Grundsteuer - 22. Dezember 2021

Der Willkür ein Ende setzen

Die Festsetzungen bei der Grundsteuer erfolgen zurzeit, unabhängig von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 10. April 2018, grundsätzlich willkürlich und damit zumindest teilweise rechtswidrig. Um diesen Irrweg endlich zu verlassen, ist auch eine rechtssichere Bemessung der Hebesätze zwingend erforderlich.

Zunächst einmal besteht die Besonderheit der Grundsteuer darin, dass es den Gemeinden überlassen ist, ob sie überhaupt eine Grundsteuer erheben wollen [siehe Troll/Eisele, Anmerkung 1 zu § 1 Abs. 1 Grundsteuergesetz (GrStG)]. Um Grundsteuer erheben zu können, ist erst einmal deren Festsetzung notwendig. Und dies geschieht durch Anwendung der Grundsteuer-Hebesätze (§ 25 Abs. 1 GrStG). Dies wiederum bedeutet, dass die Gemeinden ausschließlich über die Höhe der Grundsteuer bestimmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts(BVerfG), des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie ergänzend des Bundesgerichtshofs (BGH) jedoch haben sie diese so zu bemessen, dass sich zwischen dem Grundsteueraufkommen und den durch die Steuerobjekte verursachten Lasten beziehungsweise Kosten eine enge, örtlich radizierbare Verknüpfung ergibt, das heißt: entsprechend dem Äquivalenzprinzip.

Systematik des Grundsteuerrechts wird ignoriert

Die Gemeinden stellen bei Festsetzung der Hebesätze ausschließlich darauf ab, ob Geld im allgemeinen Haushalt benötigt wird, also ohne die von den Steuerobjekten, namentlich den Grundstücken oder wirtschaftlichen Einheiten, verursachten Kosten überhaupt offenzulegen beziehungsweise zu berücksichtigen. Auch die Verwaltungsgerichte (VG) haben die Gemeinden in den jüngsten Prozessen nicht dazu aufgefordert, diese Kosten zur Prüfung vorzulegen. Dadurch entstehen von vornherein Fehlentscheidungen. Es versteht sich praktisch von selbst, dass diese Verfahrensweise nicht so bestehen bleiben kann und eine Korrektur unerlässlich ist.

Kein Rechtsschutz gegen Grundsteuerbescheide

Derzeit besteht also de facto nicht einmal Rechtsschutz gegen die Grundsteuerbescheide vor den VG. In Niedersachsen ist bei Erteilung eines Grundsteuerbescheids als Rechtsbehelfsbelehrung angegeben, dass gegen die Steuerfestsetzung innerhalb einer Frist von einem Monat Klage beim VG eingereicht werden kann. Beim Grundsteuerbescheid handelt es sich um einen Folgebescheid gemäß § 182 Abgabenordnung (AO), der auf der Ebene 3, also ausschließlich von den Gemeinden durch Anwendung des Grundsteuer-Hebesatzes, erteilt wird. Die Bürgerinnen und Bürger können mit einer Klage den jeweiligen Grundsteuer-Hebesatz daher ausschließlich in materiell-rechtlicher Hinsicht angreifen. Dieser wiederum ist nach der Rechtsprechung der VG aber gar nicht angreifbar. Eine etwaige Klageerhebung muss damit faktisch als erfolglos beurteilt werden. Das heißt, dass die betroffenen Bürger mit ihren Klagen im Grunde genommen gar nichts erreichen beziehungsweise bewirken können. Die Rechtsbehelfsbelehrung in den Bescheiden stellt sich somit als irreführend heraus, denn eine Abweisung der Klage steht praktisch von vornherein fest. Dies wiederum ist aber ein klarer Verstoß gegen das verfassungsrechtlich gewährte Gebot eines effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit prüft bei einer eingelegten Klage, mit der die Erhöhung des Hebesatzes angegriffen wird, laut einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) lediglich drei Punkte (siehe BVerwG, Beschluss vom 26.10.2016 – 9 B 28.16); damit können die Kommunen in den nachfolgenden Grenzen den Hebesatz erhöhen:

  1. Es gibt keine landesrechtlich bestimmte Höchstgrenze.
  2. Es liegt kein Fall von Willkür vor.
  3. Es ist keine Erdrosselungswirkung gegeben.

