Vorgelagertes Verfahren - 27. Mai 2021

Sanierung neu definiert

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise sind allgegenwärtig und werden es wohl noch für eine sehr lange Zeit bleiben. Der Gesetzgeber hat deshalb zum Jahreswechsel eine Fülle neuer Regelungen eingeführt, um die betroffenen Unternehmen zu sanieren.

Den lang anhaltenden Lockdown-Maßnahmen stehen öffentliche Unterstützungsmaßnahmen gegenüber. Die Insolvenzantragspflichten sind in spezifischen Falllagen ausgesetzt worden. Parallel dazu ist ein neues Sanierungsgesetz zum 1. Januar 2021 auf den Weg gebracht worden, das darauf abzielt, die Einstiegshürden für die Nutzung eines Sanierungsverfahrens abzubauen. Der grundlegende Gedanke des Gesetzgebers dabei war, mit dem neuen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) ein vorgelagertes Sanierungsinstrument einzuführen. Mit diesem einhergehend wurden die bekannten Hinweis- und Warnpflichten für die Steuerberaterinnen und Steuerberater mit Blick auf die Zukunft nunmehr gesetzlich verankert (§ 102 StaRUG). Daneben wurden auch für die Geschäftsführungsorgane die Selbstprüfungsvorgaben erheblich erweitert und zur nachhaltigen und allumfassenden Pflicht gemacht. Hierzu wurden gemäß der §§ 1 und 101 StaRUG Vorgaben für die fortlaufende Überwachung der Entwicklungen, die den Fortbestand einer juristischen Person gefährden können, sowie die Implementierung eines innerbetrieblichen Frühwarnsystems eingeführt.

Analyse des Istzustands

Die neuen Verpflichtungen der Akteure einerseits und die Vielzahl der neuen Sanierungswerkzeuge andererseits erfordern eine gezielte Auseinandersetzung mit diesem auch für Steuerberater so wichtigen Handwerk. Nachfolgend sollen daher die wichtigsten Spielfelder analysiert werden. Am Anfang steht nach wie vor eine Analyse des Istzustands hinsichtlich des kriselnden Unternehmens, gleich, ob es sich um eine natürliche Person in Form eines Soloselbstständigen oder ein konzernartiges Großunternehmen handelt. Dabei wurde an der grundlegenden Definition der Zahlungsunfähigkeit, also dem Deckungsgrad der fälligen Verbindlichkeiten innerhalb eines Dreiwochenzeitraums weniger als 90 Prozent beziehungsweise der Überschuldung – das Passivvermögen übersteigt das Aktivvermögen – keine Veränderung vorgenommen. Beide Definitionen bestehen in ihren bisherigen Ausprägungen fort. Kernelement der Analyse beziehungsweise Überwachung ist es, eine Prognoserechnung zu erstellen. Auf der Basis einer nachhaltig integrierten Erfolgs-, Liquiditäts- und Bilanzplanung für einen Zeitraum der jeweils zukünftigen 24 Monate (zwölf Monate mit Covid-19-Sonderregelung) wird idealerweise geprüft, ob Untiefen drohen. Mithilfe dieses Frühwarnsystems, das durch sonstige branchenspezifische Elemente ergänzt wird, können die Beteiligten rechtzeitig erkennen, ob eine Notwendigkeit zum Handeln besteht.

Überwachungsorgane und Verpflichtete

Klar geregelt ist nun auch die Verpflichtung derer, die für die Überwachung des Istzustands verantwortlich sind. Neben den Organen der Geschäftsleitung sind dies im Rahmen der Mandatierung nun auch die in den jeweiligen Fall involvierten steuerlichen Berater. Daher sollte eine Arbeitsteilung mit Blick auf alle Maßnahmen der Analyse zwischen den Beteiligten schriftlich vereinbart werden. Durch eine wechselseitige, aber nachhaltige Überwachung können sachgerechte Analyseergebnisse erzielt werden, die im Anschluss regelmäßig dokumentiert werden sollten. Sofern dabei eine konkrete Gefährdung der Liquiditätslage oder gar ein konkreter Insolvenzantragsgrund erkannt wird, ist nach den Vorgaben des Gesetzgebers das für den individuellen Fall gebotene Sanierungsverfahren einzuleiten. In letzter Konsequenz sind die Einstellung des Geschäftsbetriebs und eine damit einhergehende Liquidation des Unternehmens zu wählen. Überblicksartig besteht die deutsche Sanierungslandschaft aus den nachfolgenden drei Instrumenten.

