Betriebsprüfung - 30. Januar 2025

Justiz als Korrektiv

Zweifelt ein Prüfer die Buchführung des Steuerpflichtigen an, drohen in der Regel Zuschläge und Schätzungen, die nicht immer rechtmäßig sind. Der betroffene Unternehmer ist oft gut beraten, diese Maßnahmen der Finanzbehörde rechtlich überprüfen zu lassen.

Waren Sicherheitszuschläge oder Hinzuschätzungen bei einer Betriebsprüfung bereits Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen, lohnt sich in diesem Zusammenhang vor allem ein Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH).

Zuschlag kontra Bagatellschwelle

Der BFH hat ausgeführt, dass in Fällen, in denen die Buchführung nicht nur formell, sondern auch materiell unrichtig ist, die so nachgewiesene Unrichtigkeit der Buchführung, die eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Bagatellgrenze überschreitet, durch korrekt durchgeführte Schätzungsmethoden gelöst werden könnte (BFH-Urteil vom 25.03.2015). Was alles unter diese Bagatellgrenze fällt, ist jedoch einzelfallabhängig. So dürfte die einzelne, nicht verbuchte Einkaufsrechnung (38,95 Euro) unerheblich sein. Vermutlich unbedenklich ist auch der einmal versehentlich nicht gebuchte Einkauf im Großmarkt (789,45 Euro). Die materielle Unrichtigkeit ergibt sich daher bei mehreren nicht gebuchten Wareneinkäufen, nachweislich unversteuerten Betriebseinnahmen oder rechnerisch nachweisbaren Kassenfehlbeträgen. Weiter bedeutet dies, dass es nicht auf die formelle Unrichtigkeit ankommt, sondern darauf, dass die Steuererklärung materiell unrichtig ist. Deshalb muss bei jeder formellen Beanstandung, auch einer erheblichen, vor allem geprüft werden, ob das erklärte Ergebnis inhaltlich unzutreffend ist. Dieser BFH-Rechtsprechung ist zu folgen. Es kann nicht um formelle Richtigkeit gehen. Buchführung ist kein Selbstzweck. Maßgebend ist, ob die Erlöse richtig und vollständig erklärt sind.

Angemessener Sicherheitszuschlag

Sicherheitszuschläge sind dann zulässig, wenn sie in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten Umsätzen einerseits und den vermutlich nicht verbuchten Umsätzen andererseits stehen. In einem konkreten Fall ging es um ungeklärte Mittelzuflüsse auf das Konto des Steuerpflichtigen. Zumindest in dieser Höhe sah der BFH die Buchführung als formell und materiell unzutreffend an. Es ging hier aber keineswegs nur um formelle Fehler. Ungeklärte Geldzuflüsse beim Steuerpflichtigen lassen vermuten, dass sie aus schwarzen Einnahmen stammen. Bemängelt wurden also keine Aufzeichnungsfehler, stattdessen ging es um den Verdacht einer Hinterziehung, wobei sich die Höhe der Hinterziehung vermutlich durch die Höhe der sonst unerklärlichen Einzahlungen ergab. Der Betriebsprüfer und ihm folgend das Finanzamt (FA) haben allerdings die von ihnen angewandte Schätzungsmethode zu Unrecht als Fährniszuschlag (Sicherheits- beziehungsweise Unsicherheitszuschlag) bezeichnet. Der Fährniszuschlag lässt sich als eine Schätzung charakterisieren, die einerseits in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten und andererseits zu den nicht verbuchten Umsätzen steht (BFH-Urteil vom 28.03.1963 – V 91/60). Die Hinzuschätzungen des Betriebsprüfers bewegten sich aber in keinem irgendwie gearteten Verhältnis zu den nachvollziehbaren und erläuterten beziehungsweise gegebenenfalls nicht erklärten Umsätzen. Der Prüfer hat vielmehr zwei konkrete Geschäftsvorfälle, die in der Buchführung als Verlustgeschäfte dargestellt waren, zum Anlass genommen, Beträge in Höhe der Differenzen zu den von ihm für angemessen gehaltenen Verkaufspreisen hinzuzuschätzen. In diesem Bereich wurden dem Unternehmer Betriebseinnahmen nachgewiesen und er gestand auch, entsprechend verkürzt zu haben. Daher handelte es sich hier keineswegs um einen willkürlichen Zuschlag, nur weil der Prüfer Zweifel hatte. Nur wegen irgendwelcher Zweifel an der Vollständigkeit der Erlöserfassung wäre ein solcher Zuschlag nicht zulässig gewesen.

Bezeichnung der Schätzmethode

Zutreffend hat der BFH darauf hingewiesen, dass eine unrichtige Bezeichnung der Schätzungsmethode dem FA im Streitfall nicht entgegengehalten werden kann. Fehlt der Buchführung, wie in diesem Fall, die Beweiskraft gemäß § 158 Abgabenordnung (AO), versucht die Finanzbehörde, ungewöhnliche, aus ihrer Sicht unplausible, Umstände oder Geschäftsvorfälle zum Anlass zu nehmen, Zuschätzungen zu den ausgewiesenen Buchführungsergebnissen vorzunehmen (§ 208 AO). Dabei verkennt sie aber, dass sie die Darlegungs- und Beweislast (Feststellungslast) für das Mehrergebnis trägt. Subjektive Zweifel der Prüferin oder des Prüfers an dem Ergebnis sind aber kein Beweis dafür, dass das Ergebnis nicht stimmt.

