Umsetzung der DAC6-Richtlinie - 20. Dezember 2019

Einstellungen verändern

Die Einführung einer Mitteilungspflicht von Steuergestaltungen wird nur dann Akzeptanz finden, wenn der Gesetzgeber insoweit transparente und rechtssichere Regelungen erlässt.

Wenn man sich mit der Einführung der Mitteilungspflicht von Steuergestaltungen (im Weiteren: Mitteilungspflicht) beschäftigt, tauchen immer wieder Fragen auf, wie etwa: „Warum brauchen wir überhaupt eine Mitteilungspflicht?“ oder: „Bietet nicht der effektive Einsatz bestehender Instrumente, beispielsweise einer zeitnahen Betriebsprüfung, deutlich mehr Potenzial?“ Die politische Diskussion darüber wird auf nationaler wie internationaler Ebene geführt und macht eine Beantwortung derartiger Fragen erforderlich.

Steigerung der Transparenz

Die Mitteilungspflicht ist nur ein Puzzlestück im Zusammenhang mit den Bemühungen der Länder, sich durch Transparenzsteigerung gegen Maßnahmen zur Gewinnverkürzung und -verlagerung im nationalen und internationalen Bereich zur Wehr zu setzen. Zur Sicherung der Staatsfinanzenmuss man akzeptieren, dass die Länder nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Denn nach Schätzungen der OECD führten bereits 2013 Gewinnverkürzungen und -verlagerungen weltweit allein bei der Körperschaftsteuer jährlich zu Steuerausfällen in Höhe dreistelliger Milliarden USDollar-Beträgen. Den Politikern wird es dabei auch nicht sonderlich schwer gemacht. Ein Blick in die Berichterstattung
der deutschen Presse verdeutlicht dies: „Goldfinger-Methode kostet den Staat Milliarden“ (Handelsblatt vom 12.02.2018), „Cum-Cum-Geschäfte – Steuertricks der Banken empören die Politik“ (Handelsblatt vom 3.05.2016) sowie „Steuervermeidung – Die Tricks der Superreichen und Konzerne“ (Der Spiegel vom 21.05.2013). Womöglich hat aber die Veröffentlichung der sogenannten Panama-Papers 2016 sprichwörtlich das Fass zum Überlaufen gebracht, denn seit deren Veröffentlichung beschleunigte sich die politische Diskussion um die Steigerung der Transparenz im Steuerrecht gerade unter dem Gesichtspunkt der Einführung einer Mitteilungspflicht enorm. Diese geht in Deutschland schon bis 2007 zurück, wird also inzwischen bereits seit zwölf Jahren geführt.

Steuervermeidungspraktiken bekämpfen

Die seinerzeit unter anderem in Großbritannien bereits eingeführten Regelungen veranlassten die Länder dazu, im Zuge des Jahressteuergesetzes (JStG) 2008 erstmalig auch einen gesetzgeberischen Vorstoß in Deutschland zu tätigen. Dieser scheiterte – nicht zuletzt aufgrund des massiven Widerstands seitens der Verbände sowie der Rechtswissenschaft – jedoch noch im Bundesrat selbst. Weitere Initiativen durch die Bundestagsfraktionen DIE LINKE 2008 sowie von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2011 führten ebenfalls nicht zum Erfolg. Erneut in den Fokus der Politik trat das Thema durch die Aufnahme des Handlungsfelds Anzeige- und Offenlegungspflichten für Steuerplanungsmodelle in das 2013
gestartete OECD/G20-Projekt BEPS (Base Erosion and Profit Shifting). Das verwunderte nicht, denn allein in Großbritannien kam es nach Darstellung des HM Revenue & Customs zwischen 2004 und 2013 nach der Implementierung einer entsprechenden Verpflichtung zu 93 Gesetzesänderungen zur Vermeidung von Steuerausfällen. Auch wenn der BEPSAbschlussbericht aus dem Jahr 2015 keine verpflichtende Maßnahme, sondern lediglich eine Empfehlung zur Einführung einer Mitteilungspflicht aussprach, fasste der Bundesrat unter dem Einfluss dieser internationalen Diskussion bereits 2014 den Entschluss, mit dem er die Einführung einer europaweiten Anzeige- und Registrierungspflicht von internationalen Steuergestaltungen forderte (BR-Drs. 205/14[B]). Diese Forderung wiederholte und verstärkte der Bundesrat 2017, indem er forderte, eine gesetzliche Mitteilungspflicht so rasch wie möglich zum Abschluss zu bringen, da sie einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (BR-Drs. 365/17[B]) leiste.

