Attacken aus Brüssel - 22. Dezember 2021

Die deutsche Position behaupten

Die europäische Gesetzgebung hat seit einigen Jahren auch Auswirkungen auf die deutsche Steuerberatung. Nachdem zuletzt auch die Vorbehaltsaufgaben in den Fokus rückten, haben Kammer und Verband ihre Kräfte nun als German Tax Advisers gebündelt.

Die Gesetzgebung der Europäischen Union nimmt seit vielen Jahren zunehmend Einfluss auf die tägliche Arbeit der Steuerberaterinnen und Steuerberater. Den Anfang bildeten das Inkrafttreten der Berufsqualifikationsrichtlinie im Jahr 2005 sowie der Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2006. Später folgten das umstrittene Dienstleistungspaket, ein Verfahren wegen unserer Mindestgebühren, Infragestellungen der beruflichen Selbstverwaltung, Angriffe auf die Verschwiegenheitspflicht und – last, but not least – die Anzeigepflichten, bei denen der deutsche Gesetzgeber fast noch weiter gegangen wäre als die EU. In den letzten Jahren sind nun die Vorbehaltsaufgaben in den Vordergrund gerückt – sie sind der EU-Kommission ein Dorn im Auge. Grund genug, die Sachlage einmal ausführlich darzulegen.

Worum geht es?

Im Jahr 2018 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Vorbehaltsaufgaben der deutschen Steuerberater ein. Sie behauptet, die Regelung zu den Vorbehaltsaufgaben sei wegen der Vielzahl der Ausnahmen in § 4 Steuerberatungsgesetz (StBerG), wie etwa für die Lohnsteuerhilfevereine und Banken, inkohärent und daher unverhältnismäßig. Die EU-Kommission stört sich daran, dass diese Personen zur Steuerberatung befugt seien, aber über keine berufsrechtliche Zulassung und keine mit dem Steuerberater vergleichbare Qualifikation verfügten. Daraus zieht sie den Schluss, dass das System der Vorbehaltsaufgaben in Gänze infrage zu stellen sei. Dieser Rückschluss kann nur als unzutreffend zurückgewiesen werden. Denn § 4 StBerG stellt ja gerade sicher, dass die Hilfeleistung in Steuersachen nicht nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip exklusiv und ausnahmslos nur Steuerberatern vorbehalten ist. Gerade § 4 StBerG sorgt also für die Verhältnismäßigkeit der Regelung. Zudem handelt es sich bei den Ausnahmen in § 4 StBerG – ein Punkt, den die EU-Kommission in ihrer Argumentation vollkommen übersieht – um eng begrenzte Nebenleistungsbefugnisse. Sie gelten also nur, wenn die Steuerberatung zusätzlich zur Haupttätigkeit im Rahmen einer bereichsspezifischen steuerlichen Kenntnis erbracht wird, und sie befähigen lediglich im Einzelfall dazu, beschränkte Hilfeleistung in Steuersachen zu erbringen.

Vorbehaltsaufgaben sichern Steueraufkommen

Auch ignoriert die EU-Kommission die besondere Bedeutung der Vorbehaltsaufgaben für den Schutz der steuerpflichtigen Bürger und der Unternehmen. Die Vorbehaltsaufgaben sichern eine hohe Qualität der Steuerberatung und schützen die Verbraucher und Unternehmen vor den Folgen einer minderwertigen Beratung durch unqualifizierte Personen. Das System der Vorbehaltsaufgaben sichert somit das staatliche Steueraufkommen und eine funktionierende Steuerrechtspflege. Im Ergebnis ist es damit ein wichtiger Garant zur Sicherung des Gemeinwohls. Daher bin ich auch fest davon überzeugt, dass der Vorwurf der EU-Kommission in der Sache unbegründet ist.

Kammer für Erhalt der Vorbehaltsaufgaben

Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) hat sich von Beginn an mit Nachdruck für den Erhalt der Vorbehaltsaufgaben eingesetzt und die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission gefordert. Wir führten und führen zahlreiche Gespräche mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF), der EU-Kommission und Abgeordneten des Europäischen Parlaments und bringen auch eigene Vorschläge zur Änderung des § 4 StBerG ein. Immer wieder heben wir dabei die Spezifika unseres Berufsrechts hervor, die es so in Europa kein zweites Mal gibt. In Brüssel ist zum Beispiel kaum bekannt, was es mit unserer Kapitalbindung oder dem Fremdbesitzverbot auf sich hat. Dass dies ein Garant für die Unabhängigkeit unseres Berufsstands ist, sorgt immer wieder für Nachfragen. Auch das Wissen um unsere Pflicht zur Verschwiegenheit kann nicht vorausgesetzt werden. Beides ist sehr bedauerlich. Denn es sind gerade diese Spezifika unseres Berufsstands, die eine in Europa einzigartige Dienstleistung gewährleisten. Für mich ist es da nur logisch, dass wir auch besondere Vorbehaltsaufgaben haben. Wir werden nicht müde, unsere Gesprächspartner entsprechend zu informieren. Damit dies auch in der jeweiligen Landessprache erfolgt, haben wir eigens eine kleine Videoreihe erstellt.

