Die Eigen­ver­waltung - 15. Oktober 2019

Unter eigener Regie

Mit dem am 1. März 2012 in Kraft getre­te­nen Gesetz zur Er­leich­te­rung der Sanie­rung von Unter­nehmen (ESUG) hat ein Schuldner die Mög­lich­keit, die Insol­venz­masse unter Aufsicht eines Sach­walters selbst zu verwalten.

Seit Einführung des ESUG ist die Zahl der Eigenverwaltungen in den wirtschaftlich lukrativen Großverfahren stetig gestiegen. Lag der Anteil von Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung vor der Einführung des Gesetzes bei unter einem Prozent aller Verfahren, so wurden 2016 von den 50 größten Unternehmensinsolvenzen mehr als die Hälfte (64 Prozent) in Eigenverwaltung beantragt. Während beim Regelinsolvenzverfahren die Person des (vorläufigen) Insolvenzverwalters durch das Gericht besetzt und seine Bestellung nachfolgend im Rahmen einer ersten Gläubigerversammlung von den Gläubigern bestätigt wird, haben es der Gesellschafter und das Management bei der Eigenverwaltung dagegen selbst in der Hand, sich einen geeigneten Insolvenzberater zu suchen, der das Verfahren organisiert. Häufig sind das Personen, die selbst auch als Insolvenzverwalter tätig werden. Die Hinzuziehung eines geeigneten Sanierungsberaters ist der wesentliche Erfolgsfaktor für ein Eigenverwaltungsverfahren. Das liegt primär an der Charakteristik der Eigenverwaltung. Der Sanierungsberater unterstützt die Organe des Schuldners bei den insolvenzspezifischen Aufgaben, etwa bei Nichterfüllungsanzeigen, insolvenzspezifischen Verzeichnissen sowie Berichten (§§ 151ff Insolvenzordnung – InsO), und stellt bei den wesentlichen Stakeholdern des Verfahrens (Kunden, Lieferanten, Banken, Gewerkschaften, aber auch dem Gericht und Sachwalter) durch seine Professionalität sowie Objektivität Vertrauen her. Zudem strebt ein insolvenzerfahrener Berater durch vorgelebte Handlungsweisen nach dem Verfahrensziel einer bestmöglichen sowie gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO). Aber wonach entscheidet ein Sanierungsberater, ob er ein Mandat für die Begleitung einer Eigenverwaltung annimmt? Welche Kriterien legt er der Entscheidung zugrunde? Vor dem Hintergrund abnehmender Insolvenzzahlen bei gleichzeitiger Zunahme von Eigenverwaltungen in den lukrativen Großverfahren wird sich ein Sanierungsberater nicht davon frei machen können, bei der Entscheidungsfindung auch eigene finanzielle Interessen zu berücksichtigen. So wurden in jüngster Vergangenheit Akquisitionsmethoden von Sanierungsberatern bekannt, die offensiv für Eigenverwaltungen warben. Dabei wurden Sanierungsvorteile wie staatliches Insolvenzgeld, Nichtabführung von Umsatzsteuerzahlungen oder gestärkte Eigenkapitalquoten durch hohe Gläubigerverzichte ins Feld geführt. Diesen unbestrittenen Vorteilen steht aber auch eine ganze Reihe von Nachteilen gegenüber – in erster Linie eine massive Rufschädigung für das betroffene Unternehmen. Daher stellt sich die Frage, ob eine derartige Akquise moralisch angreifbar ist? Wo sind die roten Linien für Sanierungsberater bei der Frage, ob ein Unternehmen eigenverwaltungstauglich ist oder nicht?

Standards setzen

Bei der Sanierung in Eigenverwaltung gilt es, das eigene Handeln mit den rechtlichen Möglichkeiten in Einklang zu bringen, die sich bei einer Sanierung mit Insolvenzplan oder einer übertragenden Sanierung beziehungsweise auch bei einer möglichen Unternehmensabwicklung ergeben. Für den Erfolg des Verfahrens ist eine enge Zusammenarbeit zwischen eigenverwaltendem Schuldner, den Beratern des Schuldners, der Sachwaltung, des Gerichts sowie dem Gläubigerausschuss oder anderen Stakeholdern unabdingbar. Die Rolle des Sanierungsberaters ist ein maßgeblicher Bestandteil des Verfahrens. Daher ist auch eine einheitliche, normative und regulative Vorgehensweise gegenüber den Gläubigern sowie den Verfahrensbeteiligten vorausgesetzt. Um dies zu erreichen, müssen einheitliche Regeln, Werte und Normen etabliert werden. Insoweit liefern Standards mit Blick auf eine ordnungsgemäße Verfahrensabwicklung wichtige Hinweise für ein ethisch korrektes Verhalten. Einen solchen Standard entwickelt und veröffentlicht hat das Forum 270 – Qualität und Verantwortung in der Eigenverwaltung e. V., ein Zusammenschluss von sanierungserfahrenen Eigenverwaltern. Dieser Standard liefert den Handlungsrahmen für eine ordnungsgemäße, richtige Eigenverwaltung.