Die Zeit läuft

Die Europäische Union nahm die Empfehlung aus dem BEPS-Projekt auf und hat mit Zustimmung Deutschlands zur DAC6-Richtlinie (RL[EU]2017/822 vom 25.05.2018) die Entscheidung zur Einführung einer Mitteilungspflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen für alle EU-Mitgliedstaaten getroffen. Die Umsetzung in nationales Recht hat bis zum 31. Dezember 2019 zu erfolgen und tritt am 1. Juli 2020 in Kraft. Allerdings sind die zur Anzeige verpflichteten Personen (Intermediäre und relevante Steuerpflichtige) verpflichtet, die von der Richtlinie erfassten Steuergestaltungen bereits rückwirkend zum Inkrafttreten ab dem 25. Juni 2019 bis zum 31. August 2020 nachzumelden.

Zur Sicherung der Staatsfinanzen muss man akzeptieren, dass die Länder nach Lösungsmöglichkeiten suchen.

Die Kritik reißt nicht ab

Auch wenn die politische Diskussion durch die Verabschiedung der DAC6-Richtlinie für grenzüberschreitende Sachverhalte in Deutschland dem Grunde nach entschieden ist, reißt die Kritik nicht ab. Diese bezieht sich auf die Art und Weise der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht selbst, zum anderen auf die von einigen Ländern geforderte sowie im Raum stehende Erweiterung der Mitteilungspflicht auf innerstaatliche Sachverhalte. Deren Verpflichtung ergibt sich nicht aus der Richtlinie selbst; vielmehr wird es den Mitgliedstaaten freigestellt, weitere Mitteilungspflichten vergleichbarer Art zu erlassen. Weiterhin offen ist, ob Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird und – wie Polen – auch eine Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen einführt. Das von der Bundesregierung zur Umsetzung der DAC6-Richtlinie initiierte Gesetzgebungsverfahren (BR-Drs. 489/19) beschränkt sich zunächst auf grenzüberschreitende Sachverhalte. Dies verwundert hinsichtlich der auf die Ausweitung der Mitteilungspflicht auf innerstaatliche Sachverhalte konzentrierten Kritik aus der Wirtschaft nicht, zumal sie auch politisch sowohl auf Bundes- wie auch auf Länderebene nicht unumstritten ist. Zumindest ein Zurückstellen der Ausweitung ist insoweit nachvollziehbar.

Rechtfertigung der Gesetzesinitiative

Ein erster Ansatzpunkt für Rechtfertigungsgründe lässt sich schon aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten. Dazu gehört auch die Gewährleistung von Steuergerechtigkeit, die sich nur durch ein effizientes Steuersystem erreichen lässt, das eine am Leistungsprinzip ausgerichtete Einkommens- und Vermögensverteilung innerhalb der Gesellschaft sicherstellt. Steuergerechtigkeit kann mithin auch mit den Worten einer fairen Besteuerung umschrieben werden. Eine solche setzt voraus, dass gesetzgeberische Prinzipien von den Steuerpflichtigen beachtet werden, Steuergesetze also nur so angewandt werden, wie es der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers entspricht. Mit einer Mitteilungspflicht werden zwar legale, jedoch der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers nicht entsprechende Gestaltungen früher als bisher bekannt. Der Gesetzgeber kann dadurch zeitnah reagieren. Denn Steuergestaltungen werden im Verwaltungsvollzug derzeit regelmäßig erst im Rahmen einer dem Veranlagungsverfahren nachgelagerten Außenprüfung offenkundig.

Insoweit kann auch die in § 4a Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) bereits normierte zeitnahe Betriebsprüfung nicht als Lösungsmöglichkeit ausreichen, denn auch sie setzt zeitverzögert an, indem sie das Vorliegen einer Steuererklärung nach § 150 Abgabenordnung (AO) voraussetzt.

