Kaum eine Steuer steht aktuell so in der Diskussion wie die Grundsteuer. Nach Ansicht vieler Experten führt an ihrer Abschaffung kein Weg vorbei, sofern die Mängel im aktuellen Reformgesetz nicht umfassend beseitigt werden.
Nachdem die lang umkämpfte und ebenso umstrittene Grundsteuerreform im letzten Quartal 2019 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde und inzwischen in Kraft getreten ist, steht die Steuerpraxis für viele Experten vor einer Mammutaufgabe. Die Stimmen der prominenten Kritiker sind jedenfalls nicht verstummt. So tritt Prof. Dr. Klaus Tipke, Vordenker des deutschen Steuerrechts, bereits seit vielen Jahren dafür ein, die Grundsteuer ebenso wie seinerzeit die Vermögensteuer abzuschaffen. In die gleiche Kerbe schlägt Prof. Dr. Paul Kirchhof, langjähriger Richter am Bundesverfassungsgericht, der am 28. April 2019 im Tagesspiegel erklärte, dass er die Grundsteuer für fragwürdig halte und empfehle, sie abzuschaffen. Vor allem deshalb, weil kommunale Leistungen, wie etwa Straßen, Nahverkehr, Wasser, Abwasser oder Energie, die der Rechtfertigung der Grundsteuer dienen, heute schon über Gebühren abgegolten oder direkt bezahlt werden. Und auch Prof. Dr. Kai A. Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht, erklärte am 22. Juli 2019 im Münchner Konferenzzentrum, dass eine Abschaffung der Grundsteuer eigentlich gut wäre, da er diese Steuer für veraltet halte. Schließlich waren sich die am gleichen Tag im Konferenzzentrum anwesenden Experten, unter anderem Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, praktisch darüber einig, dass die Neugestaltung der Grundsteuer auf jeden Fall erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordern und zwangsläufig vor den Verfassungsrichtern landen werde. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Änderung des Grundsteuerreformgesetzes zwingend notwendig zu sein. Warum und wie das aussehen könnte, möchten wir mit einem Vertreter der Beraterpraxis und zudem größten Kritiker dieser Steuer diskutieren – Steuerberater Hartmut Wipper aus Niedersachsen.
DATEV magazin: Herr Wipper, Sie plädieren schon seit Langem dafür, die Grundsteuer abzuschaffen und als Ausgleich den Gemeinden dafür einen höheren Anteil an der Einkommensteuer zukommen zu lassen. Warum?
Hartmut Wipper: Dafür hat übrigens am 13. Mai 2019 in der Rheinischen Post auch schon Bernd Althusmann, Niedersachsens Wirtschaftsminister, plädiert. Nun zu Ihrer Frage: Die Grundsteuer ist keine normale Steuer im Sinne von Paragraf 3 Absatz 1 der Abgabenordnung, sondern eine Objekt- beziehungsweise Realsteuer gemäß Paragraf 3 Absatz 2 Abgabenordnung. Das bedeutet, dass bei der Grundsteuer im Gegensatz zu den normalen Steuern weitgehend das Prinzip der Gegenleistung, also ein Äquivalenzaspekt gilt. Das aktuell gültige Grundsteuerreformgesetz stellt sich jedoch system- und rechtswidrig als eine Art Kombination von einer Sondervermögensteuer mit einer Nebeneinkommensteuer dar.
DATEV magazin: Und aus diesem Grund halten Sie, wie viele andere Experten, das Grundsteuerreformgesetz für rechtlich nicht haltbar?
Hartmut Wipper: Die Vermögensteuer ist nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus 1995 längst abgeschafft worden, während die Festsetzung und Erhebung einer zusätzlichen Nebeneinkommensteuer rechtswidrig beziehungsweise nichtig und damit unzulässig ist. Denn Sondervermögensteuer und eine zweite Nebeneinkommensteuer sind normale Steuern im Sinne von Paragraf 3 Absatz 1 Abgabenordnung mit der Folge, dass damit auch zwangsläufig ein Verstoß gegen Recht und Gesetz vorliegt, weil der zwingend notwendige Äquivalenzaspekt hierfür nicht gegeben ist.
DATEV magazin: Wäre eine Rechtfertigung für die Festsetzung und Erhebung der Grundsteuer aus Artikel 106 Absatz 6 Grundgesetz abzuleiten?
