Versorgungskonzepte - 28. Oktober 2021

Garantiezins im Sinkflug

Die Reduzierung des Garantiezinses Anfang des Jahres 2022 wird sich zwangsläufig auf die unterschiedlichen Bereiche der betrieblichen Altersversorgung auswirken. Für Arbeitgeber ergibt sich daher die Notwendigkeit, die bisherigen Zusagen neu zu beurteilen.

Mit Veröffentlichung der Änderung des maßgeblichen Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) im Bundes­gesetzblatt am 27. April 2021 war es amtlich. Die beschlos­sene Senkung des Höchstrechnungszinses – auch Garantie­zins genannt – zum 1. Januar 2022 von aktuell 0,9 Prozent auf dann nur noch 0,25 Prozent sowie die daraus resultierenden mathematischen Verwerfungen werden deutliche Auswirkun­gen auf alle Zusagearten der betrieblichen Altersversorgung (bAV) und auf Riester haben. Betroffen ist die gesamte Versiche­rungswirtschaft im Rahmen von Direktversicherungen, Pensions­kassen, Pensionsfonds und jeglicher Art von Riester-Verträgen.

Beitragszusage mit Mindestleistung

Für die weiteren Ausführungen ist damit entscheidend, wel­che Position die Betrachterin beziehungsweise der Betrachter hinsichtlich des Sinns oder Unsinns von garantierten Leistun­gen generell bezieht. Hier gibt es viele, die schon seit Langem für eine Absenkung garantierter Leistungen werben, um die Möglichkeiten in der Kapitalanlage freier gestalten und somit die potenzielle Rendite steigern zu können. Die Gegenseite vertritt die Ansicht, dass der deutsche Markt, der seit jeher auf Garantieversprechen sehr viel Wert gelegt hat, für diese Art der Betrachtung noch nicht reif sei. Vor allem in der bAV aber müssen hier neben den persönlichen Präferenzen auch die ar­beitsrechtlichen Verpflichtungen der Arbeitgeber in die Be­trachtung zwingend mit einfließen. Im Speziellen geht es um die Zusageart der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG). Diese hat den Vorteil, dass für den Arbeitgeber die Anpas­sungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG entfällt, aber der Versorgungsberechtigte den Rechtsanspruch auf die Garantie der Summe der eingezahlten Beiträge hat, abzüglich für bio­metrische Risiken verbrauchter Anteile. Eben das stellt die Versicherungswirtschaft nun aber vor massive Probleme. Auf die sonstigen arbeitsrechtlichen Unterschiede zwischen der BZML und der beitragsorientierten Leistungszusage (boLZ) wird hier mangels Relevanz für die Auswirkungen der Garan­tiezinssenkung nicht eingegangen.

Negative Effekte in der bAV

Wie bereits erläutert, gelten die eingezahlten Beiträge abzüglich eventuell verbrauchter Risikoanteile für biometri­sche Risiken als Untergrenze der vom Arbeitgeber geschulde­ten Leistungen. Diese Anforderung muss jede Versicherungs­gesellschaft bei der Tarifkalkulation einer Direktversicherung oder Pensionskasse einkalkulieren und garantieren. Anderen­falls wäre der Arbeitgeber ab Vertragsbeginn aufgrund der Differenz zwischen arbeitsrechtlicher Zusage, die mit einer bAV unweigerlich verbunden ist, und der durch den Versor­gungsträger geringeren garantierten Leistung in einer Nach­schusspflicht. Diese kommt zum Tragen, wenn die arbeits­rechtliche Zusage nicht erreicht wird, und realisiert sich mit allen zugehörigen Folgen im Leistungszeitpunkt. Zu den für Arbeitgeber unschönen Folgen zählen hier neben dem Liquidi­tätsabfluss auch Auswirkungen auf die Bilanz mittels verpflich­tender Rückstellungen für Pensionen und den zugehörigen jährlichen Gutachten und PSV-Beiträgen. Alles Dinge, die dem Arbeitgeber keine Freude bereiten.