Präventivmaßnahmen statt Hausmittel

Aufgedeckten Steuergestaltungen begegnet die Verwaltung regelmäßig mit Hausmitteln, das heißt der Auslegung der betroffenen Normen oder dem § 42 AO. Eine gesetzgeberische Maßnahme wird dabei nicht zuletzt wegen des grundsätzlichen Verbots der rückwirkenden Einführung belastender Gesetzesänderungen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17.12.2013 – BvL 5/08) bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zurückgestellt. Als Beispiel aus der Praxis kann hier das Goldfinger-Modell genannt werden. Der vom BFH 2017 entschiedene Fall betraf die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2008. Aufgedeckt wurde die Steuergestaltung im Rahmen einer 2011 beim Steuerpflichtigen durchgeführten Außenprüfung. Zwischen der erstmaligen Nutzung der Gestaltung und der Entscheidung des BFH lagen mithin elf Jahre. Auch unter Berücksichtigung der 2013 erfolgten Reaktion des Gesetzgebers durch die Änderung des § 15b Einkommensteuergesetz (EStG) konnte diese Steuergestaltung acht Jahre lang genutzt werden, mit nicht unerheblichen Auswirkungen auf den Staatshaushalt. Die nach der DAC6-Richtlinie vorgesehene Mitteilungspflicht soll demgegenüber präventiv schon im Zeitpunkt des Vermarktens beziehungsweise der Bereitstellung zur Nutzung ansetzen. Die Anzeige schließt die Nutzung der Steuergestaltung zwar nicht aus, die frühzeitigere Reaktionsmöglichkeit verhindert aber gegebenenfalls eine extensive Nutzung in der Folgezeit. Strukturelle Erhebungsdefizite können so minimiert werden. Zudem werden die eingesetzten Strukturen immer ausgefeilter. Die sich mehr und mehr digitalisierende Wirtschaft führt zu einer höheren Mobilität von Funktionen, Kapital und Personen, die im Rahmen von Steuergestaltungen bewusst ausgenutzt wird. Für den Gesetzgeber wird es also immer schwerer, seine Steuerbemessungsgrundlagen gegen Aushöhlungen zu schützen. Für eine faire Besteuerung ist es erforderlich, eine größtmögliche Transparenz zwischen den Steuerpflichtigen und den Steuerbehörden über steuererhebliche Tatsachen herzustellen.

Gesetzeslücken schließen

Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es die primäre Aufgabe des Gesetzgebers selbst ist, ungewollte Gesetzeslücken zu entdecken und gegebenenfalls zu schließen. Dieses Prinzip wird durch eine Mitteilungspflicht meines Erachtens nicht per se unterlaufen, denn sie dient in erster Linie einer Informationsbeschaffung, die es dem Gesetzgeber überhaupt erst ermöglichen soll, eine Prüfung durchführen zu können. Dennoch ist dieses Prinzip bei der gesetzgeberischen Umsetzung auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beachten. Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die rechtspolitische Funktion der Mitteilungspflicht stark im Fokus steht und die von der DAC6-Richtlinie daneben verfolgte Abschreckungsfunktion allenfalls eine Folge davon sein kann. Denn aus dem international geltenden Nemo-tenetur-Grundsatz folgt, dass die Mitteilungspflicht allein legale Steuergestaltungen erfassen kann. Insoweit ist die von der Richtlinie vorgesehene veranlagungsunterstützende Funktion meines Erachtens nicht zwingend, von der EU aber entsprechend vorgegeben.

Fazit

Letztlich ist der politische Wille zur Einführung einer Mitteilungspflicht nachvollziehbar. Er ist auch auf das Ausreizen von Möglichkeiten zurückzuführen, die sich aus dem geltenden Steuerrecht für Personen ergeben, die in der DAC6- Richtlinie als Intermediäre und relevante Steuerpflichtige bezeichnet werden und Steueroptimierungen vornehmen.
Gleichwohl wird die Umsetzung alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen stellen. Bei Anwendung der gesetzlichen Regelungen muss daher vorderstes Ziel sein, für alle Seiten praxisgerechte und administrierbare Maßnahmen zu schaffen. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Planungen wird dies ohne Verwaltungsanweisungen kaum realisierbar sein. Hier lohnt sich ein Blick nach Großbritannien: Die dortigen Leitlinien zu den Disclosure of Tax Avoidance Schemes umfassen nach seinem letzten Update vom 20. April 2018 bereits 187 Seiten.

Zum Autor

IS
Ingmar Schulz

Leiter des Referats für Körperschaft-, Gewerbe- sowie Umwandlungssteuer, Gemeinnützigkeit und internationales Steuerrecht im Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein. Den voranstehenden Artikel hat er nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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