Auswirkungen der Digitalisierung - 21. November 2019

Voll im Trend

Eine rasante technologische Entwicklung 
sowie gestiegene Rechnerleistungen führen dazu, dass nun auch die 
Betriebsprüfung digitale Formen annimmt.

Seit dem 1. Januar 2002 ist es der Finanzverwaltung möglich, auf die digitalen Daten der ERP-Systeme (Ressourcenplanung) in den Unternehmen zuzugreifen. Wurde diese Möglichkeit bis vor Kurzem eher stiefmütterlich wahrgenommen, erlebt die digitale Betriebsprüfung gerade einen regelrechten Boom. Neue Schulungskonzepte und Prüfmethoden werden diese Entwicklung weiter forcieren. Allein die fortschreitende Digitalisierung in den Unternehmen macht eine effizientere und digitalisierte Betriebsprüfung notwendig. Dies nicht zuletzt auch, weil die Rechnerleistung rasant wächst und sich die Speicherplatzvorhaltung in den nächsten Jahren verzehnfachen wird. Verfügte der Supercomputer Deep Blue 1997 noch über eine Leistung von elf GigaFLOPs (109 Gleitkommaoperationen pro Sekunde), wird das heute von der Rechnerleistung eines jeden normalen Smartphones deutlich übertroffen. Und auch jeder von uns wird durch diese Entwicklung tangiert. Heute erzeugt eine einzelne Person im Schnitt pro Tag etwa 750 MB an Daten, Ende 2020 werden es aber schon 1,5 GB sein.

Kei­ne Re­vo­lution der Prüf­methoden

All diese Fakten belegen, dass eine Betriebsprüfung ohne digitale Ansätze in der Zukunft unmöglich sein wird. Dabei schwirren Schlagwörter wie summarische Risikoprüfung, Monetary Unit Sampling, Schnittstellenverprobung oder andere Visualisierungsmethoden durch den Raum. Wenn man sich mit diesen Methoden jedoch etwas näher beschäftigt, wird man sehr schnell feststellen, dass es sich dabei um alles andere als um eine Revolution der Prüfmethoden handelt. In den Wirtschaftsprüfungsabteilungen der Großunternehmen sowie der Beratungsgesellschaften werden diese Methoden schon seit vielen Jahren angewandt. Sie dienen dem internen Controlling in den Unternehmen, zum anderen helfen sie bei der Beratung und Testierung zu Jahresabschlüssen.

Ge­stei­gerte Qua­li­tät bei ver­kür­zter Prüf­dauer

Die Finanzverwaltung macht sich diese bekannten und anerkannten Prüfmethoden jetzt zunutze, um bei den entstandenen Massendaten in einer angemessenen Zeit Prüfungsschwerpunkte und -ansätze herauszuarbeiten. Dabei geht es primär darum, die Prüfdauer in den Unternehmen zu verkürzen und gleichzeitig die Qualität der Prüfung zu steigern. Das allergrößte Problem sind jedoch nicht die Prüfmethoden an sich, sondern die Datenbasis, auf der diese Methoden angewandt werden. Aufgrund fehlender Standards sind die Daten, die dem Betriebsprüfer über die sogenannte GoBD-Schnittstelle übergeben werden, von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Sowohl Datenaufbau als auch Dateninhalt unterscheiden sich extrem. Die GoBD-Schnittstellen werden zumeist durch Software-Anbieter programmiert, die in der Regel keinerlei Kenntnisse der Betriebsabläufe in den jeweiligen Unternehmen besitzen. So kann es passieren, dass steuerlich relevante und für die Anwendung der Prüfmethoden elementare Daten gar nicht übergeben werden. Das führt unweigerlich zu Auffälligkeiten in den jeweiligen Prüfmethoden. Können diese Auffälligkeiten durch die Unternehmer nicht geklärt werden, befindet man sich dann häufig schon in einem Konfliktfeld innerhalb der Betriebsprüfung. Zeitliches Auseinanderfallen zwischen Betriebsprüfung und Entstehungszeitpunkt der Daten – meistens findet die Betriebsprüfung drei bis sechs Jahre später statt – erschweren dann die Sachverhaltsaufklärung.