Grundsätze der Eigenverwaltung

Die Ergebnisse der Verfahren in Eigenverwaltung weisen große Unterschiede auf. Stakeholder beklagen immer wieder Missbräuche bei der Eigenverwaltung oder Verletzungen von Gläubigerinteressen. Die kritische Analyse erfolgreicher und weniger erfolgreicher Verfahren lässt deutliche Unterschiede erkennen. Die Berücksichtigung dieser Einflüsse sowie die Einhaltung von Grundprinzipien erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein bestmögliches Verfahrensergebnis erheblich. Gleichzeitig werden Normen gesetzt, die Leitplanken für eine ordnungsgemäße Abwicklung von Eigenverwaltungen liefern. Neben verfahrenstechnischen Grundsätzen und Stellungnahmen beschreibt der Standard insbesondere auch die Anforderungen, Pflichten und Wertungsmaßstäbe für die Person des eigenverwaltenden Schuldners.

Die Person des Eigenverwalters

Der eigenverwaltende Schuldner (der Eigenverwalter) ist der wesentliche Treiber der Sanierung in Eigenverwaltung. Um diese Funktion sachgerecht ausfüllen zu können, muss er in seiner Person insolvenzrechtliche Expertise und Sanierungserfahrung vereinen, denn er hat die strategische Hoheit über das Unternehmen und die Sanierung. Der Eigenverwalter übernimmt in der Regel die Organstellung beim Schuldner (Vorstand oder Geschäftsführer). Nur so ist sichergestellt, dass die erforderliche Expertise bei den Organen des Schuldners verfügbar und durchsetzbar ist. Das folgt auch aus dem Grundsatz der Höchstpersönlichkeit des Insolvenzverwalters. Nur in begründeten Ausnahmefällen wird der Eigenverwalter als Generalbevollmächtigter tätig. Eine rein beratende Tätigkeit der Geschäftsführung ist regelmäßig ausgeschlossen. Durch eine Koppelung von persönlicher Verantwortung und Haftung wird ein wesentliches Junktim zur Qualitätssteigerung hergestellt. Der Eigenverwalter muss zum Abschluss sämtlicher (notarieller) Verträge, zum Ausspruch von Kündigungen ermächtigt sein und Zugriff auf die liquiden Mittel des Unternehmens haben. Er muss die Regelungen der Insolvenzordnung und das darin vorgesehene Haftungsregime durchsetzen und mit dem Insolvenzverfahren einhergehende Formalien erfüllen können. Das schuldnerische Unternehmen muss insolvenzrechtlich allein durch den Eigenverwalter handlungsfähig sein. Er stimmt seine Handlungen jedoch stets mit der Geschäftsleitung oder dem Schuldner und bei Bedarf mit dem (vorläufigen) Sachwalter ab. Der Eigenverwalter ist bei seinen Tätigkeiten dem Primat der Gläubigerinteressen verpflichtet. Zwar vertritt er seinem Verständnis nach den Schuldner, aber er richtet sein Handeln an den Interessen der Gläubiger aus (§ 1 InsO). Ohne das Primat der Gläubigerinteressen zu verletzen, hat er dabei auch die Interessen der Gesellschafter und Co-Geschäftsführer im Blick, um mit einem möglichst breiten Konsens die Sanierung umzusetzen. Er verhilft auch den ­Interessen der Geschäftsführer und der Gesellschafter zur Geltung, soweit das nicht im Konflikt mit den Interessen der Gläubiger an einer bestmöglichen Befriedigung steht (§ 1 InsO).

Tätigkeiten des Eigenverwalters

Der Eigenverwalter beachtet den Grundsatz der Höchstpersönlichkeit. Er führt in Person folgende Tätigkeiten aus:

  • grundlegende sanierungsrelevante Entscheidungen
  • Terminwahrnehmung beim Insolvenzgericht
  • Teilnahme an Gläubigerausschusssitzungen
  • Informationserteilung in der ersten Betriebsversammlung
  • grundlegende Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten
  • interne und externe Verfahrensleitung