Hartmut Wipper: Nein! Denn diese Vorschrift entscheidet in keiner Weise über den Belastungsgrund der Grundsteuer, sondern hat ausschließlich Bedeutung für Verteilungsfragen innerhalb des Bereichs der öffentlichen Hände, so auch Prof. Dr. Klaus Tipke in Band II seiner Steuerrechtsordnung.
DATEV magazin: Sie halten das aktuelle Gesetz vor allem wegen des fehlenden Äquivalenzaspekts für rechtlich nicht haltbar. Können Sie dies noch etwas verdeutlichen?
Hartmut Wipper: Der notwendige Äquivalenzaspekt kann zum einen schon deshalb nicht erreicht werden, weil beim aktuellen Grundsteuerreformgesetz als Grundlage verkehrswertähnliche Werte, also Vermögenswerte im Raum stehen, und zum anderen, weil eine Begrenzung der Grundsteuerhebesätze der Höhe nach im aktuellen Reformgesetz nicht enthalten ist. Diese fehlende Begrenzung der Grundsteuerhebesatzhöhe schließt im Übrigen auch den effektiven, durch Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz garantierten Rechtsschutz der Bürger aus, da etwaige diesbezüglich eingeleitete Grundsteuerverfahren zwangsläufig rechtswidrig und von vornherein ohne jede Aussicht auf Erfolg wären.
DATEV magazin: Ein weiterer Kritikpunkt von Ihnen ist die Gegenüberstellung von Vermögens- und Kostenwerten. Warum?
Hartmut Wipper: Die Grundsteuer rechtfertigt sich überhaupt nur dadurch, dass die Grundstücke, nicht jedoch die auf den Grundstücken wohnenden Personen, bei den Gemeinden bestimmte Kostenwerte verursachen, durch die die Kommunen belastet werden. Ein Vergleich von Vermögens- mit Kostenwerten ist aber sowohl in wirtschaftlicher als auch in steuerlicher Hinsicht unmöglich, denn es hat beispielsweise für die einer Gemeinde entstehenden Kosten – etwa für die Straßenbeleuchtung – überhaupt keinen Einfluss, ob ein Grundstück mit einem Einfamilienhaus im Wert von 150.000 Euro oder im Wert von einer Million Euro bebaut ist.
DATEV magazin: Wesentlich für die Begründung des Grundsteuerreformgesetzes war, dass die Grundsteuer angeblich eine Sollertragsteuer ist. Würde das nicht Ihre Argumentation zu Fall bringen?
Hartmut Wipper: Nein, auf keinen Fall, diese Argumentation geht völlig fehl und ist im Grunde genommen sogar als irreführend zu beurteilen. Denn nach dem Prinzip – Augen zu und durch – wird ausgeblendet, dass eine Sollertragsteuer dem Leistungsfähigkeitsprinzip folgt, im Gegensatz zur Grundsteuer als Realsteuer mit ihrem Charakter als Objektsteuer. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 23. Januar 2006 – bestätigt durch weitere Gerichte – ausgeführt, dass das Bundesverfassungsgericht die Grundsätze für die Sollertragsteuer für die frühere Vermögensteuer als Form einer Personensteuer entwickelt hat. Wenn diese Grundsätze auch für die Grundsteuer gelten würden, hätte sie zwangsläufig bei Abschaffung der Vermögensteuer ebenfalls kassiert werden müssen.
DATEV magazin: In die gleiche Richtung geht doch auch die Argumentation von Prof. Dr. Gregor Kirchhof, der ein Gutachten für den Bundestag erstellt hat.
Hartmut Wipper: Richtig! Prof. Dr. Gregor Kirchhof führte dazu aus, dass die verfassungsrechtliche Grenze der Sollertragsbesteuerung die Vermögensteuer und die Grundsteuer beschränke, und, dass sie bereits deshalb keinen Belastungsgrund der Grundsteuer bilden könne, der sie in der vom Grundgesetz geforderten Weise von der Vermögensteuer abgrenze. Mit anderen Worten: Die Grundsteuer kann auch nicht allein als Sollertragsteuer verfassungskonform begründet und bemessen werden.
DATEV magazin: Kann man aus Ihrer bisherigen Argumentation schließen, dass dem Gesetzgeber von vornherein klar war, dass das Grundsteuer-Reformgesetz in hohem Maße als angreifbar beurteilt werden muss?
