Steuerhinterziehung - 27. Mai 2020

Reduktion des Steuerschadens

Eine geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sogenannten Kompensationsverbot führt dazu, dass die Vorsteuer aus Bezugsgeschäften nun bereits auf der Tatbestandsebene mit der hinterzogenen Umsatzsteuer gegenzurechnen ist.

Der BGH hat seine Rechtsprechung zur Bestimmung der Steuerverkürzung bei der Umsatzsteuerhinterziehung durch sein Urteil vom 13. September 2018 (1 StR 642/17) zugunsten des Angeklagten geändert. Die Position des Angeklagten wird in strafrechtlicher Hinsicht dadurch verbessert, dass die Vorsteuer bei bestimmten nachfolgenden Voraussetzungen angerechnet wird und dies zu einem geringeren Steuerschaden führt.

Ausgangsfall

Dem BGH lag ein Sachverhalt vor, in dem der Angeklagte als Gebrauchtwagenhändler für seine Gesellschaften keine Umsatzsteuererklärungen bei den zuständigen Finanzämtern (FA) einreichte, obwohl er wusste, dass er als Geschäftsführer hierzu verpflichtet gewesen war. Das Landgericht (LG) Darmstadt verurteilte deswegen den Angeklagten wegen mehrfacher Umsatzsteuerhinterziehungen durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten.

Bisherige Unterscheidung

Nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Steuern sind auch verkürzt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden können (sogenanntes Kompensationsverbot). Das Kompensationsverbot besagt, dass keine Ermäßigungen aus anderen Gründen bei der Steuerverkürzung zu berücksichtigen sind. Bisher konnten nur solche Beträge angerechnet werden, bei denen das Kompensationsverbot nicht anwendbar war, die mit den verschleierten steuererhöhenden Tatsachen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang standen (BGH-Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09). Dieser unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang wurde bisher nur bei Werbungskosten beziehungsweise Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht anerkannt (BGH-Urteil vom 11.07.2002 – 5 StR 516/01). Diese ablehnende BGH-Rechtsprechung wurde in der Literatur seit Langem heftig kritisiert (Krumm in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und Finanzgerichtsordnung [FGO], Stand September 2019, § 370 AO, Rn. 115). Insbesondere bestand die Kritik in dem Konflikt zur steuerlichen Rechtsprechung des BFH, wonach die Vorsteuer im Rahmen der Schadensberechnung zu berücksichtigen war, wenn zwischen ihr und dem nachfolgenden Umsatz ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe (Flore in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2016, § 370 AO, Rn. 379). Auch war in der Literatur unklar, ob der Begriff des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs beim BFH und der Begriff des unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs beim BGH deckungsgleich seien (Madauß, NZWiSt 2018, S. 287).

Neue Unterscheidung

Nach dem eingangs zitierten aktuellen BGH-Urteil vom 13. September 2018 wird an dem Kompensationsverbot in Fällen von Umsatzsteuerhinterziehungen durch Unterlassen nicht mehr festgehalten. Für den BGH sei für das Verständnis des Kompensationsverbots sein innerer Bezug zur Tatbestandsverwirklichung maßgeblich, und zu den abzugsfähigen Vorsteuern aus dem Bezugsgeschäft bestehe jedenfalls ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang. Soweit eine nicht erklärte steuerpflichtige Ausgangsleistung eine tatsächlich durchgeführte Lieferung gewesen sei und die hierbei verwendeten Wirtschaftsgüter unter den Voraussetzungen des § 15 Umsatzsteuergesetz (UStG) erworben worden seien, habe eine Verrechnung von Vor- und Umsatzsteuer nach aktueller Rechtsprechung des BGH stattzufinden. Maßgeblich sei allerdings, dass auch die übrigen Voraussetzungen aus § 15 UStG – insbesondere die Vorlage einer Rechnung – im maßgeblichen Besteuerungszeitraum gegeben seien. Das Recht zum Vorsteuerabzug und der Umfang dieses Rechts bestimmten sich danach, ob ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz bestehe.

Wenn aber ­Vorsteuern nicht aus Bezugsgeschäften stammen, sind sie nach wie vor vom Kompensations­verbot umfasst.

Der Vorsteuervergütungsanspruch sei davon abhängig, dass die Eingangsleistung der unternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zuzurechnen sei. Die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, ziehe die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich. Es bestehe daher ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz, der zur Folge hat, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Verkürzungsberechnung von Rechts wegen zu berücksichtigen sei. Die geänderte Rechtsprechung des BGH führt im Ergebnis dazu, dass die strafrechtliche Schadensberechnung dem steuerlichen Verfahren angeglichen wird.

Übertragung auf andere Fälle

Der BGH urteilte vorliegend nur wegen Umsatzsteuerhinterziehungen durch Unterlassen. Ob sich die Nichtanwendbarkeit des Kompensationsverbots auf die Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung durch Tun nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO oder auf andere Fälle übertragen lässt und dadurch quasi automatische Verrechnung der Umsatz- mit der Vorsteuer erzielt wird, ist eher restriktiv zu behandeln. Denn der BGH hat durch sein oben skizziertes Urteil ausdrücklich offengelassen, ob die Nichtanwendbarkeit des Kompensationsverbots auch für alle Fälle der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Erklärungsabgabe gelte. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Nichtanwendbarkeit des Kompensationsverbots über die Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen hinaus eher auszuschließen ist.

Fazit

Die geänderte BGH-Rechtsprechung ist zu begrüßen, denn Vorsteuern aus dem Bezugsgeschäft sind nun bereits auf Tatbestandsebene mit den hinterzogenen Umsatzsteuern gegenzurechnen, und dadurch wird die Reduzierung der hinterzogenen Steuern erreicht. Wenn aber Vorsteuern nicht aus Bezugsgeschäften stammen, sind sie nach wie vor vom Kompensationsverbot erfasst. Zu beachten ist auch die eher restriktive Handhabung der geänderten Rechtsprechung des BGH in Bezug auf die Übertragung dieser Rechtsprechung auf andere Fälle, wie etwa die Umsatzsteuerhinterziehung durch aktives Tun. 

Zum Autor

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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