Steuerhinterziehung - 21. Dezember 2020

Tun oder unterlassen

Bei Steuerstraftaten kommt es häufig darauf an, ob ein aktives Handeln des Steuerpflichtigen gegeben oder von einer Unterlassungstat auszugehen ist.

Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) wird die Tätereigenschaft lediglich über die jedermann erfassende Formulierung „wer …“ festgelegt. Da der Tatbestand anders als das Unterlassungsdelikt gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kein Pflichtwidrigkeitsmerkmal aufweist, kann die Tathandlung grundsätzlich durch jede beliebige Person vollzogen werden. Ein eigenhändiges Delikt wird aber nicht vorausgesetzt. Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO kann auch in unmittelbarer Täterschaft durch Personen verwirklicht werden, die selbst keine steuerlichen Erklärungen abgeben, aber durch sonstige unrichtige, steuerlich erhebliche Angaben auf ein Besteuerungsverfahren Einfluss genommen haben. Demgegenüber kann Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist. Dabei können sich Offenbarungspflichten sowohl aus gesetzlich besonders festgelegten steuerlichen Erklärungspflichten wie auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben; Letztere spielen allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

Der Steuerberater als Täter?

Tatbeteiligte ohne entsprechende Pflicht können sich ausschließlich als Teilnehmer einer Unterlassungstat gemäß der §§ 26, 27 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar machen. Das hat zur Folge, dass Steuerberater, die nicht die Erklärungspflichten ihrer Mandanten treffen, sich nicht wegen unmittelbarer Täterschaft gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar machen können. ­Sofern die Finanzbehörde Kenntnis von relevanten Daten hat, scheidet eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung mittels Tatbegehung durch Unterlassen aus. Diese Sichtweise wurde bereits durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2010 beziehungsweise vom 21. Dezember 2012 sowie des Bundesfinanzhofs vom 4. Dezember 2012 angedeutet und auch durch das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg sowie das OLG Köln ausdrücklich bekräftigt. Wenn die ­Daten gemäß § 150 Abs. 7 Satz 2 AO an die Finanzverwaltung übermittelt werden, kommt eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht, denn diese Daten werden dem Steuerpflichtigen zugerechnet. Liegt trotz Übermittlung der Daten eine unvollständige Steuererklärung vor, ist eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben. Praktische Relevanz hat diese Umqualifizierung von einer Unterlassungstat in eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun insbesondere deshalb, weil nach der BGH-Rechtsprechung die Kenntnis der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen – die sich nicht aus der Erklärung ergeben – den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ausschließt.

Steuerhinterziehung findet auch bei der Umsatzsteuer im Bereich der sogenannten Karussellgeschäfte statt, die durch aktives Tun oder Unterlassen begangen werden können. Der Vorsteuerabzug ist zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begangen hat oder wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (EuGH v. 22.10.2015). Dies wurde nun auch in dem neuen § 25f UStG vom Gesetzgeber geregelt.

Beteiligung juristischer Personen

Juristische Personen müssen sich insoweit auch das Wissen ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen. Der BGH hat mit Urteil vom 15. Mai 2018 klargestellt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs auch auf das Wissen sonstiger Mitarbeiter einer juristischen Person gestützt werden kann, wenn diese ihr Wissen im Rahmen einer Zuständigkeit für die juristische Person erlangt haben. Nach der BFH-Rechtsprechung ist einer GmbH nicht nur das Wissen ihres Geschäftsführers als gesetzlichen Vertreter gemäß § 35 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), sondern auch ihrer sonstigen Mitarbeiter in analoger Anwendung von § 166 BGB zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH vom 02.09.2015 und 20.08.2019 entfällt eine bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht nachträglich, wenn der Unternehmer später Kenntnis erlangt von Tatsachen, die dem Vorsteuerabzug entgegen standen.

Zum Autor

AG
Dr. Andreas Grötsch

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht sowie Steuerberater und Fachberater für Internationales Steuerrecht bei
Wannemacher & Partner Rechtsanwälte mbB in München

Weitere Artikel des Autors