige für den konkreten Einzelfall darlegt, dass die von ihm verwendete elektronische Kasse trotz ihrer Programmierbarkeit ausnahmsweise keine Manipulationsmöglichkeiten eröff­net“ (BFH, Urteil vom 25.03.2015 – X R 20/13 BStBl 2015 II S. 74, Rn 28).

Korrekte Erlöserfassung

Diese Ausführungen kann und muss man zunächst technisch verstehen. Selbst wenn kein Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokoll gegeben ist, muss eine Manipulation der Kasse zwingend ausgeschlos­sen werden, wenn sie in technischer Hinsicht gar nicht manipu­lierbar ist. Dem wird so mancher entgegenhalten, dass man aber vermutlich jeden Rechner irgendwie manipulieren kann. Daher stellt sich die Frage, ob der BFH mit seiner Entscheidung vom 25. März 2015 hier dem Steuerpflichtigen Steine statt Brot gegeben oder er es mit dem im Urteil skizzierten Rettungsweg tatsächlich ernst gemeint hatte. Bei Licht betrachtet, wird man annehmen müssen, dass es dem BFH hier natürlich in erster Li­nie um den Nachweis einer korrekten Erlöserfassung ging. So­fern der BFH davon überzeugt war, dass im Bereich der Erlöse nicht manipuliert wurde, gab es auch keine Veranlassung, die Buchführung zu verwerfen und eine Hinzuschätzung vorzuneh­men. Versteht man dann die Ausführungen des BFH im Urteil vom 25. März 2015 in diesem Sinne, sind jedwede Argumentati­onen und Belege, die eine Manipulation des Steuerpflichtigen unmöglich erscheinen lassen, taugliche Verteidigungsmittel ge­gen eine Verwerfung und Zuschätzung – und dies selbst dann, wenn formal gesehen erhebliche Mängel bei der Kasseneinrich­tung beziehungsweise Kassenführung bestanden. Letztendlich ist dieser Rettungsanker, den der BFH geworfen hatte, absolut zutreffend, da die maßgebende Frage doch ist, ob manipuliert wurde, nicht ob theoretisch manipuliert werden kann. Denn wir müssen natürlich zwischen einer latenten, rein theoretisch möglichen und einer tatsächlichen Manipulation differenzieren. Aber selbst wenn eine Kasse nicht manipulationssicher ist, also theoretisch manipuliert werden kann, dürfen reine Vermutun­gen bezüglich einer Manipulation nicht Grundlage der Besteue­rung sein beziehungsweise nicht zu einer Zuschätzung führen.

Keine Besteuerung fiktiver Umsätze

Insoweit kann und darf es keine Besteuerung fiktiver Umsätze geben. Erst recht dürfen auch formelle Fehler, etwa wegen ge­buchter Zeiten beziehungsweise aus Unwissenheit nicht ord­nungsmäßiger Kasseneinrichtung oder -nutzung, nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen gegenüber unterstellt wird, er habe die Kasse manipuliert. Insoweit darf eine latente Ge­fährdung infolge einer unvollkommenen Kasseneinrichtung be­ziehungsweise einer fehlenden Absicherung nicht mit einer tat­sächlichen Manipulation gleichgesetzt wer­den. Wie im Beitrag „Fragwürdige Recht­sprechung“ (DATEV magazin 10/2021) verdeutlicht wurde, ist selbst das Vorhan­densein eines Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokolls kein Beleg dafür, dass eine Kasse manipuliert wurde oder eben nicht. Jedenfalls ist das Fehlen dieser beiden Protokolle nicht geeignet, einen unseriösen Kassennutzer gegenüber einem seriösen ab­zugrenzen beziehungsweise zu identifizie­ren; entgegen der BFH-Meinung im Urteil vom 25. März 2015 lässt sich dies nicht ernsthaft behaupten. Den so wichtigen und auch richtigen Rettungsanker aus dem Urteil vom 25. März 2015 – der Möglichkeit eines Gegenbewei­ses, dass doch nicht manipuliert wurde – scheint der gleiche Se­nat beim BFH aber in seinem Beschluss vom 21. August 2019 (X B 120/18) nicht mehr zulassen zu wollen.

Fehlende Stornos sind ein schwerer Mangel

Nach dem Beschluss vom 21. August 2019 ist der fehlende Aus­weis von Stornos in einem elektronischen Kassensystem ein derart schwerer formeller Mangel, dass deswegen die Buchfüh­rung zu verwerfen sei. Der Grundgedanke des BFH ist klar: Der BFH mutmaßt, dass eine solche Programmierung nur deswe­gen so vorgenommen wird, um die heimlichen Nachtstornos nicht mit den normalen Stornos zu offenbaren. Wenn schon ordnungsgemäße Stornos nicht ausgeworfen werden, dann ist die Kasse so programmiert, dass auch manipulierte Stornos nicht angezeigt werden. Nach Ansicht des BFH führt eine derar­tige Programmierung zu einer unseriösen Kassenbuchführung mit der Folge, dass diese zu verwerfen sei.

