IDW Standard 11 - 19. Dezember 2019

Die Liquidität im Fokus

Unternehmer sollten in Krisensituationen die Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzeröffnungsgrund stets auf dem Radar haben. Ein IDW-Standard und fachkundige Berater können hier unterstützen, um potenzielle Pflichtverletzungen zu vermeiden.

Der gesetzliche Vertreter eines Unternehmens sieht sich in Krisenzeiten mit besonderen Pflichten hinsichtlich einer Überprüfung der Zahlungsfähigkeit seiner Firma sowie einer möglichen Insolvenzantragstellung konfrontiert. Nach der Rechtsprechung muss er sich stets über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens informieren. Eine verspätete beziehungsweise unterlassene Insolvenzantragstellung kann für den gesetzlichen Vertreter zu strafrechtlichen Konsequenzen mit persönlicher Haftung führen – etwa nach § 64 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG). Gemäß § 15a Insolvenzordnung (InsO) hat der gesetzliche Vertreter im Falle einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt eines derartigen finanziellen Status, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, sofern die Insolvenzantragsgründe nicht nachhaltig beseitigt werden können. In der Praxis ist bei Liquiditätsengpässen der Übergang von einer Zahlungsstockung zur Zahlungsunfähigkeit und damit der Eintritt der Antragspflicht oft schwer zu erkennen, was den gesetzlichen Vertreter vor große Herausforderungen stellt. Mit dem IDW-Standard 11 (IDW S 11) kann jedoch das Vorliegen von Insolvenzgründen unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung beurteilt werden.

Insolvenzgründe

Die Insolvenzordnung nennt die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO, Insolvenzantragspflicht), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO, Insolvenzantragsrecht) sowie die Überschuldung bei negativer Fortbestehensprognose (§ 19 InsO, Insolvenzantragspflicht) als Eröffnungsgründe für ein Insolvenzverfahren. Die Eröffnung des Verfahrens ist gemäß § 15a InsO unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, zu beantragen. Dem gesetzlichen Vertreter wird hierfür eine Maximalfrist von drei Wochen eingeräumt, sofern Maßnahmen zur Beseitigung der Insolvenzantragsgründe eingeleitet sind oder werden und deren Erfolg als überwiegend wahrscheinlich bewertet werden kann.

Überprüfung der Zahlungsfähigkeit

Ein Unternehmen ist gemäß § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen mit seinen zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln zu erfüllen. Von einer Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel auszugehen, wenn das Unternehmen seine Zahlungen eingestellt hat. Eine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn das Unternehmen aufgrund eines Mangels an freien, zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln aufhört, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen und dies für die beteiligten Verkehrskreise hinreichend erkennbar geworden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04) ist darüber hinaus auch dann eine Zahlungsunfähigkeit gegeben, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen innerhalb eines absehbaren Zeitraums zu begleichen.

Methode zur Beurteilung und Abgrenzung

Zur Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung muss zunächst ein stichtagsbezogener Finanzstatus (Stufe 1) und im Anschluss, abhängig vom Ergebnis, eine zeitraumbezogene Finanzplanung (Stufe 2) erstellt werden. Ergibt der stichtagsbezogene Finanzstatus, dass das Unternehmen seine fälligen Zahlungsverpflichtungen erfüllen kann, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Auf die Erstellung einer Finanz- und Liquiditätsplanung kann in diesem Fall verzichtet werden. Das befreit das Unternehmen – solange die Krise nicht endgültig überwunden ist – jedoch nicht davon, die Liquiditätsentwicklung weiterhin kritisch zu verfolgen, um gegebenenfalls erneut mittels eines Finanzstatus sowie einer ergänzenden Finanz- und Liquiditätsplanung Sicherheit über die Zahlungsfähigkeit zu erlangen. Zur Ableitung der stichtagsbezogenen Zahlungsfähigkeit wird der Finanzstatus des Unternehmens analysiert. Dabei werden die zur Verfügung stehenden liquiden Finanzmittel des Unternehmens (Banksalden und Kasse) sowie die frei verfügbaren Mittel aus einer Betriebsmittellinie (soweit vorhanden) und die fälligen Verbindlichkeiten (Kreditoren, Rechnungseingangsbuch, sonstige Verbindlichkeiten) erfasst und einander gegenübergestellt. Ergibt sich aus dem Finanzstatus eine Liquiditätslücke, ist dieser durch die Darstellung der realistisch zu erwartenden Ein- und Auszahlungen in einer ausreichend detaillierten Finanz- und Liquiditätsplanung fortzuschreiben. Keine Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn das Unternehmen seine Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen vollständig schließen kann. Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des Dreiwochenzeitraums, den der BGH für die Beseitigung der Liquiditätslücke zubilligt, weniger als zehn Prozent der fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig zunächst von einer Zahlungsstockung auszugehen. Dennoch ist in diesen Fällen eine detaillierte Finanz- und Liquiditätsplanung zu erstellen, aus der sich die Weiterentwicklung der Liquiditätslücke ergibt. Es liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn eine Liquiditätslücke unter zehn Prozent voraussichtlich dauerhaft gegeben ist. Zeigt sich, dass die Liquiditätslücke im Betrachtungszeitraum demnächst mehr als zehn Prozent betragen wird, liegt ebenfalls Zahlungsunfähigkeit vor. Beträgt die Liquiditätslücke am Ende des Dreiwochenzeitraums zehn Prozent der fälligen Gesamtverbindlichkeiten oder mehr, ist nach der BGHRechtsprechung regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Dies ist ausnahmsweise nicht der Fall, sofern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke in einem überschaubaren Zeitraum geschlossen werden kann und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbar ist. Dieser Zeitraum, der sich an das Ende der Dreiwochenfrist anschließt, kann in Ausnahmefällen drei bis längstens sechs Monate betragen.