Das präventive Sanierungsverfahren

Auf der ersten (frühen) Ebene steht das mit dem StaRUG eingeführte vorinsolvenzliche oder auch präventiv genannte Sanierungsverfahren. Grundprinzip hierbei ist es, einen Vergleich zwischen dem betroffenen Unternehmen und allen oder auch nur einzelnen, aber wesentlichen Gläubigern bezüglich eines Schuldenschnitts oder -verzichts zu erzielen. Beteiligt werden können hier also gezielt auch nur die Gläubigergruppen, die im Wesentlichen betroffen sind, was einen bedeutenden Unterschied zu den bisherigen Sanierungsinstrumenten darstellt. Diese Variante der Sanierung setzt aber eine noch weitgehend intakte Liquiditäts- und Vermögenslage bei dem betroffenen Betrieb voraus. Dem Untergang geweihte Unternehmen können dieses Sanierungsinstrument nicht mehr nutzen. Daher bedarf es vor allem der Bereitschaft des Unternehmers, die eigene wirtschaftliche Situation richtig einzuschätzen beziehungsweise die bevorstehende, einschneidende Krise zu erkennen, um diese Gefährdung bereits präventiv durch eine Sanierung abzufangen. Unterstützende Sanierungsmaßnahmen, wie etwa die Gewährung von Insolvenzgeld oder die Wahl der Nichterfüllung gemäß § 103 Insolvenzordnung (InsO) mit dem Ziel, ungünstige Vertragsverpflichtungen zu beenden, kommen hier anders als bei den nachfolgenden Verfahren jedoch nicht in Betracht.

Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Auf der nächsten Stufe kommt eine Sanierung mithilfe der Eigenverwaltung beziehungsweise des Schutzschirmverfahrens in Betracht. Diese Verfahren haben mehr rechtliche Sanierungsoptionen, unter anderem bei der Personalrestrukturierung, sind aber bereits mit einer nachhaltigen Öffentlichkeitseinbindung verbunden, bieten andererseits aber auch noch den Vorteil, dass die Entscheidungen bezüglich der Sanierung im Wesentlichen in den Händen der bisherigen Geschäftsleitung verbleiben. Ein Sachwalter überwacht hierbei die ordnungsgemäße Verwendung der liquiden Mittel. Auch dieses Verfahren zielt darauf ab, mittels eines Insolvenzplans eine Sanierung durch einen öffentlich organisierten Schuldenschnitt beziehungsweise Gläubigerverzicht zu erreichen.

Das Regelinsolvenzverfahren

Die dritte Stufe der Sanierung besteht dann aus dem Insolvenzregelverfahren. Dabei wird eine vorläufige Insolvenzverwaltungsphase vorgeschaltet, um die Voraussetzungen für die Durchführung eines Regelverfahrens zu prüfen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, also im Wesentlichen eine Deckung der Verfahrenskosten durch das Gericht und die Insolvenzverwaltung, erfolgt die Sanierung beziehungsweise die Verwertung durch die Insolvenzverwaltung. Regelmäßig fallen im Rahmen eines derartigen Verwertungsprozesses alle erhaltenswerten Elemente des betroffenen Unternehmens in die Hände eines neuen Eigentümers. Nicht fortführungsfähige beziehungsweise nicht verwertbare Elemente werden abgewickelt. Bei dieser Variante der Sanierung ist das Maß der Einflussnahme durch die ursprünglichen Eigentümer und Gesellschafter beziehungsweise der bisherigen Geschäftsleitungsorgane im Gegensatz zu den voranstehenden Verfahren deutlich reduziert. Andererseits können bei diesem Sanierungsinstrument die bisherigen Betriebsstrukturen am ehesten erhalten bleiben.

Vorteile des präventiven Verfahrens

Die voranstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass die Selbstbestimmung des betroffenen Unternehmers noch am besten erhalten bleiben kann, je früher man mit den Maßnahmen der Sanierung beginnt. Auch die Bereitschaft der Gläubiger, sich auf einen Schuldenschnitt und damit einen Verzicht ihrer berechtigten Forderungen einzulassen, ist in früheren Phasen der Sanierung regelmäßig höher, da die Erhaltung der zukünftigen Geschäftsbeziehung quasi als Unterpfand wirkt. Das sollte man als steuerlicher Berater bei den Besprechungen mit den Beteiligten der Geschäftsleitung beziehungsweise den Eigentümern des Betriebs explizit und ganz deutlich ansprechen.

