EU-Sanierungs­ver­fahren - 15. Oktober 2019

Zeichen früh erkennen

Die europäische Richtlinie zur vor­in­sol­venz­lichen Sanierung ist am 26. Juni 2019 in Kraft getreten. Die erweiterten Sa­nie­rungs­ins­tru­mente bieten auch Steuer­be­ratern die Mög­lich­keit, sich beruflich neu zu posi­tio­nieren.

Im November 2016 legte die Europäische Kommission einen „Vorschlag für eine Richtlinie zu präventiven Restrukturierungsmaßnahmen sowie zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“ (so der amtliche Text) vor. In verschiedenen Stufen schloss sich ein Feinschliff dieser Richtlinie an, unter anderem eine Überarbeitung durch den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments sowie die Vorlage eines Ratsvorschlags vom 1. Oktober 2018 und die anschließenden sogenannten Trilogverhandlungen. Deutschland hat jetzt zwei, maximal drei Jahre Zeit, durch ein deutsches Gesetz ein solches Restrukturierungsverfahren einzuführen. Durch einen erweiterten Instrumentenkasten wird die Richtlinie auch in Deutschland die Möglichkeiten für Krisenunternehmen verbessern, sich selbst – ohne oder nur mit sehr begrenzter Einschaltung von Gerichten – im Krisenfall zu sanieren. Gewisse Vorwirkungen hat die Richtlinie schon jetzt.

Atempause durch Moratorium

Die neue EU-Richtlinie schreibt vor, dass das Krisenunternehmen zur Begleitung von Sanierungsverhandlungen eine Atempause erhält. Zur Unterstützung von Verhandlungen zum sogenannten Restrukturierungsplan – dazu weiter unten mehr – müssen die einzelnen Staaten der EU die Möglichkeit einräumen, dass Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt werden. So soll das jeweilige Schuldnerunternehmen Luft für die Durchführung von Restrukturierungsverhandlungen erhalten. Die Höchstdauer der Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen ist nach der Richtlinie auf zwölf Monate begrenzt. Hinsichtlich der Details besteht ein erheblicher nationaler Ausfüllungsspielraum. Nach ersten Trendmeldungen aus dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) wird dort ein eher kurzes Moratorium von vielleicht drei Monaten bevorzugt. Das BMJV hat zu Umsetzungsmöglichkeiten und zur groben Ausrichtung schon mit Interessenverbänden erste Anhörungsrunden durchgeführt. Einer der Verfasser dieses Beitrags hat an einer solchen Runde teilgenommen.

Eigenverwaltung

In dem auch für Deutschland verpflichtenden EU-Restrukturierungsverfahren soll die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Unternehmens in der Krise erhalten bleiben. Je nach Einzelfall und abhängig von den nationalen Umsetzungsregeln wird es Optionen geben, eine Art Moderator hinzuziehen, einen sogenannten Restrukturierungsbeauftragten. Tendenziell ist diese Hinzuziehung aber auf Ausnahmefälle beschränkt.

Restrukturierungsplan analog Insolvenzplan

Das EU-Restrukturierungsverfahren dient dazu, notfalls eine Art Zwangsvertrag mit den Vertragspartnern des Krisenunternehmens herbeizuführen. Die Gläubiger müssen sich an der Sanierung beteiligen. Ähnlich wie beim Insolvenzplan nach der deutschen Insolvenzordnung, der sich wiederum an amerikanisches Recht anlehnt, können die Gläubiger in Gruppen aufgeteilt werden. Mit Mehrheiten, etwa 75 Prozent der repräsentierten Verbindlichkeiten, können dann die sogenannten Akkordstörer gezwungen werden, dem Restrukturierungsplan zuzustimmen. Das EU-Restrukturierungsverfahren wird bei Krisenverhandlungen neue Möglichkeiten bieten, Verhandlungsdruck auszuüben. Aus Sicht eines Krisenunternehmens kann bei der Führung von Sanierungsverhandlungen das EU-Restrukturierungsverfahren durchaus als Drohinstrument eingesetzt werden.

Rentabilitätsprüfung

Aus Sicht des steuerlichen Beraters ist es lohnenswert, sich mit den Sanierungsinstrumenten zu befassen.

Nach der neuen EU-Richtlinie kann das jeweils nationale Recht insbesondere für die Einleitung gerichtlicher Schritte (zum Beispiel Moratorium, siehe oben) eine sogenannte Rentabilitätsprüfung fordern. Geprüft und belegt werden muss damit, dass bei Verfahrensbeginn gute Aussichten bestehen, das jeweilige Krisenunternehmen mithilfe des Verfahrens durchgreifend zu sanieren. Dadurch wird das Sanierungsverfahren weiter mit betriebswirtschaftlichen Elementen angereichert. Folge: Aus Sicht des steuerlichen Beraters ist es lohnenswert, sich mit den Sanierungsinstrumenten, wie der (integrierten) Unternehmensplanung und den Anforderungen an Sanierungskonzepte (Stichwort: IDW-Standard S 6), zu befassen.

