Durch einige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in jüngster Zeit scheint nunmehr unionsrechtlich geklärt, dass nur noch rein staatliche Unterrichte als Bildungsleistungen im Rahmen einer Steuerbefreiung begünstigt werden können.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bleibt bei seiner Begründung der Urteile zu Fahr-, Surf-, Segel- und Schwimmschulen (EuGH, Urteil vom 14.03.2019 – C-449/17 – A & G Fahrschul-Akademie GmbH; EuGH, Beschluss vom 07.10.2019 – C-47/19 – HA; EuGH, Urteil vom 21.10.2021 – C-373/19 – Dubrovin & Tröger GbR – Aquatics) aber konkrete Antworten schuldig. Was genau will er unter einer „punktuellen Wissensvermittlung“ verstehen und wie hat die Abgrenzung zu einem breiten und vielfältigen Spektrum der Stoffvermittlung im Rahmen eines integrierten Systems der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch aufeinander aufbauende und ineinander-greifende Unterrichte zu erfolgen? In letzter Konsequenz führt auch der Nachhilfeunterricht in Deutsch, Englisch oder Mathematik nur zu einer punktuellen Unterrichtsleistung, wie auch jede Spezialisierung innerhalb des Schulplans (Altgriechisch, Teleologie und so weiter) speziell und punktuell erteilter Unterricht bleibt. Konsequent umgesetzt, sind mit diesen Aussagen des EuGH auch der Schwimm-, Tennis-, Reit-, Segel- und Skiunterricht vor allem der Volkshochschulen zukünftig steuerpflichtig, die bislang in den Umsatzsteuer-Anwendungserlassen (UStAE) von der Verwaltung (Abschn. 4.22.1 Abs. 4 UStAE) als steuerbefreite Veranstaltungen bewertet wurden. Selbst die bislang unstreitig als steuerfrei behandelten Leistungen von Ballett- und Tanzschulen im Bereich einer tänzerischen Früherziehung und des Kindertanzens für Kinder ab drei Jahren sowie des klassischen Ballettunterrichts (vgl. Abschn. 4.21.2 Abs. 8 S. 3 UStAE) könnten dieser neuen Bewertung unterfallen und demnächst von der Finanzverwaltung als steuerpflichtig behandelt werden.
Zweck der Bildungsleistungen gefährdet
Den betroffenen Unternehmungen bleibt nur die Möglichkeit, im Einzelfall nachzuweisen, dass ihre Unterrichtsleistungen als Teilhabe am Erziehungsauftrag der staatlichen Schulen beziehungsweise als integrativer Bestandteil des staatlichen Bildungssystems zu verstehen sind, wie etwa die im Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband organisierten Tanzschulen aufgrund ihrer vielfältigen Kooperationsvereinbarungen mit den staatlichen Schulen. Die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen verfolgte ursprünglich den Zweck, den Zugang zu den voranstehend skizzierten Bildungsleistungen nicht durch höhere Kosten zu versperren. Angesichts einer um 12 Prozentpunkte höheren Umsatzsteuerbelastung für diese Bildungsleistungen bleibt nun unklar, wie dieser Zweck bei all den durch die neue Begriffsbestimmung des EuGH ausgelösten Ausgrenzungen für bislang begünstigte Bildungsangebote noch erreicht werden soll.
Nationale Norm versus Unionsrecht
Die nationale Steuerbefreiungsnorm für die sogenannten Bildungsleistungen in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b Umsatzsteuergesetz (UStG) ist mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. i Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL S. 27) nicht unionskompatibel. Im Unterschied zum Unionsrecht verlangt die nationale Befreiungsnorm – so jetzt auch ausdrücklich der Bundesfinanzhof (BFH) – in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG für die Steuerbefreiung als materielle Tatbestandsvoraussetzung die Bescheinigung einer anderen Behörde, in der Regel der Kultusbehörde (BFH, Urteil vom 23.05.2019 – V R 7/19 V R 38/16). Die nationale Norm der Befreiung in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG ist nicht richtlinienkonform auslegbar.
Anwendungsvorrang
Es gilt damit der sogenannte Anwendungsvorrang. Die oder der Steuerpflichtige kann sich direkt und unmittelbar auf das Unionsrecht berufen (BFH, Vorlagebeschluss vom 27.03.2019 – V R 32/18, Rz. 17). Sowohl in den Fahrschul-und Surf-Urteilen wie auch den Entscheidungen zu Segel-und Schwimmschulen lagen aber keine Bescheinigungen gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG vor, sodass den Steuerpflichtigen in allen Fällen nur die direkte Berufungsmöglichkeit auf das Unionsrecht in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i (und j) MwStSystRL blieb. Im Rahmen der vom EuGH vorgenommenen unionsrechtlich-autonomen Begriffsbestimmung „Schul- und Hochschulunterricht“ hing damit die Frage der Steuerbefreiung als Bildungsleistung ausschließlich von der durch den EuGH vorgenommenen Konkretisierung des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht“ ab – und wurde vom EuGH verneint. Die nationale Norm mit ihrer Auslegung und Interpretation spielt insoweit keine Rolle.
