Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene will man nun missbräuchlich erlangte Steuervorteile unterbinden. Die Politik geht daher verstärkt gegen die sogenannten Briefkastenfirmen vor.
Substanzschwache Gesellschaften sind solche, die über keine ausreichende Substanz verfügen, hauptsächlich in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft organisiert sind und intransparent besteuert werden. Nach dem erklärten Willen der Politik soll die Gewährung von missbräuchlich erworbenen Steuervorteilen nun verringert beziehungsweise, wenn möglich, ganz vermieden werden. An derartigen Missbrauchsgestaltungen beteiligt sind meist substanzschwache Gesellschaften, die man sprichwörtlich auch Briefkastenfirmen nennt. Zukünftig will man Transaktionen mit substanzschwachen Gesellschaften oder deren Einschaltung in Gruppenstrukturen die steuerliche Anerkennung versagen.
Verschärfte Prüfungen
In der Praxis ist derzeit ein Prüfungsschwerpunkt der deutschen Finanzverwaltung zu beobachten. Konkret geht es um die Substanz von Briefkastengesellschaften, die sich in Gemeinden mit geringen Gewerbesteuerhebesätzen befinden. Man spricht von Gewerbesteueroasen. Die Gewerbesteuer soll aber nach Maßgabe des Äquivalenzprinzips denjenigen Gemeinden zufließen, in denen die wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich stattfindet und von denen somit auch die hierfür notwendige Infrastruktur bereitgestellt wird.
Kein nationales Phänomen
Substanzschwache Gesellschaften sind aber kein rein nationales, sondern auch ein internationales Problem. National erstreckt sich der Anwendungsbereich meistens auf Transaktionen oder Gruppenstrukturen, die von den innerdeutschen Unterschieden im Gewerbesteuerhebesatz profitieren. Im internationalen Bereich findet man substanzschwache Gesellschaften sowohl in Outbound- als auch Inbound-Situationen. Dort werden Gewinne auf Tochtergesellschaften im niedrig besteuerten Ausland transferiert beziehungsweise durch Einschaltung von Durchleitungsgesellschaften repatriiert.
ATAD III-Richtlinie
Das EU-Parlament hat am 17. Januar 2023 einer neuen Richtlinie mit dem Titel ATAD III zugestimmt. Die Zustimmung des EU-Ministerrats steht noch aus. In zwei Prüfungsschritten soll nach ATAD III die Einschaltung von Briefkastengesellschaften verhindert werden. Bei kumulativer Erfüllung von drei relevanten Kriterien, konkret passive Einnahmen in Höhe von mindestens 65 Prozent sowie grenzüberschreitende Tätigkeit und Auslagerung von Verwaltung und Entscheidungsfindung, soll für Gesellschaften zunächst eine Informationspflicht gegenüber den Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaats bestehen. In einem weiteren Schritt haben die Unternehmen dann die Möglichkeit, den Finanzbehörden bei der Steuererklärung das Vorliegen einer Mindestsubstanz nachzuweisen. Die ATAD III enthält für diesen Nachweis Indikatoren, von denen mindestens einer zu erfüllen ist: entweder eigene Räumlichkeiten oder ein Konto bei einer EU-Bank, das aktiv genutzt wird, beziehungsweise dass die Geschäftsführung in räumlicher Nähe ansässig, ausreichend entscheidungsbefugt und nicht auch für fremde dritte Unternehmen tätig ist oder dass die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in räumlicher Nähe ansässig und ausreichend entscheidungsbefugt ist. Zudem kann Exkulpation erreicht werden, wenn der Nachweis gelingt, dass keine Steuervorteile erzielt wurden.
Good Corporate Citizenship
Es entspricht einer gelebten Good Corporate Citizenship, dass Unternehmen eine Vorbildfunktion einnehmen und dabei insbesondere auch auf Nachhaltigkeit in allen Angelegenheiten achten. Mithin sind die jeweils gültigen Rechtsnormen lediglich ein Mindeststandard. Good Corporate Citizenship verlangt also auch verteilungsgerecht gelebte steuerliche Nachhaltigkeit.
Missbrauchstatbestände
Faktisch wird das von einer substanzschwachen Gesellschaft erzielte und zu versteuernde Einkommen beziehungsweise der Gewerbeertrag entweder dem substanzstarken Anteilseigner oder einem verbundenen Unternehmen zugerechnet und auf dieser Ebene nach deutschen Grundsätzen versteuert: bei Gesellschaften in Gewerbesteueroasen gemäß § 12 Abgabenordnung (AO) oder in Outbound-Situationen über die Hinzurechnungsbesteuerung gemäß der §§ 7 bis 14 Außensteuergesetz (AStG). Darüber hinaus genießen Briefkastengesellschaften nicht die steuerlichen Vorteile eines Doppelbesteuerungsabkommens gemäß Art. 1 oder Art. 29 Abs. 9 OECD-Musterabkommen oder der EU-Mutter-Tochter-Richtlinie beziehungsweise der EU-Zins-Lizenz- Richtlinie.
