Eine jüngere Entscheidung des Bundesfinanzhofs relativiert ein früheres Urteil des Gerichts. Für Steuerpflichtige, die eine nicht manipulationssichere Kasse besitzen, wird der Wind immer rauer.
Mit dem sogenannten Zeitreihenvergleichsurteil vom 25. März 2015 (X R 20/13) hatte der Bundesfinanzhof (BFH) versucht, im Zusammenhang mit einer ordnungsgemäßen Kassenführung einen Rettungsanker zu werfen. Das war grundsätzlich zu begrüßen. Das höchste deutsche Finanzgericht hatte nämlich im genannten Urteil einen Gegenbeweis zugelassen, wonach trotz der Vermutung, dass die im Raum stehende Kassenführung zu verwerfen sei, weil sie nicht vertrauenswürdig erschien, die oder der Steuerpflichtige dennoch unter Beweis stellen konnte, dass die Kasse nicht manipuliert wurde beziehungsweise gar nicht manipulierbar sei. Dieser Ansicht des BFH war absolut zu folgen. Denn dem Steuerpflichtigen kann nicht vorgehalten werden, dass er eine Kasse besitze, die theoretisch nicht manipulationssicher ist, sondern nur, dass seine Buchführung zu verwerfen sei und er eine Zuschätzung hinnehmen müsse, sofern er seine Erlöse nicht korrekt erfasst, also manipuliert habe.
Rettungsanker des BFH
Dieser Gedanke des BFH war absolut schlüssig. Ihm lag die Intention zugrunde, auch für solche Kassen, die nicht korrekt eingerichtet wurden, weil es zum Beispiel auf der Einnahmenseite zu formellen Fehlern kam, einen Ausweg in Form eines Rettungsankers zuzulassen. Der BFH beschrieb diesen Rettungsweg dahin gehend, dass eine Buchführung dann doch nicht zu verwerfen sei, wenn der Steuerpflichtige den Gegenbeweis erfolgreich antreten kann, wonach seine Kasse gar nicht manipulationsfähig ist. Diesen Rettungsanker formulierte der BFH in seinem Urteil vom 25. März 2015 und führte dort wörtlich aus: „Das Gewicht dieses Mangels tritt allerdings zurück, wenn der Steuerpflichtige für den konkreten Einzelfall darlegt, dass die von ihm verwendete elektronische Kasse trotz ihrer Programmierbarkeit ausnahmsweise keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet“ (BFH, Urteil vom 25.03.2015 – X R 20/13 BStBl 2015 II S. 74, Rn 28).
Korrekte Erlöserfassung
Diese Ausführungen kann und muss man zunächst technisch verstehen. Selbst wenn kein Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokoll gegeben ist, muss eine Manipulation der Kasse zwingend ausgeschlossen werden, wenn sie in technischer Hinsicht gar nicht manipulierbar ist. Dem wird so mancher entgegenhalten, dass man aber vermutlich jeden Rechner irgendwie manipulieren kann. Daher stellt sich die Frage, ob der BFH mit seiner Entscheidung vom 25. März 2015 hier dem Steuerpflichtigen Steine statt Brot gegeben oder er es mit dem im Urteil skizzierten Rettungsweg tatsächlich ernst gemeint hatte. Bei Licht betrachtet, wird man annehmen müssen, dass es dem BFH hier natürlich in erster Linie um den Nachweis einer korrekten Erlöserfassung ging. Sofern der BFH davon überzeugt war, dass im Bereich der Erlöse nicht manipuliert wurde, gab es auch keine Veranlassung, die Buchführung zu verwerfen und eine Hinzuschätzung vorzunehmen. Versteht man dann die Ausführungen des BFH im Urteil vom 25. März 2015 in diesem Sinne, sind jedwede Argumentationen und Belege, die eine Manipulation des Steuerpflichtigen unmöglich erscheinen lassen, taugliche Verteidigungsmittel gegen eine Verwerfung und Zuschätzung – und dies selbst dann, wenn formal gesehen erhebliche Mängel bei der Kasseneinrichtung beziehungsweise Kassenführung bestanden. Letztendlich ist dieser Rettungsanker, den der BFH geworfen hatte, absolut zutreffend, da die maßgebende Frage doch ist, ob manipuliert wurde, nicht ob theoretisch manipuliert werden kann. Denn wir müssen natürlich zwischen einer latenten, rein theoretisch möglichen und einer tatsächlichen Manipulation differenzieren. Aber selbst wenn eine Kasse nicht manipulationssicher ist, also theoretisch manipuliert werden kann, dürfen reine Vermutungen bezüglich einer Manipulation nicht Grundlage der Besteuerung sein beziehungsweise nicht zu einer Zuschätzung führen.