Informationsdefizite

Bislang war es für die meisten Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen nach ordentlichen versicherungsmathe­matischen Grundsätzen möglich, trotz der Niedrigzinsphase und einem Höchstrechnungszins von 0,9 Prozent die einge­zahlten Beiträge im Rahmen der BZML zu garantieren. Dies ist auch einer der Gründe, warum sich große Marktteilnehmer wie die MetallRente oder der Allianz Pensionsfonds dazu ent­schieden hatten, ab 2021 nur noch die Zusageart BZML in ih­ren neu abgeschlossenen Versorgungsverträgen anzubieten. Damit waren Arbeitgeber bei bestehenden Gruppen- oder Rahmenverträgen dazu gezwungen, diese Zusageart zu akzep­tieren. Vielfach ist es in der Praxis sogar dazu gekommen, dass Arbeitgeber gar nicht informiert waren, dass sich die Zu­sageart gegenüber den bestehenden Versorgungsverträgen geändert hat. Gänzlich uninformiert waren viele Arbeitgeber auch über die tatsächlichen arbeitsrechtlichen Folgen daraus – leider ein gängiges Phänomen in der bAV.

Änderungen bei Beitragszusagen

Das nun aus der Reduzierung des Höchstrechnungszinses re­sultierende Problem besteht in der mathematischen Erfüllbar­keit der gesetzlichen Anforderungen der BZML durch die Ver­sicherungsgesellschaften. Diese können, Stand heute, mit den ab 2022 geltenden Rechnungsgrundlagen bei den üblichen durchlaufenden Garantien nicht mehr die Summe der einge­zahlten Beiträge garantieren. Die Versicherungsgesellschaft muss mathematisch zu jedem Zeitpunkt nachweisen können, dass die abgegebene Garantie erfüllt wird. Da die durch­schnittlichen Kosten des Versicherungsvertrags (Abschluss- und Verwaltungskosten) höher sind als 0,25 Prozent, ist es so aufgrund der Reduzierung des erlaubten Garantiezinses auf 0,25 Prozent rechnerisch nicht mehr darstellbar, dass zum Ab­lauf mindestens die eingezahlten Beiträge garantiert werden können. Es stellt sich das Problem, dass die Versicherer nur noch mit 0,25 Prozent Garantiezins kalkulieren dürfen, aber aufgrund der arbeitsrechtlichen Grundlagen der Zusage durch das BetrAVG mindestens die Summe der eingezahlten Beiträ­ge garantieren müssen. Sofern die gesetzlichen Anforderun­gen nicht kurzfristig noch angepasst werden, bedeutet dies das Ende der BZML. Erste Versicherer, etwa die HDI Gerling Lebensversicherung AG, bieten ab 2022 keine Beitragszusage mit Mindestleistung mehr an. Vor allem für Versicherer, die sich erst kürzlich für die Gestaltung der eigenen bAV-Produkte nur noch über die BZML entschieden haben, wie zum Beispiel die MetallRente, eine gelinde gesagt ungünstige Entwicklung. Der

Gesetzgeber ist gefordert

Da sich an der Situation des Höchstrechnungszinses in den kommenden Jahren voraussichtlich wenig ändern wird, bleibt nur der Eingriff des Gesetzgebers durch Anpassung der ge­setzlichen Vorgabe, sodass die Gestaltung mittels BZML noch möglich wäre. In Betracht kommt zunächst die kurzfristige Änderung der gesetzlichen Grundlagen im BetrAVG (§ 1Abs. 2 Nr. 2) mit einer Absenkung der gesetzlich definierten Mindestleistung der eingezahlten Beiträge. Denkbar wäre hier ein Niveau von 70 bis 90 Prozent der gezahlten Beiträge. In Anbetracht der gesamtpolitischen Lage und der diesjähri­gen Bundestagswahl gilt diese Möglichkeit allerdings als rela­tiv unwahrscheinlich. Die Auswirkungen sind vermutlich nicht gravierend genug, als dass sich die Gesetzgebung innerhalb der sehr kurzen Zeit ab der konstituierten Regierung nach der Bundestagswahl bis zum Jahreswechsel noch mit dem Thema befassen wird. Al­ternativ wäre eine Reduzierung der Kos­ten- und Provisionsanteile innerhalb der Versicherungsverträge denkbar. In die­sem Kontext ist es wichtig, zu wissen, dass die 0,25 Prozent Garantiezins ma­thematisch nur auf den tatsächlichen Sparanteil in einem Vertrag berechnet werden dürfen. Somit fallen aus den ge­zahlten Beiträgen die Abzüge für laufen­de Verwaltung und Abschlussprovision heraus, bevor der Garantiezins darauf angewendet werden kann. Dies führt zu dem Gedanken, dass mit deutlich redu­zierten Kosten, vor allem im Bereich der Abschlusskosten, un­ter Umständen rechnerisch die eingezahlten Beiträge noch garantiert werden könnten. Inwiefern die anstehende Redu­zierung des Garantiezinses auch auf die zweite Zusageart, die boLZ (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG), eine direkte Auswirkung hat, diskutieren die Experten. Bei der boLZ gibt es das gute Argu­ment, dass nicht die eingezahlten Beiträge maßgeblich für die im Minimum arbeitsrechtlich geschuldete Leistung sind. Viel­mehr gilt hier der tatsächliche Vertragswert, ermittelt aus den gezahlten Beiträgen und der daraus gegebenen Garantie, wenn diese auf ordentlichen versicherungsmathematischen Grundsätzen beruht. Somit wäre hier die Unterschreitung des 100-Prozent-Niveaus der eingezahlten Beiträge unproblema­tisch. Dafür spricht, dass sehr viele auch große Versiche­rungshäuser die boLZ auch aktuell schon mit Garantien unter der Summe der eingezahlten Beiträge anbieten. Allerdings gibt es auch hier kritische Stimmen, die das als arbeitsrecht­lich nicht geklärt oder sogar als unzulässig bewerten. Eine höchstrichterliche Entscheidung dazu ist aktuell allerdings nicht in Sicht.

Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung bleiben den Ar­beitgebern jedoch nicht mehr viele Alternativen, wenn die BZML nicht mehr die geforderten Garantien erreicht, da es ju­ristisch völlig unstrittig ist, dass die eingezahlten Beiträge ge­schuldet sind. Nun gilt es aus Arbeitgebersicht also, sich auf die möglichen Folgen der beschriebenen Effekte vorzubereiten und die Zeit bis zum 1. Januar 2022 sinnvoll zu nutzen. Generell ist es aus Sicht der Arbeitgeber sinnvoll, sich intensiver mit den Vor- und Nachteilen der möglichen Zusagearten in der bAV zu beschäftigen, um eine fundierte und langfristige Entscheidung in Bezug auf das angebotene Versorgungskonzept zu treffen. Auch hinsichtlich bestehender Versorgungsordnungen oder Be­triebsvereinbarungen zur bAV ergibt sich ein erneuter Ände­rungsbedarf bis zum 1. Januar 2022. Neben der Zusageart muss auch der verpflichtende Arbeitgeberzuschuss zum gleichen Ter­min umgesetzt sein. Es ist somit aufgrund verschiedener Grün­de notwendig, sich noch 2021 umfassend mit dem Thema bAV zu beschäftigen. Diese Anforderungen sollten Arbeitgeber nutzen, um sich der generellen Ausgestaltung des Versorgungskonzepts und der damit ver­bundenen Risikominimierung anzunehmen. Hier empfiehlt es sich, nicht nur die Versi­cherungsgesellschaft oder deren Berater zu befragen, da diese gemäß eines 2020 gefäll­ten BAG-Urteils (Urteil vom 18.02.2020, 3 AZR 206/18) nicht für eine derartige Bera­tung haftbar zu machen sind. Sie müssen gemäß ihrer Rechtsstellung als Interessenvertreter des Produkt­gebers, hier der Versicherungsgesellschaft, handeln. Dieser Umstand ist völlig neutral zu bewerten, hat aber für Arbeitgeber Folgen, welche diesem detailliert bekannt sein sollten.

Ausblick

Folgerichtig ergibt sich für Arbeitgeber die Notwendigkeit, Garantiemodelle zu hinterfragen und die Auswirkungen auf die bAV zu beurteilen. Arbeitgeber sind gut beraten, sich re­gelmäßig mit den veränderten Rahmenbedingungen in der bAV zu beschäftigen und notwendige Anpassungen vorzuneh­men. Eine stetige Beobachtung des eigenen Versorgungskon­zepts ist somit unumgänglich.

Mehr dazu

Betriebliche Altersvorsorge: Arbeitgeber-Pflichtzuschuss zur Entgeltumwandlung ab dem 1. Januar 2022.

Weitere Informationen finden Sie im Hilfecenter in den Dokumenten:

Zum Autor

CC
Carsten Cornelsen

Geschäftsführer bei der Cornelsen & Collegen Management Consulting GmbH in Erlangen, Sachverständiger für betriebliche Versorgungswerke

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