Für welche Unternehmen geeignet?

Nach der neuen Richtlinie können alle Unternehmen den Schutz des Verfahrens suchen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Sinn und Zweck der Richtlinie ist es, Unternehmen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt einen Anreiz zu geben, sich präventiv zu restrukturieren. Die genaue Definition der Eintrittsschwelle und deren Überprüfung wird das nationale Recht, aus deutscher Sicht also der deutsche Gesetzgeber, regeln.

Keine Anfechtung von Zwischenfinanzierungen

Weiter sieht die Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten in weitgehendem Umfang dafür Sorge tragen müssen, dass sogenannte Zwischenfinanzierungen – beispielsweise Sanierungskredite und hierfür bestellte Sicherheiten – in einer späteren Folgeinsolvenz, falls sich diese nicht vermeiden lässt, nicht der Insolvenzanfechtung unterliegen. Derzeit ist aus deutscher Sicht die Restrukturierung eines Unternehmens oft deshalb problematisch, weil Banken wegen des sogenannten Insolvenzanfechtungsrisikos nicht mehr bereit sind, frisches Geld zu geben. Die Möglichkeiten, Kapital aufzunehmen, werden durch die Richtlinie aus Sicht des Krisenunternehmens erleichtert.

Lieferanten müssen weiter liefern

Die Vertragspartner des Krisenunternehmens dürfen sich wegen der Einleitung des Restrukturierungsverfahrens nicht vom Vertrag lösen. Das bedeutet, dass zum Beispiel Lieferanten nicht bisherige Verträge kündigen oder die Leistung verweigern dürfen, weil ein Restrukturierungsverfahren eingeleitet wurde. Sogenannte Lösungsklauseln, die beispielsweise beim Insolvenzereignis das Recht einräumen, Verträge zu kündigen, entfalten nach der Richtlinie keinerlei Wirkung.

Ruhen der Insolvenzantragspflicht?

Nach der Richtlinie sind darüber hinaus Optionen vorgesehen, dass während der Dauer des Richtlinienverfahrens eine entstehende Insolvenzantragspflicht nicht dazu zwingt, den Insolvenzantrag zu stellen. Dennoch ist das Verfahren grundsätzlich nicht für Krisenunternehmen gedacht, die bereits nach nationalem Recht – aus deutscher Sicht also nach der deutschen Insolvenzordnung – insolvenzreif sind.

Umsetzung in Deutschland und ESUG-Evaluation

Eine derzeit heftig diskutierte Option zur Umsetzung in Deutschland könnte darin bestehen, die bisherige (oft übersehene) Insolvenzantragspflicht bei insolvenzrechtlicher Überschuldung abzuschaffen und einzelne Elemente aus dem deutschen Eigenverwaltungsverfahren nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) – einem Insolvenzverfahren – in das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren nach der EU-Richtlinie zu verlagern. Die deutsche Insolvenzordnung sieht seit März 2012 verbesserte Möglich&shykeiten für eine Insolvenz in Eigenregie – ohne klassischen Insolvenzverwalter durch Insolvenzplan in Kombination mit Eigenverwaltung – vor. Das Änderungsgesetz von 2012 (ESUG) und dessen praktische Auswirkungen werden in einem wissenschaftlichen Bericht untersucht. Das BMJV hat den Bericht am 15. Oktober 2018 vorgestellt. Einer der Verfasser dieses Beitrags hat an dieser Sitzung teilgenommen. Der deutsche Gesetzgeber wird das sogenannte ESUG-Verfahren – also betreffend Insolvenzplan und Eigenverwaltung – gegenüber der neuen Verfahrensart der vorinsolvenzlichen Sanierung abzugrenzen haben.

Fazit

Es sind steuerliche Berater gefragt, die sich rechtzeitig mit Krisensteuerungsinstrumenten wie der Erstellung von (integrierten) Unternehmensplanungen und Sanierungskonzepten befassen sowie den Mandanten auf entsprechende Möglichkeiten – frühzeitig – hinweisen. Das sollte nicht erst erfolgen, wenn die finanziellen Mittel eng werden. Das EU-Verfahren, ein Insolvenzplan und die Eigenverwaltung können – in vielen Bereichen schon heute – dazu dienen, dem eigenen Mandanten bei der Überwindung der Unternehmenskrise zu helfen.

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Fachseminar „Haftungsfalle Jahresabschluss – Die Zeichen erkennen: vorbeugen statt haften“, Art.-Nr. 78141

Anwenderseminar „Unternehmensplanung mit DATEV, Art.-Nr. 70158

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Kompaktwissen „Steuerliche Beratung von Mandanten in der Krise“,
Art.-Nr. 36715