Insolvenzantragsgründe - 27. Mai 2021

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Die zum Jahreswechsel in Kraft getretenen neuen Regeln zur Sanierung von Unternehmen in der Krise haben Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht. Daher sollten sich auch die steuerlichen Berater mit der geänderten Rechtslage vertraut machen.

Zum 1. Januar 2021 wurde nicht nur die Insolvenzordnung in einigen wichtigen Punkten geändert, auch das mit Spannung erwartete neu geschaffene Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) trat in Kraft. Es enthält mit Sanierungsmoderation und Restrukturierungsrahmen zwei neue Instrumente, mit denen in bestimmten Konstellationen eine außergerichtliche Sanierung vereinfacht wird, wenn ein Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise geraten sollte. Vor allem auch die Steuerberater sind prädestiniert, ihren Mandanten mit den neuen Werkzeugen der Sanierung und Restrukturierung zu helfen, um eine Krisensituation zu überwinden. Hierzu benötigen die steuerlichen Berater zunächst einen Leitfaden, um beurteilen zu können, in welchen Situationen welche insolvenzrechtlichen Haftungsrisiken auftreten und welche Instrumente sich für welche Konstellationen typischerweise am besten eignen, um die Chancen für eine nachhaltige Sanierung des betroffenen Mandanten zu maximieren. In diesem Beitrag sollen daher die Änderungen in Bezug auf die Insolvenzantragsgründe dargestellt werden, deren Kenntnis aufgrund der besonderen Haftungsrisiken sowohl für die Geschäftsführung eines wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmens als auch für den diesen Betrieb begleitenden Steuerberater unerlässlich ist. An anderer Stelle werden dann die Sanierungsmoderation sowie der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen des StaRUG thematisiert und deren Vorteile, aber auch Grenzen aufgezeigt beziehungsweise die geänderten Zugangsvoraussetzungen des Sanierungsinstruments der Eigenverwaltung erläutert.

Fallbeispiel

Um die Insolvenzantragsgründe verständlich zu machen, empfiehlt es sich, anhand eines konkreten Fallbeispiels die Änderungen nach der neuen Rechtslage zu erläutern. Die H-GmbH betreibt ein Hotel in Berlin und wird von Steuerberater S beraten. Die Geschäfte laufen gut, sodass die H-GmbH im Jahr 2018 ein Darlehen bei der B-Bank aufnimmt, um damit ein weiteres Hotel in Köln zu erwerben. Um im Jahr 2020 die pandemiebedingten Umsatzeinbrüche kompensieren zu können, nimmt die H-GmbH weitere (KfW-) Darlehen auf. Doch auch im Frühjahr 2021 erholt sich die Umsatzsituation nicht, sodass Anpassungen der Arbeitnehmerstruktur sowie Nachverhandlungen eines langfristigen und unvorteilhaften Bierlieferungsvertrags erforderlich werden könnten, um die wirtschaftliche Situation bei der H-GmbH nachhaltig zu verbessern. Ausweislich der Liquiditätsplanung kann die H-GmbH aufgrund von 100-prozentiger Kurzarbeit sowie dank der Überbrückungshilfen I-III die gegenwärtigen sowie die innerhalb der nächsten 12 Monate fällig werdenden Verbindlichkeiten fristgemäß erfüllen. S fragt sich, ob mit den vorgenannten Maßnahmen eine Insolvenz der H-GmbH abgewendet ist. Zudem macht S sich Sorgen um die langfristige Ertragskraft dieses Mandanten.

Insolvenzantragspflicht

Jedes Unternehmen, das der Insolvenzantragspflicht unterliegt, so auch eine GmbH, sollte im Falle einer Krise stets das eventuelle Vorliegen von Insolvenzantragsgründen im Blick behalten. Eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht kann empfindliche Haftungsrisiken für die Geschäftsführung zur Folge haben, etwa das Risiko einer persönlichen Rückzahlungspflicht für masseschmälernde Zahlungen oder die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung. An der Insolvenzantragspflicht hat sich grundsätzlich nichts geändert. Pandemiebedingte Erleichterungen gibt es entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen. Grundsätzlich hat eine juristische Person bei Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit und/oder einer Überschuldung nach wie vor einen Insolvenzantrag zu stellen. Nicht verpflichtend, aber zulässig ist ein Insolvenzantrag zudem bei Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Die Insolvenzantragsgründe sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

