Lebenslanges Lernen - 19. April 2018

Expedition Mount Wissen

In drei Bereichen müssen Steuer­be­rater, gleich welchen Alters, immer fit sein: aktuelles Fach­wissen, gesetz­liche Än­de­rungen und Pro­gramm­wissen. Mit der di­gi­talen Trans­for­ma­tion ist nun zu­sätz­liches Know-how gefragt. Wie können wir diese Info­flut während einer ver­län­ger­ten Lebens­arbeits­zeit be­herrschen?

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Wenn diese Redensart tatsächlich stimmen sollte, sind viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer bald aufgeschmissen. Denn unsere Lebens­erwartung steigt, und damit arbeiten wir auch länger.
Im Beruf zu bestehen, bedeutet heutzutage auch, immer wieder Neues zu lernen, sich weiter­zu­bilden und neue Projekte und Aufgaben zu übernehmen.
Das beschäftigt auch DATEV. Bereits 2012 wurde deshalb im Servicebereich ein Projektteam zusammengestellt, das die prognostizierte Altersstruktur im Jahr 2022 simulierte. Der Service muss sich ständig auf dem Laufenden halten. Die Mitarbeiter beantworten im Jahr zwei Millionen Kundenanfragen und müssen deshalb neben Programmwissen auch aktuelles Fachwissen und Informationen zu gesetzlichen Änderungen jederzeit parat haben. Das bedeutet für die Mitarbeiter ein mehrstündiges Lernpensum pro Woche, gleich wie alt.

Ein Berufsleben lang lernen – aber wie?

Die zentralen Fragen des Projekts 2022 drehten sich deshalb vor allem darum, wie sich das Älterwerden auf Leistungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Inno­va­tions­fähigkeit der Mitarbeiter auswirken wird und was Führungskräfte tun können, damit Mitarbeiter bis zur Rente motiviert bleiben und die steigenden Anforderungen an die Wissensarbeit bewältigen können.
Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation aus Stuttgart und der Handelshochschule Leipzig, denen vergleichbare Daten, Technologien und Trends aus anderen Firmen vorlagen. In regelmäßigen Workshops wurden Handlungsfelder wie Personalentwicklung und -bindung, Gesundheitsmanagement, Führung der Zukunft, neue Technologien, aber eben auch Wissenssicherung und -transfer bearbeitet.

Altes Eisen rostet nicht

In unserer Mitgliederzeitschrift, dem DATEV magazin, kehren wir selten das Innere von DATEV nach außen. Wir sind aber überzeugt, dass die Ergebnisse des Projekts 2022 auch für Kanzlei­inhaber und deren Mitarbeiter hilfreich sind. Im Interview berichten die beiden DATEV-Mitarbeiterinnen Vera Wolter und Michaela Müller, die das Projekt 2022 gesteuert haben, von ihren Erfahrungen und den Projektergebnissen des Handlungsfelds Wissenssicherung und Wissenstransfer.

DATEV magazin: Mit welchen Aspekten haben Sie sich denn beim Handlungsfeld Wissenssicherung und Wissenstransfer beschäftigt?

VERA WOLTER: Wir haben die Herausforderungen unter die Lupe genommen, die aufgrund des demografischen Wandels auf uns zukommen werden. Weniger Fachkräfte und im Schnitt ältere Mitarbeiter werden steigende Wissensmengen bewältigen müssen. Durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren werden wir auch viele langjährige Mitarbeiter mit einem großen Erfahrungsschatz in den Ruhestand verabschieden müssen – diese wertvollen Erfahrungen sollten vorher weitergegeben werden. Und natürlich sollten Führungskräfte und Mitarbeiter beim Thema neue Technologien auf dem aktuellen Stand sein.

MICHAELA MÜLLER: Eine der größten Ängste war, die Wissensaufnahme auf Dauer nicht mehr bewältigen zu können und den Kunden nicht richtig zu beraten.

Herausfordernde Aufgaben halten das Gehirn fit – auch weit über das Renteneintrittsalter hinaus.

Würden Sie denn nach Abschluss des Projekts die alte Redewendung bestätigen: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?

VERA WOLTER: Das hängt ganz vom Einzelnen ab. Der Gehirnforscher Prof. Manfred Spitzer hat sehr treffend formuliert, dass das Gehirn ein Muskel ist, den man trainieren kann. Das heißt, neben einem positiven, leistungsorientierten Arbeitsumfeld sollte sich jeder immer wieder neue Lernfelder suchen. Herausfordernde Aufgaben halten das Gehirn fit – auch weit über das Renteneintrittsalter hinaus.