Ver­fahr­ens­doku­menta­tion

Aus diesem Grund ist es elementar wichtig und auch ratsam, eine entsprechende Verfahrensdokumentation mit einem dazugehörigen Betriebstagebuch zu führen. Immer wieder werden Stimmen laut, die den gesetzlichen Anspruch einer Verfahrensdokumentation verneinen. Man verkennt dabei aber einen wichtigen Punkt. Der Unternehmer fertigt die Verfahrensdokumentation eigentlich nicht für die Finanzverwaltung, sondern für die Organisation und die Kontrolle seines eigenen Unternehmens. Die sachgerechte Auswertung der Daten kann nur mit Kenntnis der Betriebsstruktur, der betrieblichen Besonderheiten sowie der beschriebenen Datenstruktur erfolgen. Warum ist die Beschreibung der betrieblichen Prozesse ein wichtiges Kriterium in der digitalen Welt? Im Gegensatz zur analogen Welt laufen viele Prozesse automatisiert ab. Was in der analogen Welt durch die Finger der Unternehmer oder deren Angestellten ging, läuft heute unerkannt im Inneren eines ERP-Systems ab.

Ri­si­ken

Der Unternehmer verlässt sich zu 100 Prozent auf digitale Prozesse, ohne deren Auswirkung auf die Datenbasis zu kennen

Der Unternehmer verlässt sich zu 100 Prozent auf digitale Prozesse, ohne deren Auswirkung auf die Datenbasis zu kennen. Er verlässt sich auf die GoBD-Schnittstellen und deren Zertifizierung. Kommt es dann bei der Auswertung der Daten zu Fragen seitens der Finanzverwaltung, ist der Unternehmer meist ratlos. Verschärft wird diese Ratlosigkeit dann noch, wenn das ERP-System nicht mehr im Einsatz ist, etwa aufgrund einer Neuanschaffung, und nur noch die gespeicherten Daten aus der GoBD-Schnittstelle des Altsystems vorliegen. Hat der Unternehmer dieses nie auf Vollständigkeit geprüft, läuft er Gefahr, im Rahmen einer Betriebsprüfung keine Daten nachliefern zu können, die den Sachverhalt aufklären könnten.

Da­ten­serio­sität

Die moderne Betriebsprüfung setzt neben einer Formalprüfung auf die retrograde Prüfung der Besteuerungsgrundlagen. Sie startet bei den digital verdichteten Aufzeichnungen der Buchführung, quasi dem Gesamtbild. Der Weg vom Start zum Ziel beinhaltet Datenaufbereitung, -analyse und -verprobung, um später an dem einzelnen Geschäftsvorfall im Zielfeld zu landen.

Sollte das aus den oben genannten Gründen nicht möglich sein, verbleibt oft nur die Option einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Dies führt sicherlich gerade in den Jahren 2017 bis 2019 zu einem Prüfungsschwerpunkt bei der digitalen Betriebsprüfung; ab 2020 dürfte es mit der einheitlichen digitalen Schnittstelle (DSFinV-K) noch besser werden. Formate und Inhalte der Datenexporte sind genau vorgegeben. Sofern Installation und Anwendung zutreffend erfolgen, ist zumindest im Bereich der elektronischen Aufzeichnungssysteme (Kassen) mit vernünftigen Daten zu rechnen. Problematisch bleiben jedoch weiterhin Rechnungslegungsprogramme oder Warenwirtschaftssysteme. Denn hier bestimmt der Hersteller weiter über den Inhalt des Datenexports aufgrund der selbst programmierten Schnittstellen.