Keine Besteuerung fiktiver Umsätze
Insoweit kann und darf es keine Besteuerung fiktiver Umsätze geben. Erst recht dürfen auch formelle Fehler, etwa wegen gebuchter Zeiten beziehungsweise aus Unwissenheit nicht ordnungsmäßiger Kasseneinrichtung oder -nutzung, nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen gegenüber unterstellt wird, er habe die Kasse manipuliert. Insoweit darf eine latente Gefährdung infolge einer unvollkommenen Kasseneinrichtung beziehungsweise einer fehlenden Absicherung nicht mit einer tatsächlichen Manipulation gleichgesetzt werden. Wie im Beitrag „Fragwürdige Rechtsprechung“ (DATEV magazin 10/2021) verdeutlicht wurde, ist selbst das Vorhandensein eines Ersteinrichtungs- und/oder Änderungsprotokolls kein Beleg dafür, dass eine Kasse manipuliert wurde oder eben nicht. Jedenfalls ist das Fehlen dieser beiden Protokolle nicht geeignet, einen unseriösen Kassennutzer gegenüber einem seriösen abzugrenzen beziehungsweise zu identifizieren; entgegen der BFH-Meinung im Urteil vom 25. März 2015 lässt sich dies nicht ernsthaft behaupten. Den so wichtigen und auch richtigen Rettungsanker aus dem Urteil vom 25. März 2015 – der Möglichkeit eines Gegenbeweises, dass doch nicht manipuliert wurde – scheint der gleiche Senat beim BFH aber in seinem Beschluss vom 21. August 2019 (X B 120/18) nicht mehr zulassen zu wollen.
Fehlende Stornos sind ein schwerer Mangel
Nach dem Beschluss vom 21. August 2019 ist der fehlende Ausweis von Stornos in einem elektronischen Kassensystem ein derart schwerer formeller Mangel, dass deswegen die Buchführung zu verwerfen sei. Der Grundgedanke des BFH ist klar: Der BFH mutmaßt, dass eine solche Programmierung nur deswegen so vorgenommen wird, um die heimlichen Nachtstornos nicht mit den normalen Stornos zu offenbaren. Wenn schon ordnungsgemäße Stornos nicht ausgeworfen werden, dann ist die Kasse so programmiert, dass auch manipulierte Stornos nicht angezeigt werden. Nach Ansicht des BFH führt eine derartige Programmierung zu einer unseriösen Kassenbuchführung mit der Folge, dass diese zu verwerfen sei.
Fallbeispiel
Im Verfahren, das dem Beschluss vom 21. August 2019 zugrunde lag, führte ein Unternehmer die betroffene Gaststätte nicht selbst, sondern ließ diese durch zwei Fremdgeschäftsführer betreiben, die mit ihm weder verwandt noch verschwägert waren. Der Unternehmer konnte nachweisen, dass er selbst einen ganz anderen Betrieb führte, sich also bei der betroffenen Gaststätte gar nicht um die Abrechnung kümmerte und auch gar nicht kümmern konnte. Er hatte also weder Zugriff auf die Kasse noch auf die beanstandete Kassenführung, weil diese Verantwortung ausschließlich bei den Fremdgeschäftsführern lag. Diesen unter Beweis gestellten Nachweis, dass der Steuerpflichtige hier gar keine Möglichkeit hatte, die Kasse zu manipulieren, ließ der BFH im Verfahren vom 21. August 2019 aber als unbeachtet links liegen – und damit seinen eigenen Rettungsanker, den er im Urteil vom 25. März 2015 noch geworfen hatte, trotz Sachvortrag nicht mehr zu.