Umsetzung der ATAD III-Richtlinie
Die Regelungen sind unter der Voraussetzung, dass der EU-Ministerrat zustimmt, bis zum 30. Juni 2023 in nationales Recht umzusetzen und ab dem 1. Januar 2024 anzuwenden. Durch ATAD III wirken die relevanten zweijährigen Durchschnittsbetrachtungen für einen Test jedoch auf das Vorliegen von Substanz bis ins Jahr 2022 zurück. Daher ist es empfehlenswert, die entsprechenden Informationen und die Dokumentation schon jetzt vorsorglich zusammenzustellen. Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die in den deutschen Steuergesetzen und den schon gültigen EU-Richtlinien beziehungsweise im Abkommensrecht enthaltenen Rechtsnormen, die auf Substanz abstellen, bereits jetzt anwendbar sind.
Definition von Substanz
Es gibt eine Fülle von Normen, die sich auf das Vorliegen von Substanz beziehen. Der steuerliche Begriff der Substanz ist aber trotz seiner historisch und aktuell hohen Bedeutung bisher nur ein nicht gesetzlich definierter Sammelbegriff. Die Bedeutung des Begriffs unterscheidet sich je nach der einschlägigen Rechtsnorm, für die ein unterschiedliches Maß an Mindestsubstanz erforderlich ist. Für die Bestimmung des Begriffs Substanz können aus steuersystematischer Sicht drei Normen-Cluster unterschieden werden. Innerhalb dieser Cluster werden dem Grunde und der Höhe nach ähnliche Anforderungen an das Bestehen von angemessener Substanz gestellt. Zwischen den Normen-Clustern können die Anforderungen erheblich abweichen. Die Zuordnung der Rechtsnormen zu den einzelnen Normen-Clustern ist im Regelfall nicht eindeutig.
Drei Normen-Cluster
Die drei Normen-Cluster sind Vermeidung von Missbrauch, angemessene Besteuerung im Ansässigkeitsstaat sowie angemessene Besteuerung im Quellenstaat. Im ersten Cluster werden reine Umgehungstatbestände erfasst, darunter insbesondere auch die angesprochenen Briefkastengesellschaften. Hier kommen die nationale Missbrauchsnorm gemäß § 42 AO sowie im internationalen Steuerrecht die künftige Umsetzung von ATAD III beziehungsweise im Abkommensrecht der sogenannte Principle Purpose Test zur Anwendung. Vom zweiten Cluster werden Rechtsnormen des Ansässigkeitsstaats umfasst, durch die das schon vorhandene Besteuerungsrecht dieses Staats bei grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten eines unbeschränkt Steuerpflichtigen gesichert werden soll. Hier kommen die Hinzurechnungsbesteuerung gemäß der §§ 7 bis 14 AStG und die Anti-Treaty- beziehungsweise Anti- Directive-Shopping-Regelung gemäß § 50d Abs. 3 Einkommensteuergesetz sowie das sogenannte DEMPE-Konzept (Akronym für Development, Enhancement, Maintenance, Protection, Exploitation) gemäß § 1 Abs. 3c AStG zum Tragen. Vom dritten Cluster werden schließlich Rechtsnormen des Quellenstaats umfasst, die dessen Besteuerungsrechte begründen oder absichern sollen. Dort kommen die nationalen Regelungen zur Definition des Orts der Geschäftsleitung gemäß § 10 AO sowie der Betriebstätte gemäß § 12 AO und im Abkommensrecht Art. 5 OECD-Musterabkommen zur Anwendung. In das Cluster fallen zudem auch Fragen der funktionalen Zuordnung von Beteiligungen gemäß Art. 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen.
Prüfungskriterien
Das deutsche Steuergesetz gibt nur in Einzelfällen Kriterien vor, nach denen eine Mindestsubstanz nachgewiesen werden soll. Jedes abstrakt allgemeingültige Prüfschema orientiert sich aber immer an der Einordnung von Kriterien. Beim Begriff Substanz erfolgt dies in drei Dimensionen: Quantität der wirtschaftlichen Tätigkeit, Qualität der wirtschaftlichen Tätigkeit und tatsächliche Umsetzung von Substanz-Kriterien, die auf ein Missverhältnis zwischen behaupteter und tatsächlich gelebter Substanz hinweisen. Diese drei Dimensionen und deren Sinn und Zweck sind dann zu dokumentieren.
Steuerliche Anerkennung
Nur bei entsprechend substantiiertem Nachweis des Vorliegens der genannten Kriterien ist die erforderliche Mindestsubstanz gegeben und die Gesellschaft steuerlich anzuerkennen. Es ist jedoch zu betonen, dass es beim Sammelbegriff Substanz noch viele ungeklärte Rechtsfragen gibt, die sich auf die steuerliche Anerkennung der vorhandenen Substanz auswirken können. Lässt sich ein nicht vorhandenes oder schwach ausgeprägtes Substanz-Kriterium durch ein zusätzliches oder stärker ausgeprägtes Substanz-Kriterium ersetzen? Oder wie sind Schwankungen im Verhältnis von ausreichender und tatsächlich vorliegender Substanz im Zeitablauf zu berücksichtigen beziehungsweise wie ist ein vermeintliches räumliches Missverhältnis zu werten?
Fazit
Aufgrund der skizzierten nationalen und internationalen Entwicklungen wird das Thema Substanz, obwohl schon immer relevant, nun noch eine zusätzliche, verstärkte Bedeutung bekommen. Die Thematik wird insbesondere das internationale Steuerrecht in den nächsten Jahren prägen.