Die geplante Abschaffung unilateraler Digitalsteuern, aber auch die bestehende Rechtsunsicherheit und Doppelbesteuerungen stellen die Industrie 4.0 aktuell auf eine harte Probe.
Spätestens seit der Initiative BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bestehen kaum Zweifel, dass das international etablierte Unternehmenssteuersystem nicht auf die Besteuerung der digitalen Wirtschaft zugeschnitten ist. Das Konzept eines rein physischen steuerlichen Anknüpfungspunkts zur Begründung einer beschränkten Steuerpflicht im Quellenstaat, etwa durch eine Betriebsstätte, erlaubt keine sachgerechte Besteuerung rein digitaler Geschäftsmodelle. Daher wird die Vereinbarung von 137 Mitgliedstaaten des OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS (IF) zur Umsetzung eines sogenannten Zwei-Säulen-Modells – und damit auch eines multilateralen Besteuerungskonzepts für digitale Geschäftsmodelle – die Ära unilateraler Digitalsteuern auf absehbare Zeit beenden. Die multilaterale Konvention muss jedoch in nationales Recht implementiert werden. Bis dahin bleiben die europäischen Digitalsteuern in Kraft. Besonders die mangelnde Systemharmonisierung führt somit weiterhin zu Rechtsunsicherheit und Doppelbesteuerungen. Daher sollen nachfolgend die größten Komplikationen für Unternehmen der Industrie 4.0 aufgezeigt werden.
Systematik der europäischen Digitalsteuern
Aufgrund des anwachsenden zeitlichen Drucks sowie des Scheiterns einer Interimslösung auf Ebene der Europäischen Union (EU) führten in den vergangenen Jahren zahlreiche europäische Länder unilaterale Digitalsteuern auf bestimmte digitale Dienstleistungen im Allgemeinen ein; diese sind daher nicht exklusiv auf Digitalkonzerne zugeschnitten. Der häufigste sachliche Anwendungsbereich nationaler europäischer Digitalsteuern umfasst die drei folgenden steuerbaren digitalen Dienstleistungen:
- Online-Werbedienste
- Online-Vermittlungsleistungen (zum Beispiel Bereitstellung eines Online-Marktplatzes)
- Übermittlung gesammelter Nutzerdaten
Dabei stellen die meisten europäischen Digitalsteuern auf die Ansässigkeit der Nutzerinnen und Nutzer einer digitalen Dienstleistung ab, um ein Besteuerungsrecht zu begründen. Die Ansässigkeit der Nutzer wird in der Regel über die IP-Adresse der Nutzergeräte oder andere Methoden der Geolokalisierung ermittelt. Digitalsteuern verpflichten Unternehmen somit, den Standort von Nutzergeräten zu überwachen, was datenschutzrechtlich bedenklich erscheint, bisher allerdings kaum diskutiert wurde. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie die steuerpflichtigen Erträge einer Online-Vermittlungsdienstleistung (Online-Marktplatz) ermittelt werden und wie dies zu einer Komplexität für den Rechtsanwender führt.
Fallbeispiel

Das Unternehmen A ist in Deutschland ansässig und im internationalen Maschinen- und Anlagenbau tätig. A betreibt unter anderem einen Online-Marktplatz, auf dem neben eigenen Ersatzteilen auch Ersatzteile von anderen Herstellern gekauft werden können. Unternehmen B kauft über den Online-Marktplatz von A ein Ersatzteil, das von Unternehmen C hergestellt wird. C zahlt für die Bereitstellung des Online-Marktplatzes eine Provision an A, das über die IP-Adressen ermittelt, dass sich B im Zeitpunkt der Vermittlungsleistung in Frankreich und C in Italien aufhält. Die Vermittlungsleistung ist mithin in Frankreich und Italien objektiv steuerpflichtig. Der Anteil der steuerbaren digitalen Umsätze richtet sich in beiden Ländern nach dem Anteil an Transaktionen mit französischer beziehungsweise italienischer Nutzerbeteiligung an allen Transaktionen. Im Fall einer festgestellten objektiven Digitalsteuerpflicht kann einzig die Unterschreitung von globalen und lokalen Umsatzschwellenwerten ein Unternehmen von einer subjektiven Digitalsteuerpflicht befreien. Allerdings erfordert die Überprüfung der Umsatzschwellenwerte in den meisten Fällen auch die Ermittlung der digitalen Umsätze unter Verwendung der oben beschriebenen Allokationsregelung.
