Mit der Umsetzung höchstrichterlicher Rechtsprechung stellt der Gesetzgeber eine konsequente Fortentwicklung der Kapitalverkehrsfreiheit sicher. Darüber hinaus will er die Steuergerechtigkeit durch einen angemessenen Informationsaustausch wahren.
Mit dem Jahressteuergesetz 2024 führt der Gesetzgeber die europarechtlich gebotene anteilige Abzugsfähigkeit allgemeiner Nachlassverbindlichkeiten ein. Zugleich wird die Vorschrift neu strukturiert [§ 10 Abs. 6, 6a und 6b Erbschaftsteuergesetz (ErbStG)]. Ferner wird die Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke auf Grundstücke in Drittstaaten erweitert, wenn in Bezug auf die Erbschaftsteuer ein Informationsaustausch mit diesem Drittstaat sichergestellt ist (§ 13d Abs. 3 Nr. 2 ErbStG). Schließlich wird unter derselben Voraussetzung die Inanspruchnahme der Stundungsregelung bei sämtlichen zu eigenen oder fremden Wohnzwecken erworbenen Grundstücken ermöglicht (§ 28 Abs. 3 ErbStG). Die Änderungen sind vor allem Auswirkungen der in Art. 63 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelten Kapitalverkehrsfreiheit, deren Kern jegliche Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten verbietet. Kapitalverkehr sind Verkehrsgeschäfte über Geld- oder Sachkapital zwischen Beteiligten in verschiedenen Mitgliedstaaten. Dabei ist sowohl auf das Primärrecht in Form von Art. 57 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) als auch auf das Sekundärrecht zurückzugreifen, wie es auch aus der Kapitalverkehrsrichtlinie (4. Rl. Nr. 88/361 des Rats zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs vom 24.06.1988) folgt. Nachfolgend sind die wesentlichen Neuregelungen skizziert.
Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten
Die anteilige Abzugsfähigkeit allgemeiner Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 6, 6a und 6b ErbStG) geht zurück auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hat entschieden, dass die bisher durch § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG geregelte umfassende Nichtabzugsfähigkeit von Pflichtteilsverbindlichkeiten bei beschränkter Steuerpflicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 und 65 AEUV) verstößt ( EuGH-Urteil vom 21.12.2021, C-394/20). Nach der Entscheidung des Finanzamts war der fehlende wirtschaftliche Zusammenhang der Verbindlichkeiten mit den zum Nachlassvermögen gehörenden Grundstücken maßgeblich. Der EuGH erkannte, dass die damit verbundene Beschränkung des Kapitalverkehrs nicht gerechtfertigt werden kann. Die Kohärenz des deutschen Steuersystems, das Territorialitätsprinzip und die Gewährleistung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten könnten diese Beschränkung nicht tragen. Nach einer anfänglichen unionsrechtskonformen Auslegung der Vorschrift folgt nun eine Änderung durch den Gesetzgeber in § 10 Abs. 6 ErbStG, die zu einer anteiligen Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten in Fällen der beschränkten Steuerpflicht führt – entsprechend dem Anteil, mit dem der Vermögensanfall der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt. Diese Wertung entspricht der Auffassung des EuGH zur anteiligen Gewährung der persönlichen Freibeträge nach § 16 ErbStG in demselben Urteil. Zugleich wird die bisherige Vorschrift neu strukturiert, indem die bisherigen Sätze 3 bis 11 in zwei nachfolgende Absätze verschoben werden. Die bislang in einem Absatz enthaltenen Regelungen zur Abzugsfähigkeit von Nachlassverbindlichkeiten werden gegliedert nach in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der inländischen Besteuerung unterliegenden Vermögensgegenständen, teilweise steuerbefreiten Vermögensgegenständen und nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einzelnen Vermögensgegenständen stehenden Erwerben. Inhaltliche Änderungen ergeben sich daraus nicht.
Steuerbefreiung mit Drittstaatenbezug
Auch bei der Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke in Drittstaaten (§ 13d Abs. 3 Nr. 2 ErbStG) folgt der Gesetzgeber einem Urteil des EuGH. Dieser hatte in der Rechtssache C-670/21 festgestellt, dass das Fehlen der genannten Steuerbefreiung grundsätzlich gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Im Ausgangspunkt machte ein in Deutschland wohnender Erbe für das von seinem Vater überkommene und zu Wohnzwecken vermietete Grundvermögen in Kanada den Befreiungsabschlag geltend, damit nur 90 Prozent des Werts angesetzt wurden. Das Gericht erkannte eine Beschränkung des Kapitalverkehrs. Diese sei nicht durch eine fehlende Vergleichbarkeit oder zwingende Gründe des Allgemeininteresses, wie etwa sozialpolitische Ziele, gerechtfertigt. Die ebenso unter die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses fallende Notwendigkeit der Wirksamkeit der Steueraufsicht sei darüber hinaus aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) gewährleistet. Eine Erweiterung des Befreiungsabschlags für Grundstücke in solchen Drittstaaten, mit denen ein umfassender Informationsaustausch besteht, wird nunmehr vom Gesetzgeber umgesetzt. Mit der Neuregelung der Nr. 2 kann der Abschlag gewährt werden, wenn das Grundstück in einem Drittstaat belegen ist und in Bezug auf die Erbschaftsteuer ein Informationsaustausch mit diesem Drittstaat sichergestellt ist.