Sach­verhalts­auf­klär­ung

Die Buchführungsdaten liegen sinnbildlich in einem Sieb. Der Prüfer entscheidet nun, wie fein er das Sieb einstellt. Nimmt er eine grobe Einstellung vor, schaut er sich die Daten vielschichtiger und weniger detailliert an. Typischerweise ist das die summarische Risikoprüfung. Ist auf den ersten Blick alles in Ordnung, also einerseits die mathematisch-stochastischen und andererseits auch die betriebswirtschaftlichen Erwartungen, kann sich der Prüfer entscheiden, eine feinere Einstellung zum Sieben zu verwenden, um beispielsweise nur einen Teilbereich zu analysieren (Saison, bestimmte Wochentage, bestimmte Hauptumsatzträger und so weiter). Die feinste Einstellung verwendet der Prüfer bei der Schnittstellenverprobung. Die Erwartungshaltung besagt hier, dass die Daten, die innerhalb desselben Systems erzeugt werden, in sämtlichen Dateien oder Tabellen eine identische Wertigkeit besitzen; oder dass die Daten, die im Warenwirtschaftssystem erzeugt werden sollten – bis auf einige wenige zulässige Ausnahmen –, identisch in die Buchführung einfließen. Man stelle sich vor, in Excel wird in einem Tabellenblatt die Zahl 5 kopiert und anschließend in ein anderes Tabellenblatt wieder eingefügt. Welche Zahl steht dann dort? Die 5 oder 4,9, 4,98 oder 4? Möglich oder unmöglich? Es darf doch nur die 5 ankommen, oder? Alles was an Differenz in diesem Sieb liegen bleibt, ist in den meisten Fällen ein echtes Mehrergebnis. Eine Sachverhaltsaufklärung, woher diese Differenzen kommen, ist bei der Reise in die Vergangenheit häufig nicht möglich. Insbesondere bei einer quantitativen Fehlerzahl von bis zu 50 Prozent im Zusammenhang mit der Programmierung von Schnittstellen sowie einer relativ leichten Manipulation von Datenbanken dürfte es im Regelfall nicht zu einer leichten und schnellen Nachprüfbarkeit für den Steuerpflichtigen kommen. Oft können hier nur (Daten-)Forensiker weiterhelfen. Beim Monetary Unit Sampling wird das Sieb komplett anders verwendet. Hier werden nur bestimmte Aufwandsposten analysiert und per Stichprobe gezogen. Anschließend wird dann untersucht, ob ein Fehler vorliegt oder nicht. Durch diese Stichprobenanalyse ist der Prüfer sofort am Sachverhalt.

Betrieb­liche Beson­der­heiten

Bei all diesen Prüfungen sind hinsichtlich der Beurteilung des Ergebnisses natürlich betriebliche Besonderheiten mit einzubeziehen. Gerade deswegen ist eine gelebte Verfahrensdokumentation mit allen betrieblichen Besonderheiten ein immens wichtiger Bestandteil der Buchführung.

MEHR DAZU

Mit dem Zusatzmodul Abschlussprüfung Verfahrensdokumentation kann für Mandanten die Verfahrensdokumentation erstellt werden

Weitere Infos unter
www.datev.de/verfahrensdokumentation

DATEV-Fachbuch
Digitalisierung von Geschäftsprozessen im Rechnungs­wesen, 2. Auflage

Dialogseminar online TeleTax „Die Betriebsprüfung bargeldintensiver Betriebe am Beispiel des Gastwirtes“, Art.-Nr. 76464

Fachseminar „Betriebsprüfung im Zeitalter der Digitalisierung – wenn der Prüfer mit dem Laptop kommt“, Art.-Nr. 70778

Fachseminar „Kasse 2020 – Praxis der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten“, Art.-Nr. 78177

Zum Autor

TN
Thomas Neubert

Diplom Finanzwirt, Betriebsprüfer, Finanzamt Halle/Saale

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