Zahlungsunfähigkeit

Ein Unternehmen ist zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn durch liquide Mittel, beispielsweise Bargeld, Kontoguthaben oder Kontokorrentlinien, nicht mindestens 90 Prozent der fälligen Verbindlichkeiten bedient werden können und sich diese Lücke auch unter Berücksichtigung der erwarteten Zahlungseingänge und fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht innerhalb der nächsten 21 Tage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schließen lässt. Im Beispielsfall kann die H-GmbH ausweislich der Liquiditätsplanung ihre gegenwärtigen fälligen Verbindlichkeiten im vollen Umfang erfüllen. Damit dem Geschäftsführer keine Haftung wegen möglicher Insolvenzverschleppung oder weiterer Haftungstatbestände droht, sollte die H-GmbH ihre Liquiditätsplanung von S überprüfen lassen. Sie sollte einen sogenannten Zahlungsunfähigkeitsstatus aufstellen, in welchem den liquiden Mitteln die per Stichtag fälligen Verbindlichkeiten Tag genau gegenübergestellt werden. Wichtig zu wissen ist, dass „Fälligkeit“ nicht mit „Verzug“ verwechselt werden darf. Eine verzugsbegründende Mahnung des Gläubigers ist für den Eintritt der Fälligkeit nicht erforderlich. Bei S sollten daher Alarmglocken läuten, wenn er feststellt, dass die H-GmbH ein „Lieferantenmanagement“ betreibt und ihre Verbindlichkeiten in einem nicht unerheblichen Ausmaß später als zum vertraglichen Fälligkeitszeitpunkt bezahlt, ohne mit ihren Gläubigern hierüber ein Einvernehmen erzielt zu haben. Dieses – in der Praxis nicht seltene – Verhalten kann darauf hindeuten, dass eine Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist. Sofern S bei der Überprüfung der Liquiditätsplanung Unterstützung benötigt oder sofern sich bei Prüfung der Zahlungsunfähigkeit herausstellt, dass eine relevante Unterdeckung vorliegt, sollte S dem Geschäftsführer im Zweifel empfehlen, im Insolvenzwesen spezialisierte Berater hinzuzuziehen.

Überschuldung

Der Insolvenzgrund einer Überschuldung hat sich in den zurückliegenden Jahren mehrfach geändert. Seit dem 1. Januar 2021 ist eine Überschuldung dann gegeben, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, dass die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Da die Bewertung des Vermögens mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, wird in der insolvenzrechtlichen Praxis vornehmlich die Frage der positiven Fortführungsprognose betrachtet, bei deren Vorliegen eine Überschuldung ausscheidet. Eine positive Fortführungsprognose liegt dann vor, wenn das Unternehmen innerhalb der nächsten zwölf Monate seinen Zahlungsverpflichtungen überwiegend wahrscheinlich nachkommen kann, also innerhalb der nächsten zwölf Monate voraussichtlich keine Zahlungsunfähigkeit eintritt. Im Beispielfall sollte die H-GmbH durch eine langfristige Liquiditätsplanung – möglichst auf Wochenbasis – abbilden, dass die Finanzierung innerhalb der kommenden zwölf Monate gesichert ist. Zudem sollte S diese Liquiditätsplanung sowie die zugrunde liegenden objektivierbaren Planprämissen prüfen oder diese in Abstimmung mit der Geschäftsführung der H-GmbH selbst beziehungsweise im Zusammenspiel mit einem spezialisierten Berater erstellen lassen. Aufgrund der empfindlichen Haftungsrisiken wird der Geschäftsführer der H-GmbH in der Regel ein erhebliches persönliches Interesse an einer soliden Planung haben und anerkennen, dass die diesbezüglich für S anfallende Vergütung „gut investiertes Geld“ darstellt. Sofern aber eine positive Fortführungsprognose nicht bestehen sollte, wäre in einem zweiten Schritt ein Überschuldungsstatus unter Liquidationsgesichtspunkten zu erstellen. Zeigt sich im Rahmen dieser Prüfungen, dass eine Überschuldung bei der H-GmbH vorliegt, hat deren Geschäftsführer seit dem 1. Januar 2021 nunmehr bis zu sechs, statt bislang drei Wochen Zeit, die Überschuldung durch Sanierungsmaßnahmen zu beseitigen beziehungsweise einen Insolvenzantrag zu stellen.

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Auch die Definition der drohenden Zahlungsunfähigkeit, die einen fakultativen Insolvenzantrag ermöglicht, ist zum 1. Januar 2021 geändert worden. Diese liegt nunmehr dann vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, innerhalb eines Prognosezeitraums von in der Regel 24 Monaten seine bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Sofern bei der H-GmbH lediglich eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, begründet dies für sich genommen noch keine Insolvenzantragspflicht. Allerdings knüpfen einige gesetzliche Normen, wie etwa die Bankrottdelikte, ihre Rechtsfolgen und Haftungen bereits an das Vorliegen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Zudem ist ein Geschäftsführer seit dem 1. Januar 2021 gemäß § 1 StaRUG verpflichtet, fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten. Vor diesem Hintergrund sollte S seiner Mandantin empfehlen, den Zeitraum für die Liquiditätsplanung von 12 auf mindestens 24 Monate auszudehnen. Auf diese Weise kann S den Geschäftsführer der H-GmbH selbst oder im Zusammenwirken mit spezialisierten Beratern sicher durch das schwierige Fahrwasser geleiten und ihn vor persönlichen Haftungsrisiken weitgehend bewahren.

Zu den Autoren

SS
Stephan Strumpf

Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei FINKENHOF Rechtsanwälte in Frankfurt am Main.

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TG
Tim Grabbe

Unternehmensberater und Mitarbeiter der FINKENHOF Management GmbH in Frankfurt/M. Er ist dort im Bereich der Sanierung von Unternehmen tätig.

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RJ
Robert Jödicke

Rechtsanwalt in der Kanzlei FINKENHOF Rechtsanwälte in Frankfurt/M.  Er unterstützt dabei, Unternehmen in der Krise zu sanieren und Werte zu erhalten.

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