Namhafte Unterstützer

Hoffnung macht, dass wir im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Vorbehaltsaufgaben das BMF und die Finanzministerien der Länder an unserer Seite wissen und sie uns tatkräftig unterstützen. Auch dass die EU-Kommission jüngst in Gesprächen mit uns signalisiert hat, eine Lösung über eine Änderung des Steuerberatungsgesetzes suchen zu wollen, statt Klage zu erheben, ist ein gutes Signal. Die BStBK jedenfalls wird alles daransetzen, die Vorbehaltsaufgaben des Berufsstands zu verteidigen. Der ein oder andere mag sich jetzt an den Kampf David gegen Goliath erinnert fühlen und sich fragen, wie es die BStBK mit der EU-Kommission aufnehmen wolle. Diese Zweifel kann ich durchaus verstehen.

Deutsche Justiz ist auf unserer Seite

Aber: Sogar die obersten deutschen Gerichte unterstützen uns. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte mit dem Urteil vom 10. Dezember 2020 (I ZR 26/20) klar, dass die Regelungen im Steuerberatungsgesetz zu den Vorbehaltsaufgaben europarechtskonform sind. Dem Urteil lag ein wettbewerbsrechtliches Klageverfahren einer in Großbritannien niedergelassenen Gesellschaft mit Zweigniederlassung in Deutschland zugrunde, die sich die Ausführungen der EU-Kommission bezüglich der fehlenden Kohärenz zu eigen gemacht hatte. Dem ist der BGH entgegengetreten. Der Auffassung der EU-Kommission könne nicht gefolgt werden; vielmehr würden die Ziele des Steuerberatungsgesetzes in kohärenter und systematischer Weise verfolgt, heißt es in der Urteilsbegründung. Und der Bundesfinanzhof entschied im Jahr 2017 bezüglich der in diesem Zusammenhang teils umstrittenen Umsatzsteuervoranmeldung (Urteil vom 07.06.2017 – II R 22/15), dass die Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen ein eigenverantwortliches und sachkundiges Tätigwerden erfordere, das auch die kritische Prüfung und eine gesetzesgerechte Auswertung der durch den Buchführer gelieferten Zahlen einschließe. Ein Buchführungsprogramm könne diese persönliche Tätigkeit bei der Überprüfung der Buchführung nicht ersetzen. Auch das Oberlandesgericht Dresden entschied mit Urteil vom 17. Januar 2017 (14 U 1231/16), dass die Erstellung der Umsatzsteuer-Voranmeldung eine wertende Entscheidung voraussetze und es sich daher um eine Hilfeleistung in Steuersachen im Sinne einer steuergestaltenden Tätigkeit handle.

Mit Argumenten überzeugen

Wir haben aktuell noch die Chance, die EU-Kommission von unseren Argumenten zu überzeugen und eine Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens zu erreichen. Nicht für ratsam halte ich es jedenfalls, die Entscheidung darüber, ob unsere Vorbehaltsaufgaben europarechtskonform sind, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu überlassen. Ich meine: Steuerberatung darf auf keinen Fall in die Hände von Dienstleistern geraten, die kein Berufsrecht kennen, keine Qualitätsstandards haben und keiner Aufsicht unterliegen. Wenn wir die hochqualifizierte Steuerberatung in Deutschland beibehalten wollen, dann brauchen wir auch hohe Anforderungen an Ausbildung und Beruf. Ohne geht es eben nicht. Es handelt sich um eine besondere Errungenschaft, bei der wir unsere deutsche Position in Brüssel behaupten sollten.

Mit einer Stimme sprechen

Das Thema Vorbehaltsaufgaben zeigt anschaulich, welch großen Einfluss die europäischen Institutionen als Ort politischer Entscheidungen mit ihrer Rechtssetzung auf die deutschen Steuerberater nehmen können. Für den Berufsstand zeigt sich hier sehr deutlich, dass die Interessenvertretung auf nationaler Ebene längst nicht mehr ausreicht, um die künftigen Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Die BStBK ist schon seit 2005 erfolgreich mit einem EU-Verbindungsbüro in Brüssel für die Belange des Berufsstands engagiert. Unsere Erfahrungen mit den EU-Institutionen zeigen jedoch, dass es noch zielführender sein kann, die Kräfte überall dort, wo es inhaltlich möglich ist, zu bündeln. Viele europäische Entscheidungsträger – gerade nicht deutsche – können oft nicht nachvollziehen, warum die Besonderheiten eines deutschen Berufsstands von zwei Organisationen doppelgleisig vertreten werden. Außerdem stellte sich die bisherige projektbezogene Zusammenarbeit mit dem Deutschen Steuerberaterverband (DStV) als konstruktiv heraus. So reifte im Jahr 2019 die Überlegung, die Zusammenarbeit beider Organisationen auf EU-Ebene zu intensivieren und künftig mit einer Stimme als German Tax Advisers zu sprechen. Dies schlägt sich in Brüssel sowohl inhaltlich in der Verfolgung einer gemeinsamen Strategie als auch organisatorisch in einer Bürogemeinschaft und den damit einhergehenden Synergieeffekten nieder.

Zum Autor

HS
Prof. Dr. Hartmut Schwab

Steuerberater und Fachberater für Internationales Steuerrecht, Präsident der Bundessteuerberaterkammer und Präsident der Steuerberaterkammer München.

Weitere Artikel des Autors