Also ist die Annahme, dass ältere Menschen Neues schlechter oder langsamer lernen können, ein Vorurteil?

VERA WOLTER: Auf jeden Fall. Trotzdem werden wir immer mal wieder gefragt: „Frau Müller, Frau Wolter, was machen wir denn jetzt mit den älteren Mitarbeitern?“ Das ist die vollkommen falsche Frage, denn keine Altersgruppe ist unterschiedlicher als die über dem 45. Lebensjahr. Die Leis­tungs­fähigkeit und damit die Lernfähigkeit spreizt sich dann – bei einigen nimmt sie ab, bei einigen steigt sie weiter bis zum 80. Lebensjahr. In der Forschung spricht man davon, dass die größte kognitive Leis­tungs­fähig­keit zwischen 55 und 60 Jahren besteht.

MICHAELA MÜLLER: Deshalb darf man älteren Mitarbeitern nicht vermitteln, dass sie nicht mehr gefragt sind, sie deshalb keine interessanten Weiterbildungen bekommen und man ihnen kein Innovationsvermögen zutraut – das schadet ihrem Selbst­ver­trauen und senkt dadurch die Leistungsbereitschaft. Führungskräfte sollten alle Mitarbeiter im gleichen Maße fordern und fördern – egal ob jünger oder älter.

VERA WOLTER: Alter ist beispielsweise für die Innovations- und Leistungsfähigkeit nicht entscheidend, sondern die persönlichen Stärken, die Rahmenbedingungen des Arbeitsumfelds und das private Umfeld. Innovative Menschen bleiben auch im Alter innovativ. Das sieht man ja bei Künstlern – die hören nicht plötzlich auf, Ideen zu haben und kreativ zu sein, nur weil sie älter werden. Gleichzeitig wird aber auch ein Mensch, dessen Stärken im sicher­heits­orien­tier­ten Bereich liegen, mit den Jahren eher nicht vor neuen Ideen sprühen.

Das heißt, wenn das nächste Digitalisierungsprojekt ansteht, können Chefs auch ruhig mal die ältere Generation einbinden und nicht nur die 20- und 30-Jährigen, die man heute als Digital Natives bezeichnet?

VERA WOLTER: Genau. Tatsächlich war der einzige Unterschied, den wir im Projekt festgestellt haben, der, dass einige der älteren Mitarbeiter in Bezug auf die neuen Technologien noch Aufholbedarf haben.

MICHAELA MÜLLER: In einem Grundlagen-Workshop haben wir dann Smartphone-Funktionen, Apps und soziale Netzwerke vorgestellt, die 2012 up to date waren. Den Teilnehmern wurden damit die Berührungsängste genommen.

VERA WOLTER: Und sobald der Kenntnisstand ausgeglichen ist, sollten natürlich alle Interessierten an Digitalisierungsprojekten partizipieren können. Nach meinen Vorträgen höre ich von Teil­nehmern oft: „Ach, ich baue ja gar nicht ab!“ Wenn man aus der Übung ist, dauert vielleicht manches ein bisschen länger, das wird bei älteren Mitarbeitern jedoch durch Erfahrungswissen ausgeglichen. In der Summe sind die Älteren oder Erfahreneren genauso leistungs- und lernfähig wie die jüngere Generation.

Also richten sich auch die Lernkonzepte des Projekts an alle? Keine besonderen Maßnahmen für ältere Mitarbeiter?

MICHAELA MÜLLER: Nein, gar nicht. Wir haben während der zweijährigen Projekt­laufzeit ins­ge­samt sechs Maßnahmen zu Lernkonzepten und Wissens­ma­nage­ment getestet und bewertet. Wenn Mitarbeiter Präferenzen hatten, waren sie individuell und altersunabhängig.

Welche Lernangebote haben bei Ihren Mitarbeitern am besten abgeschnitten?

MICHAELA MÜLLER: Maßnahmen, bei denen die Mitarbeiter selbständig, in Ruhe und konzentriert lernen konnten. Das Projekt hat uns gezeigt, dass die Führung Mitarbeitern Handlungsspielräume geben muss. Einer der größten Stressfaktoren ist fehlende Selbstbestimmtheit, und nichts ist schlimmer für die Motivation, als sich im Arbeitsalltag gefangen zu fühlen. Deshalb haben wir die Zeiten, um sich Wissen anzueignen, flexibler gestaltet. Das heißt, der Mitarbeiter erhält den Spielraum, seine Lernzeiten in Abstimmung mit den Kollegen selbst festzulegen.