Verletzung von Mitwirkungspflichten

In Fällen, in denen der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt hat, kann angenommen werden, dass er etwas zu verbergen hat oder sonst in seinem Verhalten Vorteile sucht und deswegen nicht mitwirkt. Eine Nichterklärung könnte als Steuerhinterziehung durch Unterlassen gewertet werden. In einem konkreten Fall hatte der Steuerpflichtige keine Erklärungen eingereicht und dem FA waren in der anschließenden Schätzung mehrere grobe Fehler unterlaufen. Eine Schätzung ist nicht schon deswegen rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht. Solche Abweichungen sind mit einer Schätzung notwendigerweise verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Eine Schätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des konkreten Falls gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird sie erforderlich, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht genügt, will sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte zu verheimlichen versucht. Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat das die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits ihre Nichtigkeit zur Folge. Nach älterer Rechtsprechung war Nichtigkeit selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, nicht gegeben (BFH in BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133; BFHE 156, 376, BStBl II 1990, 351). Sofern das FA überzogen schätzt, muss dennoch unbedingt fristwahrend Einspruch eingelegt werden.

Willkürliche Schätzungen

Etwas anderes ist allenfalls dann zu erwägen, wenn sich das FA nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst und zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung nicht zu vereinbaren sind, können ein besonders schwerer Fehler im Sinne des § 125 Abs. 1 AO sein. Auch hier geht es nicht um die Erlaubnis eines Zuschlags aufgrund bloßer Zweifel des Prüfers an der Vollständigkeit der Erlöserfassung. Bei den Schätzungen ist natürlich auch der Schätzungsanlass genau zu überprüfen, ob etwa formelle Fehler auf der Einnahmenseite vorliegen, die eine Prüfung der Vollständigkeit der Erlöserfassung unmöglich machen oder die ihre Unvollständigkeit beweisen (BFH-Urteil vom 25.03.2015 – X R 20/13).

Schätzungen an der oberen Grenze

In einer anderen Entscheidung führte der BFH aus, dass ein Steuerpflichtiger, der durch sein Verhalten Anlass zu einer Schätzung gegeben hat, hinnehmen muss, dass diese zu seinem Nachteil ausfällt. In derartigen Fällen sei ein sogenannter Sicherheitszuschlag als wahrscheinlich gerechtfertigt. Laut BFH sei es zwar richtig, dass das FA auch bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Steuerpflichtigen bestrebt sein müsse, die Besteuerungsgrundlagen so zu schätzen, dass für ihre Richtigkeit die größte Wahrscheinlichkeit spreche. Die Anwendung dieses Grundsatzes führe indessen bei groben Verstößen gegen die steuerlichen Pflichten in der Regel nicht zu einem sehr engen Schätzungsrahmen. Nach älterer Rechtsprechung war das FA nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, in diesem Schätzungsrahmen an die oberste Grenze zu gehen. Im Interesse der steuerlichen Gerechtigkeit und zum Schutz der Staatsbürger, die ihre steuerlichen Pflichten erfüllen, sei in jedem Fall auszuschließen, dass Steuerpflichtige durch gröbliche Verletzung ihrer Pflichten im Ergebnis bessergestellt werden als pflichtgetreue Steuerpflichtige. Die Besteuerungsgrundlagen müssten also nach dem für den Steuerpflichtigen ungünstigsten, aber möglichen Sachverhalt festgestellt werden. Die neue BFH-Rechtsprechung hingegen fordert eine sachgerechte Schätzung mit dem Ziel, möglichst zutreffende Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Ist jedoch Anlass zur Schätzung gegeben, ist § 158 AO bereits überwunden.

Fazit

Ein Sicherheitszuschlag ist demnach als eine ergänzende Schätzung anzusehen. Das ist aber ein Unterschied zu den Fällen, in denen ein Prüfer nichts gefunden hat und die Buchführung nicht zu verwerfen ist. In einer derartigen Konstellation ist § 162 AO nicht eröffnet, und wenn der Prüfer dennoch einen Sicherheitszuschlag vornehmen will, steht diesem § 158 AO entgegen. Ein erklärtes Buchführungsergebnis muss darüber hinaus materiellrechtlich immer falsch sein, um die Schätzungsbefugnis zu eröffnen. Ist das Ergebnis zutreffend, gibt es keinen Grund für eine Verwerfung, eine Zuschätzung oder Sicherheitszuschläge. Sonstige Anlässe sind Tatsachen, die eine Richtigkeit und Vollständigkeit der Buchführung widerlegen müssen. Beides ist im Lichte der Beweislastverteilung auszulegen, sodass nicht jeder kleine formelle Fehler zu einer Verwerfung der Buchführung führen kann. In dem Anwendungserlass zu § 158 AO beschreibt die Finanzverwaltung nicht, dass eine Bagatellgrenze zu berücksichtigen sei, deren Höhe fallbezogen ist und kleine und mittlere Fehler offensichtlich als unerheblich ausscheiden lässt. Die Frage ist, ob die Einnahmen tatsächlich vollständig versteuert wurden oder ob Indizien oder Beweismittel vorliegen, die eine Vollständigkeit der Erlöserfassung ausschließen – und falls ja, in welchem Umfang. Sind die aufgezeigten Fehler aber nicht geeignet, eine Vollständigkeit der Erlöserfassung zu widerlegen, bleibt es bei den Aufzeichnungen beziehungsweise der Buchführung des Steuerpflichtigen sowie der Grundregelung des § 158 AO mit dem Verbot einer Zuschätzung.

Zum Autor

JB
Dr. Jörg Burkhard

Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht in eigener Kanzlei mit Standorten in Frankfurt am Main und Wiesbaden

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