Begründungen in den VG-Entscheidungen

Vor diesem Hintergrund führt die Prüfung durch die VG dann schnell – so wie bisher immer – dazu, dass die von der Gemeinde vorgenommene Hebesatzerhöhung rechtmäßig ist. Denn zunächst ist allgemein bekannt, dass bis dato kein Bundesland von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, gemäß § 26 GrStG einen Höchstsatz der Hebesätze festzulegen. Und Willkür liegt nur dann vor, wenn die Erhöhung des Hebesatzes evident unsachlich wäre (vgl. Beschluss des VG Darmstadt vom 22.08.2019 – 4L 1004/19). Von Willkür könnte man folglich ausgehen, wenn die Mehreinnahmen, die durch eine Grundsteuererhöhung erzielt werden, nicht zur Erfüllung gemeindlicher Aufgaben erforderlich sind, sondern etwa einer Kapitalbildung für die Kommune dienen. Ein derartiger Fall ist jedoch zurzeit schlicht undenkbar. Und auch der Grundsatz der Subsidiarität des kommunalen Haushaltsrechts verschafft nach der Rechtsprechung des BVerwG für die Steuerzahler keinen einklagbaren Anspruch auf Senkung oder Beibehaltung der Hebesätze (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 16.05.2013 – 2 A 97/12, Bezug nehmend auf das zur Gewerbesteuer ergangene Urteil des BVerwG vom 11.06.1993 – 8 C 32.90). Schließlich können sich die Kläger auch nicht auf eine Verletzung des gemeindlichen Gebots der Wirtschaftlichkeit beziehungsweise Sparsamkeit berufen. Denn eine Überwachung des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit obliegt der Kommunalaufsicht und berührt deshalb keine subjektiven Rechte der Grundsteuerzahler (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 06.03.2019 – 4 A 612/17). Mit Blick auf eine erdrosselnde Wirkung kann von einer Steuer erst dann gesprochen werden, wenn nicht nur ein einzelner Steuerpflichtiger, sondern die Steuerpflichtigen generell unter normalen Umständen diese Steuer nicht mehr aufbringen könnten (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2019 – 5 K 2014/19). Ein solcher Fall ist zurzeit aber nicht vorstellbar. Im Übrigen könnte man bei übermäßiger Belastung in einzelnen Fällen auch mit einem Billigkeitserlass nach § 227 AO operieren (vgl. VG Darmstadt, Beschluss vom 22.08.2019).

Steigende Hebesätze

Laut Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VerfGH BW) vom 3. Mai 2021 zum Verfahren 1 VB 54/21 wird ab dem Jahr 2025 die Grundsteuer auf Grundlage eines Landesgesetzes erhoben. Bis dahin findet das vom BVerfG mit Urteil vom 10. April 2018 für verfassungswidrig erklärte Grundsteuergesetz des Bundes weiterhin Anwendung. Diese Rechtsauffassung ist auch im Regierungsentwurf vom 6. Dezember 2020 zum Bayerischen Grundsteuergesetz auf Seite 14 nachzulesen, denn dort steht, dass die bundesgesetzlichen Regelungen des Grundsteuergesetzes mit dem Urteil vom 10. April 2018 jedoch für verfassungswidrig erklärt wurden. Die VG entgegnen dem in unzulässiger Weise stets, dass die vom BVerfG festgestellte Verfassungswidrigkeit nur die Vorschriften der Einheitsbewertung betreffe und die Festsetzung der Hebesätze nicht berühre. Der VerfGH BW stellt in diesem Zusammenhang mit Beschluss vom 30. April 2021 klar, dass die endgültige Steuerfestsetzung gegenüber den Steuerschuldnern überdies eine Festsetzung des kommunalen Hebesatzes erfordere und die jeweilige Gemeinde die zu entrichtende Steuerhöhe auf der Ebene 3 bestimme. Das heißt, dass ausschließlich die Gemeinden über die jeweiligen Hebesätze die Grundsteuerhöhe bestimmen. Sofern sie von der Möglichkeit einer Begrenzung auf null Gebrauch machen würden – siehe Seite 34 des Regierungsentwurfs zum Bayerischen Grundsteuergesetz vom 6. Dezember 2020 –, fiele überhaupt keine Grundsteuer an und die von den Finanzämtern auf den Ebenen 1 und 2 bereitgestellten Werte würden völlig ins Leere laufen. Damit steht fest, dass ausschließlich die Gemeinden durch ihre Hebesätze über das Ausmaß der potenziellen Verfassungswidrigkeit im Zusammenhang mit der Grundsteuer entscheiden.