VERA WOLTER: Deshalb haben wir auch Lernangebote umgesetzt, die Flexibilität und Ruhe bieten. Der Lern(T)raum und der mobile Lern(T)raum sind aus derselben Idee entstanden: in Ruhe kon­zent­riert lernen. Wenn der Rest des Teams telefoniert, ist es schwer, im Büro zu lernen. Der Lern(T)raum ist deshalb tatsächlich ein Lernraum. Mit dem mobilen Lern(T)raum – einem Note­book – konnte im ganzen Haus gelernt werden, beispielsweise in der Cafeteria, und auch zu Hause war die Wissensaufnahme über einen Thin-Client-Stick möglich. Dieses Angebot haben wir LernTerminal getauft.

MICHAELA MÜLLER: Bei den Lerntandems saßen erfahrene Mitarbeiter mit weniger Erfahrenen zusammen, um ihr Know-how weiterzugeben. Das bietet sich besonders an, wenn ein Mitarbeiter in absehbarer Zeit in Rente geht, aber natürlich auch, wenn sich ein Mitarbeiter in ein neues Thema einarbeiten soll. Gemeinsam können Fragen beantwortet und Wissen vertieft werden. Auch diese Repetierzeit muss einkalkuliert werden. Nur weil ich an einer Schulung teilgenommen habe, heißt das nicht automatisch, dass ich alles Erfahrene anwenden kann, wenn ich wieder zurück im Büro bin.

Was ist Ihr Fazit nach Abschluss des Projekts 2022?

VERA WOLTER: Wir müssen weiterhin ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man mit 50 plus grundsätzlich – bei entsprechenden Rahmenbedingungen – bis zum Renteneintrittsalter und darüber hinaus über die volle Leistungsfähigkeit verfügt. Deshalb sollten Führungskräfte und Mitarbeiter über den Stand der Forschung informiert sein. Durch fordernde und fördernde Maßnahmen sowie individuelle Wertschätzung bleiben Menschen fit und motiviert. Ältere Mit­ar­beiter sollten deshalb nicht geschont werden, das heißt keine Projekte, Weiterbildungen oder interessanten Aufgaben bekommen – als Führungskraft sollte man mit dem Mitarbeiter besprechen, für welche Aufgaben er geeignet ist oder welche Weiterbildungen interessant wären.

MICHAELA MÜLLER: Auch mehr Handlungsspielräume und Verantwortung reduzieren Stress und motivieren, weiter dranzubleiben. Als Grundregel gilt, dass man älteren oder jüngeren Mitarbeitern keine Vorteile aufgrund ihres Alters gewähren sollte, beispielsweise zeitliche und örtliche Freiräume oder die Nutzung neuester Technik. Was vor allem wichtig ist: Wir sind nur gemeinsam ein Winning Team. Ältere Mitarbeiter haben Stärken wie Um­set­zungs­kompetenz und einen Überblick bei komplexen Sachverhalten. Jüngere Mitarbeiter haben mehr Know-how bei technischen Neuerungen. Außerdem können ihre höheren Erwartungen an den Arbeitgeber neue Freiräume zum Nutzen aller Mit­ar­beiter bewirken. Aber – ab wann ist man denn alt und bis wann ist man jung? Da gibt Ihnen jeder eine andere Antwort.

DIE GESPRÄCHSTEILNEHMER

Michaela Müller, DATEV eG, Teamservice Jahresabschluss

Vera Wolter, DATEV eG, Bereich Prozesse & zentrales DV-Management

MEHR DAZU

Michaela Müller, Vera Wolter: Führung im demografischen Wandel. In: CIO-Handbuch, Band 4 – Strategien für die digitale Transformation, hrsg. v. Michael Lang, Symposion Publishing, Düsseldorf 2016.

Seyfried, Brigitte (Hg.): Ältere Beschäftigte: Zu jung, um alt zu sein: Konzepte – Forschungsergebnisse – Instrumente, BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung, Bielefeld 2011.

Sie möchten Ihre Mitarbeiter – egal welchen Alters – auch fördern und weiterbilden? Lassen Sie sich beraten und verschaffen Sie sich einen Überblick über Weiter­bil­dungs­an­ge­bote unter www.datev.de/wissen

Weitere Informationen zur Mitarbeiterentwicklung finden Sie unter www.datev.de/mitarbeiterentwicklung

Zur Autorin

Julia Wieland

Redaktion DATEV magazin

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