Der Eigenverwalter kommuniziert transparent und offen mit allen Beteiligten, insbesondere dem Gläubigerausschuss, dem Sachwalter, dem Gericht, den wesentlichen Gläubigern, dem Pensionssicherungsverein, der Arbeitsagentur, dem Finanzamt sowie den Arbeitnehmern, dem Betriebsrat und der Gewerkschaft. Zu einer transparenten Kommunikation gehört, dass unter Verantwortung des Eigenverwalters eine Unternehmensplanung für den Antragszeitraum sowie das eröffnete Verfahren erstellt wird und die Liquiditäts- beziehungsweise GuV-Entwicklung des Unternehmens abgebildet wird. Dieses Reporting wird dem Sachwalter, den Mitgliedern des Gläubigerausschusses sowie wesentlichen Einzelgläubigern zur Verfügung gestellt. Auch gegenüber dem Gesellschafter wird in dieser Form berichtet. Die Detaillierung der Sanierung stellt der Eigenverwalter in der Regel in Form einer integrierten Unternehmensplanung dar. Die wesentliche Kommunikation nach außen stimmt er mit dem Sachwalter ab. Sofern es im Einzelfall aufgrund der Bedeutung des Unternehmens erforderlich ist (regional bedeutsamer Arbeitgeber, wesentlicher Marktteilnehmer in seiner Branche), zieht der Eigenverwalter einen Experten für die Öffentlichkeits- und Pressearbeit hinzu. Der Eigenverwalter hat regelmäßig Erfahrung in der Bearbeitung von Insolvenzverfahren. Entweder wurde oder wird er selbst als Unternehmensinsolvenzverwalter bestellt beziehungsweise war in dieser Rolle langjährig tätig oder er berät in Insolvenzsachen (kaufmännisch oder rechtlich). Beide Erfahrungen (Verwalter und Berater) prägen sein Rollenverständnis und seine Herangehensweise. Ausnahmen von dem Grundsatz sind dann möglich, wenn der Eigenverwalter über eine ausreichende vergleichbare Qualifikation und Erfahrungen verfügt. Der Eigenverwalter muss die insolvenzspezifischen Aufgaben nachweisbar persönlich oder durch sein qualifiziertes Team bewältigen können und die entsprechende einschlägige Erfahrung belegen. Zu den insolvenzspezifischen Qualifikationen des Eigenverwalters zählen die auch für Insolvenzverwalter maßgeblichen Anforderungen sowie das entsprechende operative Insolvenz-Know-how. Einschlägige Expertise und Qualifikation sollten nachgewiesen sein, etwa durch eine Zertifizierung. Das gilt sowohl für die insolvenzliche wie auch für die Restrukturierungs- und Sanierungsexpertise. Er steuert sämtliche verfahrensrelevanten Handlungsstränge und hat jederzeit den vollen Überblick über den Stand des Verfahrens, und zwar von Beginn bis zum Ende des Verfahrens. Er führt das Verfahren nachhaltig mit Blick auf dessen gesamte Abwicklung und den Verfahrenserfolg bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens. Er verfügt über ein ausreichend großes und ausgebildetes Team (intern oder extern), um die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Vorgaben, die Fortführung des Unternehmens, dessen Sanierung und/oder dessen Verkauf, gegebenenfalls die Erstellung und Umsetzung eines Insolvenzplans in der Insolvenz sowie den Abschluss des Verfahrens sicherzustellen. Der Eigenverwalter übernimmt regelmäßig nicht den »Mergers & Acqisitions«-Prozess als M&A-Berater gegen gesonderte Vergütung. Hier ist eine Ausnahme allenfalls in Kleinverfahren denkbar. Die Größenkriterien des § 22a InsO dienen dabei als absolute Obergrenze. Da der Eigenverwalter in seiner Funktion dem Primat der Gläubigerinteressen verpflichtet ist, kann er nicht am Unternehmen oder einem Unternehmensnachfolger beteiligt sein (kein Consulting for Equity).

Fazit

Die zuvor dargestellten Normen, Aufgaben und persönlichen Anforderungen an die Person des Eigenverwalters benötigen ein klar definiertes und eindeutiges Handlungsgerüst. Der Sanierungsberater hat bei seiner Tätigkeit stets immer den Verfahrensgrundsatz gemäß § 1 InsO in den Vordergrund zu stellen und formelle Pflichten frist- sowie formgemäß zu erfüllen. Der Auszug des Standards zeigt wesentliche Aufgaben, Verhaltensrichtlinien und -vorstellungen des Sanierungsberaters auf. Unter der Berücksichtigung dieses Standards ist ein ethisches sowie formelles und fachliches Normengerüst gegeben, was die Sanierungschancen erhöht und moralische Vorstellungen und Anforderungen zwischen Gläubiger, Eigenverwalter und Stakeholder in Einklang bringt.

MEHR DAZU

Kompaktwissen „Sanierung unter Insolvenzschutz statt Liquidation durch Insolvenz“, Art.-Nr. 36625