Hartmut Wipper: Ein ganz klares Ja! Mit der Einführung der Länderöffnungsklausel – für die ja sogar bekanntlich eine Änderung des Grundgesetzes notwendig war – hat der Gesetzgeber doch eindeutig selbst eingeräumt, dass das Grundsteuer-Reformgesetz zumindest auf tönernen Füßen steht. Schließlich erlaubt die Länderöffnungsklausel jedem Bundesland – ohne dass den Ländern vom Bund Grenzen gesetzt werden können – ihre eigenen Grundsteuergesetze auszugestalten.Und der dadurch möglicherweise entstehende Grundsteuerflickenteppich ist absolut nicht wünschenswert. Immerhin hat Prof. Dr. Klaus Tipke in Band II seiner Steuerrechtsordnung schon das bestehende chaotische deutsche Vielsteuersystem angeprangert.
DATEV magazin: Wie könnte eine Lösung des Problems aussehen? Was schlagen Sie vor?
Hartmut Wipper: Die Abschaffung der Grundsteuer A ist ohnehin schon möglich und wünschenswert. Sofern man dagegen an der Grundsteuer B unbedingt festhalten möchte, wäre eine bundeseinheitliche Reform – wertunabhängig – auf Basis von Paragraf 42 Grundsteuergesetz mit entsprechend notwendigen Modifizierungen auf den Weg zu bringen – zunächst für eine Übergangszeit von fünf bis maximal zehn Jahren. Allerdings nur, wenn einerseits das bisherige Hauptproblem, nämlich die Grundsteuerhebesätze, begrenzt beziehungsweise für die Übergangszeit festgeschrieben werden und andererseits der ganz offensichtlich bestehende Missbrauch des Artikels 106 Absatz 6 Satz 6 Grundgesetz beendet wird. Neben der Rechtssicherheit würde damit dann auch eine dringend erforderliche Vereinfachung und große Kostenersparnis einhergehen. Wobei ganz besonders vorteilhaft der Wegfall der Drei-Stufen-Regelung wäre, das gesamte Verfahren also nur noch auf der Ebene der Gemeinden stattfinden würde.
DATEV magazin: Und wie ginge es dann nach Ablauf dieser Übergangszeit weiter?
Hartmut Wipper: Nach Ablauf der Übergangszeit wäre zu prüfen,ob die Grundsteuer abgeschafft werden kann. Alternativ müssten die Kommunen auf Basis der in heutiger Zeit vorliegenden buchhalterischen Möglichkeiten, die tatsächlichen Kosten, die die Grundstücke verursachen, ermitteln. Diese Kosten wären anschließend der erhobenen Grundsteuer gegenüberzustellen, um Hebesätze festzuschreiben, die dem Äquivalenzaspekt entsprechen.
DATEV magazin: Was droht Ihrer Meinung nach aber, wenn das Grundsteuerreformgesetz nicht korrigiert wird?
Hartmut Wipper: Es steht zu befürchten, dass insbesondere die Verwaltungsgerichte auch weiterhin laufend Fehlurteile verkünden werden, die im Zusammenhang mit den durch die Gemeinden vorgenommenen Hebesatz-Erhöhungen stehen – und zwar mit den unsinnigen Begründungen, dass einerseits das Haushaltsrecht diese Erhöhungen gebietet und andererseits eben keine Begrenzung der Höhe nach für Hebesätze besteht.
DATEV magazin: Was wäre die Folge?
Hartmut Wipper: Dass der kommunale Missbrauch hinsichtlich unkontrollierter Hebesätze, der ohne Rücksicht auf die von den Grundstücken verursachten Kosten erfolgt und lediglich dazu dient, bestehende Haushaltslöcher zu stopfen, munter weitergehen würde. Solange bei den Bürgern keine Erdrosselungswirkung gegeben ist, sie also wegen der Belastung durch die Grundsteuer ihre Häuser nicht verkaufen müssen, wird man den Kommunen kaum Einhalt gebieten können – es sei denn, das aktuelle Grundsteuerreformgesetz landet zeitnah vor dem Bundesverfassungsgericht.
DATEV magazin: Sehen Sie Chancen, dass sich politisch in Richtung Rechtssicherheit des Grundsteuerreformgesetzes noch etwas bewegt?