Internationale Abkommen
Insoweit muss der Drittstaat aufgrund völkervertraglicher Abkommen verpflichtet sein, Amtshilfe in Steuersachen in einem für die Überprüfung der Normanwendung erforderlichen Umfang zu leisten. Dann kann die Überprüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen durch die deutsche Steuerverwaltung unabhängig von den Angaben der Steuerpflichtigen und der von ihr oder ihm vorgelegten Nachweise erfolgen. Mit dem Beitritt von Kanada zum Common Reporting Standard (CRS) im Jahr 2017 ist dieses gewährleistet. Es handelt sich hier um ein multinationales Abkommen, das in Deutschland im Jahr 2015 in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde und auf den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten zielt. Jährlich werden im September Austausche von Informationen wiederholt. Denkbar wäre auch, dass der Drittstaat das Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen ratifiziert oder ein DBA abgeschlossen hat. Die Umsetzung der EU-Richtlinie 2018/822/EU wird dazu führen, dass grenzüberschreitende aggressive Steuerplanung, Offshore-Strukturen und CRS-Vermeidungssysteme in Anlehnung an die im Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgeschlagene Mustervorschrift an EU-Steuerbehörden gemeldet werden müssen.
Stundungsregelung bei Wohngrundstücken
Mit dieser Änderung wird die Stundungsregelung von Grundstücken (§ 28 Abs. 3 ErbStG), die zu fremden Wohnzwecken vermietet sind oder die bei Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Wohnungseigentum nach dem Erwerb eigenen Wohnzwecken dienen, auf sämtliche Fälle ausgeweitet, in denen Grundbesitz zu Wohnzwecken genutzt wird. Damit sind nun auch Fälle erfasst, in denen das vom Erblasser oder Schenker genutzte Grundstück nach dem Erbfall oder der Schenkung zu Wohnzwecken vermietet wird. Auch in einem solchen Fall ist es sinnvoll, die Zahlung der Steuer zu stunden, wenn sie sonst nur durch eine Veräußerung des Grundstücks entrichtet werden könnte. Bei Vermietung soll damit erreicht werden, dass die gestundete Steuer aus den Erträgen entrichtet werden kann. Ferner sind nun alle Fälle der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken erfasst, auch eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Damit wird der höheren Flexibilität und Mobilität von Eigentümern und ihren Kindern Rechnung getragen, weil ein Lebensmittelpunkt nicht mehr automatisch an die nachfolgende Generation weitergegeben werden kann. Gleichzeitig wird die Regelungssystematik des § 28 Abs. 3 ErbStG vereinfacht. Gemäß Satz 1 erfolgt eine Erweiterung auf sämtlichen Wohnzwecken dienenden Grundbesitz, also auch in Mietwohngrundstücken, gemischt genutzten Grundstücken oder Geschäftsgrundstücken. Gewerbliche, freiberufliche oder öffentliche Nutzungen sind nicht begünstigt. Gegebenenfalls ist eine anteilige Berechnung auf den zu Wohnzwecken genutzten Teil des Gebäudes vorzunehmen. Der Stundungszeitraum beträgt zehn Jahre, soweit der Erwerber die Steuer nur durch Veräußerung des zu Wohnzwecken genutzten Grundbesitzes aufbringen kann. Ein Rechtsanspruch auf Stundung besteht nicht, wenn der Erwerber die Steuer aus weiterem erworbenen Vermögen oder vorhandenen Vermögen aufbringen kann. Nach Satz 2 endet die Stundung bei Veräußerung, Übergang oder dauerhafter Aufgabe des zu Wohnzwecken genutzten Grundbesitzes. Eine Aufgabe der Wohnnutzung ist bei einem Leerstand von mehr als zwölf Monaten zu vermuten. Ferner erfolgt die Stundung bei Erwerben von Todes wegen zinslos (Satz 3). Gemäß Satz 5 kann die Stundung bei in einem Drittstaat belegenen Grundbesitz nur gewährt werden, wenn wiederum ein Informationsaustausch mit diesem Drittstaat sowie die Möglichkeit der Beitreibung entsprechender steuerlicher Forderungen sichergestellt sind.
Stellungnahme
Mit der Übernahme höchstrichterlicher Feststellungen wird eine konsequente Fortentwicklung der Kapitalverkehrsfreiheit sichergestellt. Zugleich wird die Steuergerechtigkeit durch einen angemessenen Informationsaustausch gewahrt. Zudem entspricht eine Ausweitung der Stundungsmöglichkeit auf jeglichen Grundbesitz, der gegebenenfalls auch nur anteilig Wohnzwecken dient, den Anforderungen an ein modernes Steuerrecht.
MEHR DAZU
Lernvideo (Vortrag) „Erbschaft- und Schenkungsteuer: Gestaltung bei Immobilien und Betriebsvermögen“
Lernvideo (Vortrag) „Erbschaft- und Schenkungsteuer: Bewertung von Immobilien und Betriebsvermögen (Module 1–2)“