Geraten Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise oder stehen bereits Sanierungsmaßnahmen oder eine Insolvenz auf der Agenda, sind eine Reihe steuerrechtlicher Besonderheiten zu beachten.
Wenn Steuerrecht und Insolvenzrecht zusammentreffen, wird es regelmäßig kompliziert. Das liegt daran, dass in diesem Bereich Regelungen Anwendung finden, welche in der alltäglichen steuerlichen Deklaration nicht regelmäßig vorkommen. Dies gilt jedoch nicht nur bei Unternehmenskrisen oder in der Sanierung. Mit Insolvenzantrag, spätestens aber mit der Insolvenzeröffnung, beginnt die Diskussion um die Frage, ob es sich bei Steuerverbindlichkeiten um bloße Insolvenzforderungen handelt, die später lediglich in Höhe einer Quote auf alle Gläubigerinnen und Gläubiger der Insolvenztabelle befriedigt werden, oder ob das Finanzamt im Rahmen einer Masseverbindlichkeit direkt und vorrangig vollständige Befriedigung der Steuerforderungen verlangen kann. Die Komplexität wird durch das nicht immer gelungene Zusammenspiel von Steuergesetzen und der Insolvenzordnung erhöht.
Berichtigung der Vor- und Umsatzsteuer
Nach § 17 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) gilt die Uneinbringlichkeit einer Forderung als eine Änderung der Bemessungsgrundlage und der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, muss die Umsatzsteuer berichtigen. Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen. Seitens eines Unternehmens in der Krise und gegebenenfalls später im Insolvenzantragsverfahren stellt sich daher die Frage, ob und wann solche Korrekturen vorzunehmen sind.
Uneinbringlichkeit der Forderung
Uneinbringlichkeit ist gesetzlich nicht definiert und liegt nach Art. 90 Abs. 1 Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) bei einer vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung vor. Dies ist dann der Fall, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann. Uneinbringlichkeit liegt insbesondere ab Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 17 Insolvenzordnung (InsO) vor (Umsatzsteuer-Anwendungserlass [UStAE] 17.1. Abs. 5 S. 2). Dementsprechend dürfte eine lediglich drohendeZahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO (mit einem Prognosezeitraum von 24 Monaten) noch keine Uneinbringlichkeit bewirken. Uneinbringlichkeit tritt jedenfalls ein, wenn das Insolvenzgericht nach Antragstellung ein allgemeines Verfügungsverbot erlässt oder – wie in den meisten Fällen – einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Begründet wird dies damit, dass es dem schuldnerischen Unternehmen dann bereits im Insolvenzantragsverfahren nicht mehr möglich ist, wegen der übergegangenen Einziehungsbefugnis das Entgelt für die erbrachte Ausgangsleistung zu erlangen und wegen des Zustimmungsvorbehalts das Entgelt für die erlangte Eingangsleistung zu bezahlen. Die so auf den Zeitpunkt der vorläufigen Verwalterbestellung vorverlagerte Uneinbringlichkeit erfasst Ausgangs- und Eingangsleistungen, die das Schuldnerunternehmen vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt erbracht oder bezogen hat, ohne das hierfür geschuldete Entgelt zu entrichten oder zu vereinnahmen. Damit kommt es im Insolvenzantragsverfahren faktisch zu einer Ist-Besteuerung. Steueranspruch und Vorsteuerabzug entfallen dann bereits mit Leistungserbringung und Leistungsbezug. Zu einer Besteuerung und einem Vorsteuerabzug kommt es somit erst im Rahmen der zweiten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG.
Rechtsprechung
Nach der Rechtsprechung kommt es spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile, zwischen denen einzelne Berechtigungen und Verpflichtungen nicht verrechnet werden können. Denn mit Insolvenzeröffnung geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über. Der Entgeltanspruch kann damit aus rechtlichen Gründen nicht mehr vom Unternehmer vereinnahmt werden. Spätestens aber eine logische Sekunde vor Insolvenzeröffnung ist damit die Umsatzsteuer auf erbrachte Leistungen, die noch nicht bezahlt wurden, zu berichtigen. Gleiches gilt für Vorsteuer auf erhaltene Leistungen, die nicht bezahlt wurden. Kommt es später – nach der Eröffnung – zu einer Vereinnahmung der Forderung oder auch Bezahlung der Verbindlichkeit, ist erneut zu berichtigen.
Offene Fragen
Diese zweite Berichtigung erfolgt aber unter neuer Steuernummer, mit dem Effekt der Begründung von Masseverbindlichkeiten. Im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270 ff. InsO begründet die Vereinnahmung des Entgelts für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung durch den Insolvenzschuldner eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. § 55 Abs. 4 InsO ordnet dies für ab 1. Januar 2021 beantragte Eigenverwaltungsverfahren an. Ungeklärt ist noch, ob nunmehr die Umstellung von Soll- auf Ist-Besteuerung mittels der Doppelberichtigung von Umsatzsteuer und Vorsteuer bereits auch mit der vorläufigen Eigenverwaltung erfolgt.
