Auf europäischer Ebene sind Tendenzen unübersehbar, die freien Berufe zu deregulieren. Zudem wurden Stimmen laut, wonach die steuerlichen Berater in großem Stile behilflich seien, unredliche Steuerpraktiken zu etablieren.
Steuerberater – insbesondere auch die deutschen – tragen durch ihre tägliche Arbeit dazu bei, das Finanzaufkommen ihrer Staaten, aber auch der Europäischen Union (EU) zu sichern und ein ordnungsgemäßes Besteuerungsverfahren sowie eine gesetzmäßige Besteuerung zu gewährleisten. So bearbeiten sie beispielsweise monatlich über zwölf Millionen Lohn- und Gehaltsabrechnungen, schlagen sich mit der Unbill einer immer komplizierter werdenden Umsatzsteuer sowie vieler anderer Steuern herum, begleiten Unternehmen wie auch Privatpersonen auf ihrem Weg durch den Steuerdschungel und machen ihrem beruflichen Leitbild als Organe der Steuerrechtspflege alle Ehre. Dabei gehört zu ihrem Berufsethos auch, den Steuerbürger vor einer übermäßigen, gesetzwidrigen Besteuerung zu schützen und insofern für Waffengleichheit gegenüber dem Steuerstaat zu sorgen. Ohne den Berufsstand der Steuerberater und die gewissenhafte Arbeit der ihm angehörenden Berufsträger wäre eine ordnungsgemäße Besteuerung nicht möglich.
Verzerrtes Fremdbild und seine Folgen
Häufig ist in diesem Zusammenhang dann von einer Steuervermeidungsindustrie die Rede, die es zu bekämpfen gelte.
Im deutlichen Gegensatz zu dem beschriebenen traditionellen Selbstverständnis der Steuerberater stehen seit einiger Zeit bekannt gewordene sowie öffentlich breit diskutierte Vorgänge, die sich mit den Begriffen Panama Papers, Lux-Leaks, Paradise Papers und TAX 3 umreißen lassen. Globale gesetzgeberische Maßnahmenpakete, wie die Anti-BEPS(Base Erosion and Profit Shifting)-Richtlinie, der Automatische Internationale Informationsaustausch (AIA), die Geldwäscherichtlinie oder auch die auf europäischer Ebene beschlossene Anzeigepflicht für Intermediäre mit Blick auf grenzüberschreitende Steuergestaltungen waren und sind die Folge. Manches davon ist nachvollziehbar, denn auch große, teilweise weltweit operierende Unternehmen müssen ihren fairen Beitrag zum Steueraufkommen leisten, nicht nur die Bürger und die kleinen oder mittelständischen Unternehmen. Dies ist ein Anliegen auch der deutschen Steuerberater – und diesen Standpunkt hat der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) seit jeher vertreten. Umso unverständlicher ist es, dass ausgerechnet Steuerberater von manchen Politikern in öffentlichen Äußerungen pauschal als Verursacher aggressiver Steuergestaltungen diskreditiert werden. Steuerberater werden damit unter einen unberechtigten Generalverdacht gestellt. Häufig ist in diesem Zusammenhang dann von der Steuervermeidungsindustrie die Rede, die es zu bekämpfen gelte. Dabei wird verkannt, dass es die gesetzliche Aufgabe gerade der Steuerberater ist, dafür zu sorgen, dass ihre Mandanten nur diejenigen Steuern entrichten, zu deren Zahlung sie gesetzlich verpflichtet sind. Dies dient dem Schutz der Steuerpflichtigen und ebenso der Gemeinschaft, denn alles andere wäre Willkür und ein Rückfall in mittelalterliche Verhältnisse. Basierend auf dem nachvollziehbaren Ärger darüber, dass es Weltkonzernen gelingt, ihre steuerlichen Angelegenheiten so zu gestalten, dass sie in vielen Ländern wenig oder gar keine Steuern zahlen, geht die Politik im Sinne eines Rundumschlags gegen alle vor, die steuerliche Beratung anbieten. Das ist weder gerecht noch zielführend. Übersehen wird dabei auch, dass viele Staaten daran mitwirken, dass es die festgestellten Ungerechtigkeiten und Steuerbelastungsunterschiede überhaupt gibt. Denn die eigentliche Ursache von Steuervermeidung und Steueroasen sind Staaten, auch innerhalb der EU, die globale Konzerne durch ihre unterschiedlichen Steuersysteme zum Forum Shopping einladen und so die beklagten Verwerfungen selbst verursachen. Im Allgemeinen gilt es als klug, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Dahinter verbirgt sich nicht nur die Frage der Verhältnismäßigkeit des eingesetzten Mittels, sondern auch die Frage nach der richtigen Auswahl des Zielobjekts. Wer zur Bekämpfung der eingangs beschriebenen großen Steuerausfälle auf Steuerberater zielt, etwa mit Anzeigepflichten für legale Steuergestaltungen, zielt regelmäßig in die falsche Richtung. Denn Steuerberater zeichnen sich durch eine besondere Bindung an das Recht aus und sind nicht die Verursacher aggressiver Steuervermeidungsmodelle. Das belegt im Übrigen auch eine Studie der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Sie zeigt, dass der generelle Vorwurf, Steuerberater seien in großem Stile behilflich, unredliche Steuerpraktiken zu etablieren, an der Realität vorbeigeht. Wo aber Fakten nicht mehr zählen, wo Sachverhalte nicht mehr differenziert beschrieben und gewürdigt, sondern unbillig verallgemeinert werden, leidet die Zielgenauigkeit und damit auch die Legitimität ergriffener Belastungsmaßnahmen.