Mangelnde Harmonisierung
Bei Einführung der unilateralen Maßnahmen hatten die europäischen Staaten häufig den Richtlinienentwurf des Europäischen Rats für eine Digitalsteuer zur Vorlage, die Ausgestaltung war jedoch auch durch nationale Interessen geprägt. Daraus resultieren häufig Mehrfachbelastungen auf digitale Erträge. Insbesondere aufgrund der territorialen Zuordnung von Erträgen bei europäischen Digitalsteuern anhand der Nutzeransässigkeit besteht in einigen Fällen die Gefahr, dass mehrere Staaten ein Besteuerungsrecht für sich beanspruchen. Die Digitalsteuern aus Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich (UK) lassen beispielsweise steuerbare Erträge aus Online-Marktplätzen gemäß dem Anteil an Transaktionen mit Nutzerbeteiligung des jeweiligen Landes in die Bemessungsgrundlage einfließen. Dies wird anhand des voranstehenden Beispiels deutlich. Da es für die französische und die italienische Digitalsteuer ausreicht, wenn sich ein Transaktionsteilnehmer, also B (Käufer) oder C (Verkäufer), in Frankreich beziehungsweise Italien aufhält, kann es bei einer Steuerpflicht von A in beiden Staaten zu einer Besteuerung derselben Erträge kommen.
Doppelbesteuerung vermeiden
In der Praxis wird daher dringend empfohlen, eine Beratung unter anderem zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage einzuholen, um Doppelbelastungen möglichst zu vermeiden und den Compliance-Anforderungen nachzukommen. Einige Staaten haben das Problem der Mehrfachbelastung erkannt und bemühen sich, diese durch unilaterale Gegenmaßnahmen abzumildern. Die vergleichsweise einfachste Form der unilateralen Vermeidung einer Doppelbesteuerung von Erträgen aus Online-Marktplätzen wurde dabei in die spanische Digitalsteuer integriert. Die Vermittlungserträge, die in die Bemessungsgrundlage der spanischen Digitalsteuer einfließen, bestimmt der Anteil beteiligter spanischer Nutzer an Transaktionen und nicht der Anteil an Transaktionen mit spanischer Nutzerbeteiligung. Diese Regelung folgt der ursprünglich im Richtlinienvorschlag der EU vorgesehenen Ausgestaltung und führt im Ergebnis dazu, dass nur jene Vermittlungserträge, die durch eine Transaktion generiert wurden, in die Bemessungsgrundlage der spanischen Digitalsteuer einbezogen werden, sofern sich sowohl Käufer als auch Verkäufer in Spanien aufhalten. Im voranstehenden Beispiel müssten demnach B und C in Spanien ansässig sein. Trotz einer teilweise abweichenden territorialen Zuordnung ist die britische Digitalsteuer ebenfalls bestrebt, Mehrfachbelastungen steuerpflichtiger digitaler Erträge zu vermeiden. Daher wird die Hälfte der steuerpflichtigen Erträge aus Marktplatz-Transaktionen automatisch freigestellt, sofern ein ausländischer Nutzer an der Transaktion beteiligt ist und die Erträge teilweise oder vollständig mit einer ausländischen Digitalsteuer belastet werden. Durch diese Maßnahme tritt bei einer drohenden Doppelbesteuerung im Regelfall die gleiche Entlastungswirkung wie bei der spanischen Digitalsteuer ein. Neben einer Doppelbesteuerung derselben Erträge mit unterschiedlichen nationalen Digitalsteuern muss zusätzlich beachtet werden, dass diese Digitalsteuern als Sondersteuern ergänzend zur bestehenden Unternehmensbesteuerung konzipiert wurden. Daher ist neben der Mehrfachbelastung in Form einer juristischen Doppelbesteuerung auch die Doppelbesteuerung im wirtschaftlichen