Finanzstatus erstellen

Bei der Erstellung des Finanzstatus ergeben sich in der Praxis regelmäßig große Herausforderungen, um die stichtagsbezogene finanzielle Situation korrekt abbilden zu können. Zum einen ist eine Grundvoraussetzung, dass die herangezogenen Datensätze zur Erstellung eines Finanzstatus miteinander abgestimmt sind und den gleichen Betrachtungszeitpunkt beziehungsweise Aufsatzpunkt darstellen. Ist das nicht der Fall, werden Verbindlichkeiten möglicherweise doppelt (Kreditor ist in der Kreditorenliste und im Rechnungseingangsbuch enthalten) beziehungsweise gar nicht berücksichtigt (Kreditor wurde aus Rechnungseingangsbuch ausgetragen, aber noch nicht verbucht), wodurch der Status fehlerhaft wird. In der Praxis kommt es öfter vor, dass bereits bezahlte Kreditoren nicht ausgebucht sind, sondern die Zahlungen als debitorische Kreditoren auch weiterhin in den Listen erscheinen. Darüber hinaus sollten die Fälligkeiten der Kreditoren, die in den Finanzstatus einbezogen sind, stichprobenartig überprüft und Verrechnungsmöglichkeiten auf Einzelkreditorenebene (Stichwort debitorische Kreditoren) berücksichtigt werden, sofern eine gesetzliche Aufrechnungslage gegeben ist. Ebenso sind gegebenenfalls kreditorische Debitoren im Finanzstatus zu berücksichtigen.

Finanz- und Liquiditätsplanung

Das Erstellen einer Finanz- und Liquiditätsplanung über drei Wochen lässt sich in zwei wesentliche Teile untergliedern. Der erste Teil spiegelt die Fortschreibung der erhobenen Istdaten wider. Aufsatzpunkt ist die verfügbare Liquidität zum Stichtag. Debitoren und Kreditoren sowie sonstige, bereits bekannte Verbindlichkeiten und Forderungen werden gemäß den jeweiligen Fälligkeiten in Form von Ein- und Auszahlungen auf Tagesbasis abgebildet. Dieser Teil stellt somit die Liquiditätsentwicklungen auf der Basis von bekannten Istdaten ohne die Berücksichtigung von Planwerten aus der erwarteten zukünftigen Geschäftsentwicklung dar. Im zweiten Teil wird die erwartete zukünftige Entwicklung des laufenden Geschäftsbetriebs abgebildet. Sämtliche erwarteten Ein- und Auszahlungen, etwa aus Umsatzerlösen, Personalaufwendungen, sonstigen Aufwendungen, Finanzergebnis und so weiter, die im Planungszeitraum entstehen und fällig sind, werden ebenfalls in der Finanz- und Liquiditätsplanung entsprechend den erwarteten Fälligkeiten abgebildet und vervollständigen das Bild der Liquiditätsentwicklung. Es ist sinnvoll, die Liquiditätsplanung auf der Tagesbasis vorzunehmen, was je nach Geschäftsmodell komplex sein kann. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass die in der Finanz- und Liquiditätsplanung enthaltenen Annahmen realistisch und nachvollziehbar sind und vollständig in die Dokumentation einfließen.

Fazit

Befindet sich das Unternehmen bereits in einer Krise mit angespannter Liquiditätslage, so ist eine sachgerechte und frühzeitige Beurteilung des Vorliegens von möglichen Insolvenzantragsgründen notwendig. Für den gesetzlichen Vertreter ist es ratsam, sich einschlägig insolvenzrechtlich beraten zu lassen, um mögliche Pflichtverletzungen zu vermeiden. Eine plausible und kontinuierliche Dokumentation des regelmäßig erstellten Finanzstatus sowie der Finanz- und Liquiditätsplanungen kann darüber hinaus für den gesetzlichen Vertreter als Nachweis dienen, dass er seinen Pflichten zur ständigen Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens nachgekommen ist.

MEHR DAZU

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Literatur und Seminare

Fachseminar Haftungsfalle Jahresabschluss – Die Zeichen erkennen: vorbeugen statt haften, Art.-Nr. 78141
Fachseminar „Handelsrechtliche Fortführungsprognose – Krisensituationen erkennen und Mandanten gut beraten, Art.-Nr. 78049
Kompaktwissen für GmbH-Berater Schuldenmanagement der GmbH, 2. Auflage, Art.-Nr. 35334
Fachbuch für Mandanten Ganzheitliches Forderungsmanagement
im Unternehmen, Art.-Nr. 36038
Fachbuch für Mandanten Der richtige Umgang mit Banken, Art.-Nr. 35571
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Zu den Autoren

PA
Philipp Ant M. Sc.

Senior Manager bei der anchor Management GmbH in Düsseldorf, die mit elf Standorten spezialisiert ist auf Interim Management in Sonder-, Krisen- und Insolvenzsituationen (CRO, CEO und CFO), Eigenverwaltung, die Erstellung von insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognosen und Restrukturierungskonzepten mit der operativen Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen

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Christian Gerber

Diplom-Ökonom, Wirtschaftsprüfer und Chartered Financial Analyst (CFA), ist Partner der Atroni GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die mit Standorten in Düsseldorf und Duisburg auf die Begleitung von M&A-Transaktionen und Durchführung von Unternehmensbewertungen spezialisiert ist. Er betreut insbesondere mittelständische Mandanten, (Finanz-)Investoren und deren Beteiligungsunternehmen bei Unternehmensbewertungen, der Vorbereitung und Durchführung von Transaktionen (M&A) und Bilanzierungsfragen bundesweit.

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