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Ganz besonders wichtig dabei ist die klare Einschätzung, ob eine bedingte Aussetzung der Antragspflichten nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) in dem betreffenden Mandat zulässig ist. Die regulären Insolvenzantragsgründe wurden wiederholt ausgesetzt, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzumildern. Das bedeutet aber nicht, dass eine generelle oder allumfassende Aussetzung erfolgt ist. Vielmehr wurden die Maßnahmen – wir sprechen mittlerweile von drei Regelungen – stets mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen verknüpft. Daher bedarf es einer Matrix, welche Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für welche Unternehmenskonstellation beziehungsweise für welche Zeiträume in Anspruch genommen werden kann.

Haftungsrisiken ausschließen

Mit seinem Urteil vom 26. Januar 2017 hatte schon der BGH die Spielregeln der Steuerberaterhaftung deutlich verschärft (BGH – IX ZR 285/14). Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) hat diese Vorgaben mittels einer Verlautbarung vom 13./14. März 2018 untermauert und in einer 23-seitigen sowie 139 Gliederungspunkte umfassenden Ausarbeitung die neuen Bestimmungen für die steuerlichen Berater eindeutig benannt. Mit Inkrafttreten des StaRUG wurden die Vorgaben zur Erteilung von Warnhinweisen ab dem 1. Januar 2021 nun auch auf den Rang eines Gesetzes erhoben (vgl. § 102 StaRUG). Exemplarisch sollen daher einige der eindringlichen Vorgaben aus der Verlautbarung der BStBK Erwähnung finden. So ist bereits im Zuge der Auftragsannahme zu beachten, dass die Aufstellung des Jahresabschlusses bei Unternehmen, die sich in einer wirtschaftlichen Krise befinden, innerhalb von zwei bis drei Monaten nach dem Schluss des Geschäftsjahres erfolgen muss. Hat der Steuerberater Kenntnis von der wirtschaftlichen Krise seines Mandanten, hat er die Erstellung des Jahresabschlusses im genannten Zeitraum sicherzustellen. Zur Vermeidung strafrechtlicher Risiken sind zumindest Bilanz und Inventar innerhalb der verkürzten Frist aufzustellen. Die Aufstellungsfristen nach den §§ 243 Abs. 3 HGB für alle Kaufleute beziehungsweise § 264 Abs. 1 S. 4, 2. Hs. HGB für kleine Kapitalgesellschaften sind insoweit unbeachtlich. Dies ist bei der zeitlichen Planung der Auftragsdurchführung unbedingt zu berücksichtigen (Rz. 76). Der Steuerberater sollte im Sinne der Unabhängigkeit bewusst entscheiden, ob zusätzlich zum Auftrag, den Jahresabschluss zu erstellen, auch ein Auftrag zur Beratung hinsichtlich der handelsrechtlichen Fortführungsprognose angenommen werden kann (Rz. 77). Insbesondere sollte der steuerliche Berater vor allem darauf achten, dass sein Auftrag zur Erstellung des Jahresabschlusses eindeutig vom Auftrag einer wirtschafts- beziehungsweise insolvenzrechtlichen Beratung abgegrenzt ist und dies in der Auftragsbestätigung deutlich wird (Rz. 78). Der Steuerberater darf schließlich keinesfalls an erkannten, unzulässigen Wertansätzen und Darstellungen mitwirken (Rz. 95). Eine Beachtung dieser Vorgaben ist dringend zu empfehlen.

Fazit und Ausblick

Da die Zahl der gestellten Insolvenzanträge 2020, einem Jahr, das für die meisten Unternehmen mit einer schwierigen wirtschaftlichen Lage verbunden war, sogar noch unter der des Vorjahres 2019 lag, könnte so manchen Firmenchef dazu bewegen, sich in einer mehr als trügerischen Sicherheit zu wiegen. Manche Betriebe könnten sich auch pauschal auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verlassen, ohne dies für ihren konkreten Fall exakt zu prüfen. Das wäre mehr als fahrlässig, denn eine Verschleppung der Antragspflichten ist nach wie vor möglich. Insbesondere für die Geschäftsleitung drohen weiterhin empfindliche juristische Konsequenzen mit Blick auf die Haftung. Und auch der steuerliche Berater unterliegt in diesem Zusammenhang gesetzlich normierten Hinweispflichten. Daher ist auch vonseiten der Berater ein permanentes Engagement gefordert.

Zum Autor

Markus Wohlleber

Steuerberater, Dipl.-Betriebs­wirt (FH), Bank­kauf­mann, Fach­be­rater für San­ie­rung und In­sol­venz­ver­wal­tung (DStV) in der Steuer­be­ra­tungs­kanzlei Wohl­leber in Nürn­berg, Haß­furt und Frankfurt/M.

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