Widerspruch in den BFH-Urteilen
Jedenfalls scheint der Beschluss vom 21. August 2019 eine Abkehr vom Rettungsgedanken im Urteil vom 25. März 2015 zu sein. Ob es der BFH tatsächlich für unerheblich hält, dass die Kasse nicht manipuliert wurde, sondern nur auf formelle Mängel abstellen möchte, wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls widerspricht derzeit das BFH-Urteil vom 25. März 2015 diametral den Ausführungen desselben Senats im Beschluss vom 21. August 2019. Warum die unter Beweis gestellte Unmöglichkeit einer Manipulation durch den Unternehmer in dem nunmehr im zweiten Verfahrensgang zu beurteilenden Verfahren keine Rolle spielen soll und ob der BFH tatsächlich eine Zuschätzung beim Steuerpflichtigen zulassen will, obwohl dieser durch mehrere Zeugen und durch den internen Betriebsvergleich aufgrund eines Kassensystemwechsels auf eine zweifelsfrei nicht manipulierbare Kasse nachweist, dass keine unversteuerten Umsätze in den früheren Streitjahren vorliegen, wird sich ebenfalls zeigen müssen. Denn laut BFH-Beschluss vom 21. August 2019 wird jeglicher Entlastungsantritt offenbar nicht zugelassen, was schon materiellrechtlich nicht nachvollziehbar ist. Damit würden Einrichtungsfehler, also eine fahrlässige Steuergefährdung, ohne dass auch nur ein einziger Cent in der Erfassung fehlt, zu einer Zuschätzung führen können, obgleich die Vollständigkeit der Erlöserfassung nachgewiesen werden kann.
Fazit
Insoweit ist der Ansatz im Beschluss vom 21. August 2019 völlig unklar. Wenn das Glas voll ist, also alles erfasst und versteuert ist, mit welchem Rechtsgrund erfolgt dann auf das volle Glas obendrauf noch eine Hinzuschätzung? Und warum ist das, was dann nachweisbar nicht eingenommen wurde, auf einmal Grundlage der Besteuerung? Das wäre eine erfundene Steuer ohne rechtliche Grundlage, eine Art Gefährdungshaftung ohne Gesetz. Wer seine Kasse nicht ordnungsgemäß einrichtet, muss eine Zuschätzung hinnehmen, auch wenn er alles versteuert hat. Dann müsste der Gesetzgeber jedoch nach der Wesentlichkeitstheorie regeln, was die Kasse alles aufzeichnen muss, und er müsste zudem regeln, welcher Aufzeichnungsverstoß zu welchen Zuschätzungen dem Grunde nach und gegebenenfalls in welcher Höhe führt. Beim Modell des BFH im Beschluss vom 21. August 2019 wird eine mögliche Gefährdung durch eine nicht fälschungssichere Methode bei der elektronischen Aufzeichnung zur echten Besteuerungsgrundlage – auch wenn gar nichts manipuliert wurde. Das kann nicht sein und klingt nach Willkür, was natürlich gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unzulässig ist. Ob der BFH also tatsächlich zulassen will, dass auf fiktive Einnahmen Steuern erhoben werden, wird sich im zweiten Verfahrensgang zum BFH-Beschluss vom 21. August 2019 und danach in einer möglichen weiteren Vorlage zum höchsten deutschen Finanzgericht zeigen. Es ist zu hoffen, dass es im Falle bloßer Manipulationsmöglichkeit bei der üblichen Beweislastverteilung bleibt, dass also die Verwaltung (oder Finanzbehörde) die Manipulation und die Berechtigung zur Verwerfung beweisen muss.
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