Hartmut Wipper: Mein Artikel im DATEV magazin 7/2019, „Heilen oder beerdigen“ , hat schon ein wenig bewirkt. So bin ich beispielsweise am 18. Oktober 2019 – gleich nach der dritten Lesung zum Grundsteuerreformgesetz – von der FDP-Bundestagsfraktion angerufen worden. Dabei ist mir dann mitgeteilt worden, dass die FDP bezüglich des Grundsteuerreformgesetzes mit Nein gestimmt habe, weil dieses Gesetz bürokratischer Irrsinn und gleichzeitig klageanfällig sei. Besonders ärgerlich für die Partei war, dass sie den im Gesetz enthaltenen staatlichen Mietenturbo nicht verhindern konnte. Im Übrigen teilt die FDP-Fraktion im Grunde genommen meine Rechtsauffassung.
DATEV magazin: Was kann aktuell getan werden?
Hartmut Wipper: Die Bürger-Interessen-Gemeinschaft Sassenburg hat zum Beispiel in diesem Jahr aufgrund meiner Ausführungen im DATEV magazin eine Berechnung über die durch die Grundstücke verursachten Kosten erstellt; mit dem Ergebnis, dass nur rund 50 Prozent der Grundsteuereinnahmen durch die Gemeinde Sassenburg für diese Kosten verwendet werden. Die anderen ebenfalls rund 50 Prozent der Grundsteuereinnahmen sollen dagegen laut Mehrheitsgruppe im Rat zu einem großen Teil insbesondere für die Kreisumlage verwendet werden.
DATEV magazin: Und das bedeutet?
Hartmut Wipper: Sollte sich dies bestätigen, wäre ein Missbrauch des Artikels 106 Absatz 6 Satz 6 Grundgesetz gegeben, denn wie will der Landkreis nachweisen, dass derartig hohe Kosten zu seinen Lasten durch die im Ort belegenen Grundstücke verursacht worden sind. In jedem Fall wäre die Systematik des Grundsteuergesetzes völlig ausgehebelt. Und falls sich herausstellen sollte, dass man dies allgemein so praktiziert, wäre dies der Super-GAU für die Grundsteuer.
DATEV magazin: Ist Ihrer Meinung nach die Wiedereinführung der Grundsteuer C zu rechtfertigen?
Hartmut Wipper: Definitiv nein! Zum einen widerspricht die Grundsteuer C in hohem Maße der Systematik des Grundsteuergesetzes. Und zum anderen ist sie in der Vergangenheit bereits kläglich gescheitert. Denn die Grundsteuer C wurde 1961 eingeführt und bereits 1964 rückwirkend zum 1. Januar 1963 vom Gesetzgeber wieder aufgehoben. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat bereits am 3. März 2017 vor der Wiedereinführung der Grundsteuer C gewarnt. Und zwar deshalb, weil nach der damaligen Einführung vor allem finanzschwache Bürger ihre Grundstücke verkaufen mussten, während finanzstarke Bürger und Unternehmen davon profitiert haben. Sehr, sehr interessant ist allerdings ein Nebenprodukt der Wiedereinführung, in dem der Gesetzgeber nämlich eingestanden hat, dass es eben doch möglich ist, dass abweichend von § 25 Absatz 4 Grundsteuergesetz ein gesonderter Hebesatz für eine Grundstücksgruppe festgesetzt werden kann.
DATEV magazin: Abschließende Frage: Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung?
Hartmut Wipper: Aufgrund meiner Artikel im DATEV magazin 7/2019, „Heilen oder beerdigen“ beziehungsweise 6/2020, „Schnellschuss – voll daneben“ und auch dieses Interviews gehe ich davon aus, dass endlich Fahrt in die Sache kommt. Abschließend möchte ich noch aus der Pressemitteilung des Bundes der Steuerzahler Berlin vom 12. September 2019 zitieren, in der Diplom-Volkswirt Alexander Kraus ausführte, dass die Grundsteuer ein veraltetes Relikt aus längst vergangenen Tagen sei, als der Staat die Einkommen und Erträge seiner Bürger noch kaum erfassen konnte. In einem modernen, an der Leistungsfähigkeit der Bürger orientierten Steuersystem, so Kraus weiter, sei die Grundsteuer ein Fremdkörper und gehöre eigentlich abgeschafft.