Wahlrecht des Steuerpflichtigen
Umgekehrt folgt hieraus aber, dass die nationale Befreiungsnorm des § 4 Nr. 21 UStG und damit allein das nationale Recht zur Anwendung kommen kann, wenn diese Berufungsmöglichkeit für den Steuerpflichtigen günstiger ist (sogenannter Anwendungsvorrang mit Wahlrecht). Die Aussagen des EuGH zur unionsrechtlichen Auslegung des Begriffs „Bildungsleistung“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL können nur noch insoweit das nationale Recht beeinflussen, als einzelne materielle Tatbestandsmerkmale für die Befreiung im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation unionsrechtlich auslegungsfähig sind. Darüber hinaus haben die Aussagen des EuGH zum Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL keinerlei Ausstrahlungswirkung auf das nationale Recht. Die nationale Befreiungsnorm in § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG formuliert für gewerbliche Anbieter von Bildungsleistungen drei maßgebliche Voraussetzungen, nämlich zum einen die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde, zum anderen eine andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung und schließlich eine Leistung, die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dient.
Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde
Die dem Unionsrecht fremde Bescheinigung ist materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Sie entfaltet indizielle Wirkung für die von der Finanzverwaltung zu prüfenden Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG (BFH, Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05). Die indizielle Beweiswirkung gilt vor allem für die Abgrenzung der begünstigten Unterrichtsleistung zu einer Tätigkeit, die den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung aufweist. Bislang ist der EuGH aber eine konkrete Antwort schuldig geblieben, wann eine Unterrichtsleistung den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung aufweist und wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen die Freizeitgestaltung nicht den Hauptzweck der Tätigkeit ausmacht.
Allgemein- oder berufsbildende Einrichtung
Eine Unterscheidung in allgemein- und berufsbildende Einrichtungen mit einer Differenzierung in zulässige und schädliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten ist dem Unionsrecht fremd. Daher kann die vom EuGH bemühte Abgrenzung der begünstigten von einer nicht begünstigten Bildungsleistung keine Rolle spielen. Denn dem nationalen Tatbestandsmerkmal „andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung“ steht die einengende Definition von Schul- und Hochschulunterricht mit dem maßgeblichen Abgrenzungskriterium eines schädlichen „spezialisierten“ und „punktuell“ erteilten Unterrichts gegenüber, sodass eine richtlinienkonforme Auslegung insoweit ausscheidet.
Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen

Die als steuerfrei zu beurteilende Leistung dient unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck, wenn sie innerhalb eines festgelegten Lehrprogramms oder Lehrplans erbracht wird (vgl. Abschn. 4.21.2 Abs. 2 S. 2 UStAE) und den Schul- und Bildungszweck nicht nur ermöglicht, sondern selbst bewirkt (BFH, Urteil vom 21.03.2007 – V R 28/04). Entscheidend sind die Art der erbrachten Leistung und ihre generelle Eignung, den Zielen der Allgemeinbildung oder der Berufsaus- und -fortbildung zu dienen (BFH, Urteil vom 24.01.2008 – V R 3/05). Auch hier verbietet sich eine richtlinienkonforme Interpretation des nationalen Tatbestandsmerkmals „unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistung“ unter Beachtung der einschränkenden Definition des Begriffs „Schul- und Hochschulunterricht“ durch den EuGH. Es geht um die dem Zweck der Bildung und der Schule dienenden Leistungen, nicht dagegen um „Schul- und Hochschulunterricht“. Allgemeinbildend ist der Zweck, wenn es um die Vermittlung von Wissen geht, das die Grundlage von Leben und Bildung darstellt. Dieser Zweck ist weiter gehender als nur ein am Schul- und Hochschulunterricht ausgerichteter Zweck, wie er der Definition des EuGH zugrunde liegt. Gegenstand der Allgemeinbildung ist etwa ein den sozialen Standards entsprechendes kommunikatives Miteinander, wie es beispielsweise Tanzschulen in ihren Grundkursen des Welttanzprogramms oder ihren Medaillenkursen vermitteln.
Schlussfolgerungen
Solange der deutsche Gesetzgeber das nationale Recht nicht an die unionsrechtlichen Vorgaben anpasst, können sich die gewerblichen Bildungsleistungsanbieter mit ihren Unterrichtsleistungen auf das für sie günstigere deutsche Recht unter Hinweis auf die Bescheinigung der (bisherigen) Befreiung ihrer Unterrichtsleistungen berufen. Die Vorlage der Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG eröffnet national – fernab der Definitionseinengungen des EuGH zum Begriff des „Schul- und Hochschulunterrichts“ – den Weg in die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. b UStG, vorausgesetzt die zu befreiende Tätigkeit weist nicht den Charakter einer reinen Freizeitgestaltung auf. Eine weiter gehende richtlinienkonforme Interpretation des nationalen Rechts – soweit die Finanzbehörde prüfungsberechtigt ist – scheidet aus. Dies gilt jedenfalls so lange, wie der Gesetzgeber § 4 Nr. 21 UStG nicht neu kodifiziert und an das Unionsrecht anpasst. So gesehen können wir uns Bildung auch umsatzsteuerlich noch leisten.