Umsatzsteuerliche Organschaft
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sind juristische Personen nicht selbstständig, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes Unternehmen eingegliedert sind. Für die umsatzsteuerliche Betrachtung kommt es also darauf an, wann aus insolvenzrechtlichen oder tatsächlichen Gründen eines oder mehrere Merkmale entfallen. Um diesen Zeitpunkt im Rahmen von Sanierungen zu steuern, kann dies beispielsweise durch eine gezielte Abberufung und Neuberufung von Geschäftsführern erfolgen, sodass die organisatorische Eingliederung vollständig entfällt. Eine umsatzsteuerliche Organschaft endet mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO bei der Organgesellschaft. Sie endet spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, und zwar unabhängig davon, ob es über das Vermögen des Organträgers und/oder über das Vermögen der Organgesellschaft eröffnet wird, und auch unabhängig davon, ob es in Form des Regelinsolvenzverfahrens oder in Form der Eigenverwaltung eröffnet wird. Bei der Eigenverwaltung ist mittlerweile gesetzlich geregelt, dass nach § 276a Abs. 3 i. V. m. § 276a Abs. 1 InsO die finanzielle Eingliederung mit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung entfällt. Nach §§ 5, 6 COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) gilt dies aber nicht für Eigenverwaltungsverfahren, die zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 beantragt werden, wenn die Insolvenzreife auf die Pandemie zurückzuführen ist. Wird das Entgelt für eine während des Bestehens einer Organschaft bezogene Leistung erst nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich, ist der Vorsteuerabzug nicht gegenüber dem bisherigen Organträger, sondern gegenüber dem im Zeitpunkt des Uneinbringlichwerdens bestehenden Unternehmen, dem früheren Organ, zu berichtigen.
Ertragsteuerliche Organschaft
Hingegen kommt es für das Bestehen einer ertragsteuerlichen Organschaft auf den in § 14 Körperschaftsteuergesetz (KStG) genannten Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags sowie darauf an, dass der Organträger an der Organgesellschaft vomBeginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung). Auch hier stellt sich aber die Frage, wann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eines dieser Kriterien nicht mehr vorliegt. Unter dem Vorliegen weiterer Voraussetzungen kann beispielsweise in der Krise der Ergebnisabführungsvertrag gekündigt oder aufgehoben werden und so die Organschaft gezielt und auf einen selbst zu bestimmenden Zeitpunkt beendet werden. Anderenfalls entscheidet der Verfahrensverlauf. Dabei ist offen, ob ein Ergebnisabführungsvertrag automatisch mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens endet, wenn die Gesellschaft aufgelöst ist und damit keine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit mehr ausübt. Es wird diskutiert, ob die ertragsteuerliche Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht bereits mit dem vorläufigen Insolvenzverfahren endet, unabhängig davon, ob dies bei dem Organträger oder bei der Organgesellschaft angeordnet wird, und auch unabhängig davon, ob dies in Form des Regelinsolvenzverfahrens oder in Form der Eigenverwaltung erfolgt.
Auflösung von Verbindlichkeiten
Nach der Rechtsprechung begründen Überschuldung, drohende Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunfähigkeit (§§ 17 ff. InsO) keine ertragswirksame Auflösung von Verbindlichkeiten. Damit führt auch die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen nach dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) nicht zu einer ertragswirksamen Auflösung von Verbindlichkeiten. Aufgrund des Nichtvorliegens der vorgenannten Voraussetzungen kommt es auch im vorläufigen Insolvenzverfahren nicht zu einer Auflösung von Verbindlichkeiten. Der in einem Insolvenzplan enthaltene Forderungsverzicht führt aber mit Rechtskraft der Bestätigung (§ 254 Abs. 1 InsO) dazu, dass Verbindlichkeiten mangels wirtschaftlicher Belastung ertragswirksam aufzulösen sind. Der Ertrag aus der Auflösung von Verbindlichkeiten ist unter den Voraussetzungen der §§ 3a, 3c Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG), § 7b Gewerbesteuergesetz (GewStG) steuerfrei. Der Insolvenzplan kann gemäß § 249 InsO unter die Bedingung der Erteilung einer verbindlichen Auskunft des zuständigen Finanzamts gestellt werden. Bei einem Restrukturierungsplan nach §§ 2 ff. StaRUG gilt ebenfalls, dass Steuern, die durch den Forderungsverzicht im Restrukturierungsplan ausgelöst werden, vom Restrukturierungsplan nicht erfasst sind und eine Steuerfreiheit nur unter den oben genannten Voraussetzungen gegeben ist.
Unterbrechung des Steuerfestsetzungsverfahrens
Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Regelungen der Insolvenzordnung vorrangig. Nachdem eine Steuerfestsetzung auf die Durchsetzung des Steueranspruchs abzielt, dürfen als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) zu beurteilende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis grundsätzlich nicht festgesetzt werden. Einspruchsverfahren werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen (AEAO zu § 251 Tz. 4.1.2).
Restrukturierung nach StaRUG
Unter den Regelungen des StaRUG können Sanierungsmaßnahmen auch außerhalb einer Insolvenz gegen den Willen einzelner Gläubiger umgesetzt werden. Die bislang bestehende Lücke zwischen der außergerichtlichen Sanierung und einem Insolvenzverfahren wird damit geschlossen. Die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens können Unternehmen nutzen, bei denen die Zahlungsunfähigkeit droht (vgl. § 29 Abs. 1 StaRUG). Bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit kommt nur ein Insolvenzantrag in Betracht. Da im Rahmen eines Sanierungsverfahrens nach StaRUG keine Insolvenzreife vorliegen kann, entfallen die oben aufgeführten automatisch eintretenden Kriterien von Uneinbringlichkeit oder Beendigung von umsatzsteuerlicher oder ertragsteuerlicher Organschaft. Steuerfestsetzungs- und Rechtsbehelfsverfahren oder Rechtsbehelfsfristen werden nicht unterbrochen.
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