Fallbeispiel

Im Verfahren, das dem Beschluss vom 21. August 2019 zu­grunde lag, führte ein Unternehmer die betroffene Gaststätte nicht selbst, sondern ließ diese durch zwei Fremdgeschäfts­führer betreiben, die mit ihm weder verwandt noch verschwä­gert waren. Der Unternehmer konnte nachweisen, dass er selbst einen ganz anderen Betrieb führte, sich also bei der be­troffenen Gaststätte gar nicht um die Abrechnung kümmerte und auch gar nicht kümmern konnte. Er hatte also weder Zu­griff auf die Kasse noch auf die beanstandete Kassenführung, weil diese Verantwortung ausschließlich bei den Fremdge­schäftsführern lag. Diesen unter Beweis gestellten Nachweis, dass der Steuerpflichtige hier gar keine Möglichkeit hatte, die Kasse zu manipulieren, ließ der BFH im Verfahren vom 21. Au­gust 2019 aber als unbeachtet links liegen – und damit seinen eigenen Rettungsanker, den er im Urteil vom 25. März 2015 noch geworfen hatte, trotz Sachvortrag nicht mehr zu.

Widerspruch in den BFH-Urteilen

Jedenfalls scheint der Beschluss vom 21. August 2019 eine Ab­kehr vom Rettungsgedanken im Urteil vom 25. März 2015 zu sein. Ob es der BFH tatsächlich für unerheblich hält, dass die Kasse nicht manipuliert wurde, sondern nur auf formelle Män­gel abstellen möchte, wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls wi­derspricht derzeit das BFH-Urteil vom 25. März 2015 diamet­ral den Ausführungen desselben Senats im Beschluss vom 21. August 2019. Warum die unter Beweis gestellte Unmöglich­keit einer Manipulation durch den Unternehmer in dem nun­mehr im zweiten Verfahrensgang zu beurteilenden Verfahren keine Rolle spielen soll und ob der BFH tatsächlich eine Zu­schätzung beim Steuerpflichtigen zulassen will, obwohl dieser durch mehrere Zeugen und durch den internen Betriebsver­gleich aufgrund eines Kassensystemwechsels auf eine zwei­felsfrei nicht manipulierbare Kasse nachweist, dass keine un­versteuerten Umsätze in den früheren Streitjahren vorliegen, wird sich ebenfalls zeigen müssen. Denn laut BFH-Beschluss vom 21. August 2019 wird jeglicher Entlastungsantritt offen­bar nicht zugelassen, was schon materiellrechtlich nicht nach­vollziehbar ist. Damit würden Einrichtungsfehler, also eine fahrlässige Steuergefährdung, ohne dass auch nur ein einziger Cent in der Erfassung fehlt, zu einer Zuschätzung führen kön­nen, obgleich die Vollständigkeit der Erlöserfassung nachge­wiesen werden kann.

Fazit

Insoweit ist der Ansatz im Beschluss vom 21. August 2019 völlig unklar. Wenn das Glas voll ist, also alles erfasst und versteuert ist, mit welchem Rechtsgrund erfolgt dann auf das volle Glas obendrauf noch eine Hinzuschätzung? Und warum ist das, was dann nachweisbar nicht eingenommen wurde, auf einmal Grundlage der Besteuerung? Das wäre eine erfundene Steuer ohne rechtliche Grundlage, eine Art Gefährdungshaftung ohne Gesetz. Wer seine Kasse nicht ordnungsgemäß einrichtet, muss eine Zuschätzung hinnehmen, auch wenn er alles versteuert hat. Dann müsste der Gesetzgeber jedoch nach der Wesentlich­keitstheorie regeln, was die Kasse alles aufzeichnen muss, und er müsste zudem regeln, welcher Aufzeichnungsverstoß zu wel­chen Zuschätzungen dem Grunde nach und gegebenenfalls in welcher Höhe führt. Beim Modell des BFH im Beschluss vom 21. August 2019 wird eine mögliche Gefährdung durch eine nicht fälschungssichere Methode bei der elektronischen Auf­zeichnung zur echten Besteuerungsgrundlage – auch wenn gar nichts manipuliert wurde. Das kann nicht sein und klingt nach Willkür, was natürlich gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unzulässig ist. Ob der BFH also tatsächlich zulassen will, dass auf fiktive Einnahmen Steuern erhoben werden, wird sich im zweiten Verfahrensgang zum BFH-Beschluss vom 21. August 2019 und danach in einer möglichen weiteren Vorlage zum höchsten deutschen Finanzgericht zeigen. Es ist zu hoffen, dass es im Falle bloßer Manipulationsmöglichkeit bei der üblichen Beweislastverteilung bleibt, dass also die Verwaltung (oder Fi­nanzbehörde) die Manipulation und die Berechtigung zur Ver­werfung beweisen muss.

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Zum Autor

JB
Dr. Jörg Burkhard

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Strafrecht, Wiesbaden

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