Rechtsstaatlich bedenklich

Das BVerfG selbst hat im Urteil vom 10. April 2018 die vorgenommene Fortgeltungsanordnung als „ausnahmsweise“ und „ungewöhnlich“ bezeichnet. Das Gericht ist damit den Gemeinden ganz, ganz weit entgegengekommen. Folglich haben wir nunmehr einen Zustand der Verfassungswidrigkeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2024 – mithin für einen Zeitraum von 23 Jahren. Ob dies in einem Rechtsstaat vertretbar ist, dürfte zumindest angezweifelt werden, zumal insoweit auch eine Lösung oder dauerhafte Übergangsregelung auf Basis von § 42 GrStG relativ schnell, einfach und kostengünstig möglich gewesen wäre. Auf jeden Fall aber sind Hebesatzerhöhungen während der siebenjährigen Dauer der Fortgeltungsanordnung absolut unzulässig, denn sie verschärfen nur den Zustand der ohnehin schon bestehenden Verfassungswidrigkeit. Dabei ist auch noch besonders anzuprangern, dass diese Grundsteuererhöhungen nicht einmal wegen grundstücksbezogener Lasten erfolgten, sondern vielmehr für allgemeine Haushaltszwecke – in der Stadt Offenbach sogar wegen langjähriger sozialer Lasten. Gleichwohl sind insbesondere im Jahr 2019 sogar drastische Hebesatzerhöhungen vorgenommen und völlig unverständlicherweise auch durch die VG abgesegnet worden.

Steter Tropfen höhlt den Stein

Einer Pressemitteilung des VG Darmstadt vom 15. September 2021 (Urteil vom 18.08.2021 – 4 K 2115/19) zufolge hat das VG Darmstadt – wie nicht anders zu erwarten war – die dort behandelte Klage abgewiesen und damit eine drastische Erhöhung des Grundsteuer-Hebesatzes von 600 Prozent auf 995 Prozent (übrigens Platz 2 in Deutschland) für die Stadt Offenbach abgesegnet. Mit anderen Worten: Die Grundsteuer wurde im Vergleich zum Jahr 2018 um satte 65,83 Prozent angehoben. Nach Vorlage des vollständigen Urteils muss nun eine genaue Analyse vorgenommen werden. Sehr bemerkenswert ist allerdings, dass im Gegensatz zu einer Pressemitteilung vom 17. Oktober 2019 folgende Kernsätze nicht mehr enthalten sind:

a) die Grundsteuererhöhung ist aufgrund langjähriger sozialer Lasten erforderlich geworden;

b) die Grundsteuererhöhung ist nicht rechtswidrig, weil nicht der Steuermessbescheid des Finanzamts (auf Ebene 2), sondern der nachfolgende Grundsteuerbescheid der Gemeinde streitgegenständlich sei. Dies lässt vermuten, dass die permanente Kritik in diversen Publikationen nun doch so langsam Wirkung zeigt. Denn im Gegensatz zur Pressemitteilung vom 17. Oktober 2019 – dort 1.570 Euro jährlich – wurde jetzt nur jährlich eine minimale steuerliche Auswirkung in Höhe von 90 Euro angegeben. Beide Pressemitteilungen wurden übrigens vom vorsitzenden Richter des VG Darmstadt, Herrn Roland Elser, erstellt.

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Zum Autor

HW
Hartmut Wipper

Steuerberater in eigener Kanzlei in Sassenburg (Niedersachsen)

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