Steuerschulden und Corona-Hilfen - 9. Februar 2021

Nachweis ist ein Muss

Während staatliche Soforthilfen unpfändbar sind, kann bei Steuerschulden von einer Vollstreckung abgesehen werden, wenn die wirtschaftliche Schieflage des Unternehmens nachweislich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist.

Zu den Steuerforderungen der Finanzverwaltung gegen die Steuerpflichtigen in Zeiten der Corona-Pandemie gab es im Jahr 2020 mehrere Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) sowie mehrere Beschlüsse des Bundesfinanzhofs (BFH), die für die Steuerpflichtigen für mehr Rechtssicherheit sorgen. Nach der BFH-Rechtsprechung ist der zeitliche Aspekt für die Fälligkeit von Steuerschulden entscheidend und zwar kommt es darauf an, ob die Steuerschulden bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie oder erst nach deren Ausbruch entstanden sind. Außerdem ist die unmittelbare Auswirkung der Pandemie auf die negative wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Corona-Hilfen pfändbare Forderungen sind. Sämtliche nachfolgend zitierten BFH-Beschlüsse ergingen im Rahmen der Aussetzung beziehungsweise Aufhebung der Vollziehung von den Verwaltungsakten der Finanzbehörden.

Steuerschulden vor Ausbruch der Corona-Pandemie

Im Jahr 2020 hat das BMF ein Schreiben zu den steuerlichen Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Corona-Virus herausgegeben (vgl. BMF-Schreiben vom 19.03.2020 – IV A 3 – S 0336/19/1007, BStBl. I 2020, 262). Danach gilt unter anderem Folgendes:

  • Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 31. Dezember 2020 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Stundung der bis zu diesem Zeitpunkt bereits fälligen oder fällig werdenden Steuern sowie Anträge auf Anpassung der Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer stellen.
  • Auf die Erhebung von Stundungszinsen kann in der Regel verzichtet werden und
  • wird dem Finanzamt aufgrund einer Mitteilung des Vollstreckungsschuldners oder auf andere Weise bekannt, dass der Vollstreckungsschuldner unmittelbar und nicht unerheblich betroffen ist, soll bis zum 31. Dezember 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen bei allen rückständigen oder bis zu diesem Zeitpunkt fällig werdenden Steuern abgesehen werden.

BFH-Beschluss vom 30. Juli 2020

In einem dem BFH vorgelegten Streitfall ging es um erhebliche Steuerschulden, die bereits 2019 und zwar vor dem 19. März 2020 vom Finanzamt steuerlich festgesetzt wurden. Das zuständige Finanzamt erwirkte im Februar 2020 die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegen mehrere Bankkonten des Steuerpflichtigen, der sich finanzgerichtlich dagegen wehrte. Er führte aus, dass aufgrund der durch die Corona-Pandemie bedingten erheblichen Einnahmeausfälle entsprechend dem oben genannten BMF-Schreiben vom 19. März 2020 von den Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts abzusehen sei. Der BFH folgte den Ausführungen des Steuerpflichtigen nicht und lehnte dessen Antrag ab (BFH-Beschluss vom 30.07.2020 – VII B 73/20). Dabei führte der BFH aus, dass im oben genannten BMF-Schreiben von einem „Absehen“ der Vollstreckungsmaßnahmen die Rede sei. Das deute darauf hin, dass sich die Verschonungsregelung nur auf solche Vollstreckungsmaßnahmen beziehe, die noch nicht durchgeführt worden seien. Der BFH wies ausdrücklich darauf hin, dass in besonders gelagerten Fällen die Vollstreckung durchgeführt werden kann, da nach dem BMF-Schreiben nur von der Vollstreckung abgesehen werden soll. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Aussetzung der Vollziehung lediglich das Ziel hat, andere Gläubiger oder die Gesellschafter beziehungsweise Anteilseigner des bereits vor der Corona-Krise überschuldeten oder zahlungsunfähigen Steuerschuldners zu Lasten des Fiskus zu begünstigen.

Steuerschulden nach Ausbruch der Corona-Pandemie

Das oben genannte BMF-Schreiben vom 19. März 2020 wurde durch ein BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2020 (IV A 3 – S 0336/20/10001:025) ergänzt. Die Änderungen sind unter anderem wie folgt zu interpretieren:

  • Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 31. März 2021 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Stundung der bis zum 31. März 2021 fälligen Steuern stellen.
  • Auf eine Erhebung von Stundungszinsen kann in den vorgenannten Fällen verzichtet werden.
  • Wird dem Finanzamt bis zum 31. März 2021 aufgrund einer Mitteilung des Vollstreckungsschuldners bekannt, dass der Vollstreckungsschuldner nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffen ist, soll bis zum 30. Juni 2021 von Vollstreckungsmaßnahmen hinsichtlich bei ihm bis zum 31. März 2021 fällig gewordenen Steuern abgesehen werden und
  • in diesen Fällen sind die im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 entstandenen Säumniszuschläge grundsätzlich zu erlassen. Dem geänderten BMF-Schreiben ist somit vor allem zu entnehmen, dass von der Vollstreckung der im Jahr 2020 und zwar bis zum 31. März 2021 fällig gewordenen Steuern und zwar bis zum 30. Juni 2021 abzusehen ist, wenn der Vollstreckungsschuldner nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffen ist. Allerdings ist im geänderten BMF-Schreiben erneut der Terminus „soll“ zu finden, sodass damit nach wie vor auch Fälle der Vollstreckung von Steuerschulden denkbar sind. Es ist daher naheliegend, dass die Finanzämter und die Finanzgerichte erster Instanz bei ihren Entscheidungen dabei auf die Ausführungen aus dem vorgenannten BFH-Beschluss zurückgreifen werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass das geänderte BMF-Schreiben im Frühjahr 2021 erneut geändert wird und der Zeitraum für das Absehen von Vollstreckungen der Steuerschulden weit nach hinten und zwar bis zum 31. Dezember 2021 verschoben wird. Dies hängt naturgemäß stark ab
    • von der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie,
    • von der finanziellen Lage der Steuerpflichtigen,
    • von der Außerkraftsetzung der künstlich eingeführten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für juristische Unternehmen und von der Zahl der drohenden Insolvenzen infolge der Pandemie.

Pfändung der Corona-Soforthilfen

In einem vom BFH beurteilten Streitfall ging es um Corona-Soforthilfen. Einem Unternehmer, gegen den bereits früher die erfolglosen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen wegen rückständiger Steuer in Höhe über 9.000 Euro rechtlich wirksam ergingen, wurde eine Soforthilfe im Rahmen eines staatlichen Landesprogramms als einmalige Pauschale in Höhe von 9.000 Euro bewilligt und ihm auf seinem Konto am 8. April 2020 gutgeschrieben. Nachdem sich die Sparkasse weigerte, ihm den Betrag auszuzahlen, beantragte der Unternehmer am 15. Mai 2020 beim Finanzamt die Freigabe der Corona-Soforthilfe. Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Freigabe des Kontoguthabens ab. Der Unternehmer ging dagegen finanzgerichtlich vor. Das Finanzgericht verpflichtete daraufhin das zuständige Finanzamt, der Sparkasse anzuzeigen, dass die Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro von der Pfändung nicht erfasst und dieser Betrag auf das Konto des Unternehmers zu zahlen sei. Dagegen zog nun das Finanzamt vor den BFH, der die Auffassung des Finanzgerichts und damit die des Unternehmers bestätigte. Der BFH führt aus, dass es sich bei der Corona Soforthilfe aufgrund ihrer Zweckbindung um eine nach § 851 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 399 Alt. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) regelmäßig nicht pfändbare Forderung handele (BFH-Beschluss vom 09.07.2020 – VII S 23/20). Damit schützt der BFH die Unternehmer, die staatlichen Corona-Hilfen bezogen. Insbesondere führt der BFH aus, dass sich eine unpfändbare Forderung der Corona-Soforthilfe aus dem Bewilligungsbescheid mit seinen Nebenbestimmungen und den zugrunde liegenden Programmen des Bundes sowie des jeweiligen Bundeslands ergebe. Die Corona-Soforthilfe sei eine staatliche Billigkeitsleistung und diene der Abmilderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens beziehungsweise des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie.

Fazit und Empfehlungen

Die Steuerschulden, die im Zeitraum zwischen dem 19. März 2020 und dem 31. März 2021 entstanden sind, können corona-bedingt gestundet werden oder es kann von deren Vollstreckung abgesehen werden, wenn der Steuerpflichtige beziehungsweise der Vollstreckungsschuldner nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffen ist. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der negativen wirtschaftlichen Lage der Steuerpflichtigen und dessen Verursachung durch die Corona-Pandemie ist zwingend erforderlich. Fehlt ein solcher Zusammenhang, sind nicht nur die Steuerschulden samt Nebenleistungen fällig und damit an den Fiskus zu entrichten, sondern es besteht ein sehr hohes Risiko einer strafrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Verfolgung durch die Staatsanwaltschaften sowie die Straf- und Bußgeldabteilungen der Finanzämter. Die Corona-Hilfen sind unpfändbare Forderungen, sobald sie dem Steuerpflichtigen als staatliche Sofort-Hilfen gewährt werden. Der Finanzverwaltung ist der Zugriff auf solche Hilfen rechtlich verwehrt.

Zum Autor

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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