Kahlschlagpolitik der EU-Kommission
Seit Jahren sind die freien Berufe Opfer einer undifferenzierten und widersprüchlichen Deregulierungs- und Nivellierungspolitik durch die Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission. Erst Ende Februar hat die EU-Kommission in einem Bericht an die Mitgliedstaaten (Europäisches Semester 2019) wieder eine aus ihrer Sicht bestehende Überregulierung freiberuflicher Dienstleistungen in Deutschland beklagt: Exklusivrechte (Vorbehaltsaufgaben), die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer sowie die Regulierung von Preisen und Gebühren behinderten den Wettbewerb und damit den wirtschaftlichen Erfolg eines Lands. Aus Sicht der EU-Kommission sollten die betreffenden nationalen Bestimmungen deshalb allesamt abgeschafft werden. Schwer nachvollziehbar, wenn man dem wirtschaftliche Fakten und rechtstatsächliche Gegebenheiten gegenüberstellt.
Beispiel Vorbehaltsaufgaben
Hier hat die EU-Kommission im Jahr 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet und dies auf eine angebliche Inkohärenz der §§ 3 und 4 Steuerberatungsgesetz (StBerG) gestützt. Während die eine Regelung (§ 3 StBerG) steuerberatende Tätigkeiten wenigen privilegierten Berufen vorbehalte, nämlich Steuerberatern, Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern, öffne die andere Vorschrift (§ 4 StBerG) solche Tätigkeiten auch für einen weiten Kreis weniger qualifizierter Berufe. Dies sei inkohärent mit der Folge, dass die Vorbehaltsaufgaben unverhältnismäßig und damit rechtswidrig seien. Diese Argumentation der EU-Kommission ist allerdings – neben anderen Schwächen – selbst rechtlich und politisch inkohärent: Politisch ist sie inkohärent, weil sich die Generaldirektion Steuern und Zollunion der EU-Kommission zur selben Zeit für die Schaffung europäischer Verhaltenskodizes für steuerberatende Berufe einsetzt, mit denen die Qualität und die Redlichkeit steuerlicher Beratung gefördert werden sollen. Rechtlich ist die Argumentation der EU-Kommission inkohärent, weil die Kommission, gäbe es die Ausnahmen im § 4 StBerG nicht, der Bundesrepublik wohl schon längst vorgeworfen hätte, sie habe ein zu strenges, die Freiheiten des Binnenmarkts nicht ausreichend berücksichtigendes Monopol geschaffen. Kohärenz hat immer zwei Seiten. Auch von der EU-Kommission darf Kohärenz erwartet werden.
Beispiel Berufshaftpflichtversicherung
Manche Initiativen der Generaldirektion Wettbewerb, mit denen sie den Binnenmarkt fördern möchte, haben negative Konsequenzen für die Bürger. So hat die EU-Kommission dem Vernehmen nach ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, in dem sie argumentiert, Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit in Deutschland steuerberatend tätig sein dürfen (§ 3a StBerG), müssten zwar eine Berufshaftpflichtversicherung nachweisen, Deutschland dürfe ihnen aber nicht vorschreiben, welchen Inhalt diese Versicherung haben müsse; insbesondere dürfe nicht verlangt werden, dass die Versicherung einen ähnlichen Deckungsumfang aufweise, wie die den deutschen Steuerberatern vorgeschriebene Pflichtversicherung. Danach wäre es möglich, dass ausländische Berater in Deutschland mit einem bedeutend geringeren Versicherungsschutz agieren dürfen als ihre deutschen Kollegen – Luftnummern nicht ausgeschlossen. Eine Nivellierung auf niedrigstem Niveau – ist das im Sinne der Bürger?
Missachtung der europäischen Verträge
Vielfach muss bezweifelt werden, ob die EU-Kommission die Kompetenzordnung der Europäischen Union und insbesondere das Subsidiaritätsprinzip ausreichend achtet. Beispiel: Notifizierungsverfahren. Im Rahmen des EU-Dienstleistungspakts strebt die EU-Kommission ein verbindliches Beschlussrecht an, mit dem sie den Mitgliedstaaten den Erlass berufsrechtlicher Vorschriften verbieten kann, wenn sie die geplanten Vorschriften für nicht mit dem Europarecht vereinbar hält. Es bedurfte intensiver Anstrengungen, bis der juristische Dienst des Rats der EU feststellte, dass ein solches Vetorecht für die Kommission die Kompetenzordnung der europäischen Verträge und das Subsidiaritätsprinzip verletzen würde, und sich die Mitgliedstaaten von dem Kommissionsvorschlag entfernten. Noch heute behauptet die EU-Kommission, dass ihr ein solches verbindliches Beschlussrecht bereits seit der Dienstleistungsrichtlinie 2006 zustehe. Manche Abgeordnete übernehmen dieses Argument allzu unkritisch. Denn wenn ein solches Beschlussrecht heute gegen die europäischen Verträge verstößt, verstieß es sicher auch im Jahre 2006 dagegen.