Sinne denkbar. So kann etwa neben der Belastung erwirtschafteter Erträge mit einer Digitalsteuer zusätzlich eine Gewinnbesteuerung mit Körperschaftsteuer im Sitzstaat des Unternehmens erfolgen. Einige Staaten sehen zwar grundsätzlich einen Abzug der entrichteten Digitalsteuer von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer vor, einem beispielsweise in Deutschland ansässigen Unternehmen bietet dies jedoch keine Entlastungswirkung. Die in den voranstehenden Ausführungen aufgezeigte Auswahl an Schwächen und Herausforderungen der europäischen Digitalsteuern verdeutlicht die beachtliche Komplexität, die mit einer unilateralen Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle einhergeht. Insbesondere solange die bereits begonnene Reformierung der internationalen Unternehmensbesteuerung nicht vollständig umgesetzt sein wird, werden betroffene Unternehmen somit zunehmend auf die entsprechende Beratung angewiesen sein, um ihren Compliance-Verpflichtungen nachzukommen.
Multilaterale Konvention

Am 8. Oktober 2021 veröffentlichte das IF eine Erklärung über die Zwei-Säulen-Lösung für die steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft. Sie basiert auf einer Neuverteilung von Besteuerungsrechten und einer globalen Mindestbesteuerung. Dem Statement haben sich inzwischen 137 der 141 Staaten des IF angeschlossen. Im Zuge dieser multilateralen Konvention sind die beteiligten Staaten seit dem 8. Oktober 2021 verpflichtet, keine neuen nationalen Digitalsteuern mehr einzuführen und bestehende nationale Digitalsteuern abzuschaffen. Die Abschaffung der bestehenden unilateralen Digitalsteuern soll dabei angemessen koordiniert werden. Bis zum Inkrafttreten der multilateralen Konvention – oder spätestens zum Ende des Übergangszeitraums Ende 2023 – können bestehende unilaterale Digitalsteuern grundsätzlich weiter erhoben werden. Das IF konstatiert in seiner Erklärung, dass Übergangsregelungen bis zur Einführung von Säule 1 zwischen einzelnen Staaten zügig erarbeitet werden sollen. Auf das Statement des IF folgend veröffentlichten beispielsweise die USA am 21. Oktober 2021 zusammen mit dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien, Spanien und Österreich eine gemeinsame Erklärung für eine Übergangsregelung zur koordinierten Transformation ihrer nationalen Digitalsteuern in die neue Weltsteuerordnung. Gemeinsam wurde sich auf die Einführung eines Anrechnungssystems geeinigt, das vereinfacht ausgedrückt die Digitalsteuerlast mit der Körperschaftsteuerbelastung durch die Säule 1 der multilateralen Konvention vergleicht und im Falle einer höheren Digitalsteuerlast einen Anrechnungsbetrag gewährt.
Fazit
Das Ende der Digitalsteuern, dies kann zusammenfassend gesagt werden, ist mittelfristig abzusehen. Die erzielte Einigung auf Ebene des IF könnte die internationale Unternehmensbesteuerung revolutionieren. Allerdings sind bis zur Implementierung der multilateralen Konvention in nationales Steuerrecht noch viele Hürden zu meistern. Demnach muss zumindest kurz- bis mittelfristig mit dem Fortbestand der europäischen Digitalsteuern gerechnet werden. Unternehmen, die aufgrund ihrer Geschäftsmodelle aktuell von Digitalsteuern betroffen sind, müssen sich noch in den kommenden maximal zwei Jahren mit ihren Compliance-Verpflichtungen beziehungsweise der Beurteilung einer möglichen Steuerpflicht auseinandersetzen.