Vernachlässigung rechtsstaatlicher Garantien
Die rechtsstaatlichen Besonderheiten freier rechts- und steuerberatender Berufe treten bei europäischen Rechtssetzungsvorhaben zunehmend in den Hintergrund. Nicht wenige europäische Regelungsvorhaben höhlen die Vertrauensstellung der wirtschaftsnahen freien Berufe aus, nicht indem sie deren Status verändern, sondern indem sie diesen Status ignorieren.
Beispiel Berufsgeheimnisse
Der Schutz von Berufsgeheimnissen ist ein unverzichtbares Element des Rechtsstaats. Bürger und Unternehmen haben Anspruch darauf, sich an Rechtskundige wenden zu dürfen, auf deren Verschwiegenheit sie vertrauen können. Dabei handelt es sich nicht um ein Privileg zugunsten bestimmter Berufsgruppen, sondern um ein Element der Rechtsstaatlichkeit und zum Schutze der Bürger. Dennoch werden die beruflichen Verschwiegenheitspflichten freier und insbesondere steuerberatender freier Berufe (vgl. §§ 203ff. StGB, §§ 57, 62 StBerG) in Gesetzgebungsakten der EU aus jüngster Zeit nicht immer in der gebotenen Weise berücksichtigt. Dies war etwa der Fall, als die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine europäische Anzeigepflicht für Steuergestaltungen auf den Weg brachte und dabei nur rechtsberatende Berufe aufgrund deren „legal professional privilege“ von der Meldepflicht ausnehmen wollte. Erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens konnte eine Klarstellung erreicht werden, dass auch die parallel laufenden Verschwiegenheitspflichten der deutschen Steuerberater zu achten sind. Ähnlich ist die Situation bei der sogenannten Whistleblower-Richtlinie der EU. Auch diese nimmt nur Rechtsanwälte und Medizinberufe sowie deren Mitarbeiter von der Geltung der Richtlinie aus („protection of legal and medical professional privilege“). Hiergegen wandten sich der DStV und die Bundessteuerberaterkammer in gemeinsamen Eingaben an den Rat der EU, die EU-Kommission und zahlreiche EU-Parlamentarier. Auch die aktuellen Kompromisstexte lassen eine klare Position vermissen. Das ist wenig überzeugend, haben Steuerberater in Deutschland doch die Position eines auf das Steuerrecht spezialisierten Rechtsberufs. Für die Forderung der Steuerberater nach Gleichbehandlung sprechen dabei nicht nur ihre Stellung als Organ der Steuerrechtspflege, sondern auch die nach deutschem Recht bestehenden Möglichkeiten der interprofessionellen Zusammenarbeit in Berufsgesellschaften, die denknotwendig einen einheitlichen Schutz der Berufsgeheimnisse erfordern.
Europa – unsere Zukunft
In dem Bemühen, Missbräuchen entgegenzuwirken, greifen die Staaten wie auch die EU immer häufiger und intensiver in die Arbeitswelt sowie in die Rechte der steuerberatenden Berufe ein. Sie bestrafen damit die breite Masse gesetzestreuer Bürger und Berater, treffen die wahren Übeltäter aber kaum. Immer seltener nehmen Gesetzesvorschläge der EU noch Rücksicht auf die Besonderheiten der freien Berufe und insbesondere auf deren Rechtsstaatsbezogenheit. Aber die freien Berufe gehören zu Europa. Sie unter Generalverdacht zu stellen, schadet dem Projekt Europa, weil die freien Berufe destabilisiert und das Vertrauen in sie geschmälert wird. Bei der Europawahl 2019 ging es um die Zukunft unseres Kontinents. Europa ist das wichtigste Projekt Deutschlands und auch das bedeutendste Anliegen der deutschen Steuerberater. Aus diesem Grund unterstützt der DStV auch die Kampagne MAKE EUROPE YOUROPE! der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD). Der bisherige Erfolg des europäischen Projekts beruht aber auf gemeinsamen Werten und der Einhaltung des Rechts. Dazu gehören die europäische Kompetenzordnung sowie das Subsidiaritätsprinzip ebenso wie die Bürgerfreiheiten und das Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Wie schrieb jüngst der französische Staatspräsident Emmanuel Macron an die Bürger Europas: „Europa ist mehr als ein Markt, Europa ist ein Projekt“ – ein Projekt, an dem die deutschen steuerberatenden Berufe gerne konstruktiv aber auch kritisch mitarbeiten.