Erbschaft- und Schenkungsteuer - 25. November 2021

Dauerbrenner für die Kritiker

Keine Steuerart stand über die letzten Dekaden so permanent in der Kritik wie die Besteuerung von Vermögensübertragungen zu Lebzeiten oder aufgrund eines Todesfalls.

Zunächst kann man sich bei der Erbschaft- und Schen­kungsteuer, deren Aufkommen gänzlich den Bundeslän­dern zusteht, fragen, ob der administrative Aufwand noch in einem gesunden Verhältnis zu dem vergleichsweise über­schaubaren Aufkommen steht. Die Bearbeitung so manch ei­nes komplexen Erbfalls zieht sich über mehrere Jahre hinweg. Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) wurde unter der Regierungskoalition zwischen CDU/CSU und SPD nur dann angepasst, wenn und soweit Gerichte den Ge­setzgeber dazu gedrängt hatten. Ansonsten fand man zwi­schen diesen Regierungsparteien anscheinend keinen ge­meinsamen Nenner, in welche Richtung das Gesetz weiterent­wickelt werden sollte. Wesentliche Änderungen brachten also vor allem verfassungsgerichtliche Entscheidungen mit sich. In allen Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den letzten Jahrzehnten über die Verfassungsge­mäßheit der Erbschaftsteuer zu entscheiden hatte, kam es zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber innerhalb unterschiedlich langer Fristen die Verfassungskonformität des eigentlich ver­fassungswidrigen Gesetzes wiederherzustellen habe. In der jeweiligen Übergangszeit durfte das verfassungswidrige Ge­setz allerdings noch angewendet werden. De facto wurde also zumindest bis zum 30. Juni 2016 über Jahrzehnte hinweg ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht angewendet.

Schwer verständliche Gesetzesnovelle

Die letzte wirklich gravierende Änderung wurde durch das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkung­steuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfas­sungsgerichts vom 4. November 2016 bewirkt. Es war der Politik dabei ein explizites Anliegen, nur die vom BVerfG monierten Punkte in Bezug auf die Begünstigung von Be­triebsvermögen aufzugreifen, ansonsten aber die Struktur des Gesetzes unverändert zu lassen. Dies, obgleich es auch zu diesem Zeitpunkt schon gewichtige Stimmen gab, die eine grundsätzliche Reform des Gesetzes befürwortet hatten. Die 2016 angepassten beziehungsweise neu geschaffenen §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG zur steuerlichen Begünsti­gung von Betriebsvermögen erstrecken sich über 15 eng be­druckte Seiten in der Gesetzessammlung und sind allein schon deshalb schwer verständlich und als zu komplex ein­zustufen. Heute kennen sich mit den Vorschriften zur Nach­folge bei Betriebsvermögen jedenfalls nur noch wenige Ex­pertinnen und Experten wirklich gut aus, und allein das ist schon kritikwürdig. Die Komplexität führt natürlich auch im Einzelfall zu Zweifelsfragen in Bezug auf die Auslegung von Bestimmungen.

Schwachstellen des Gesetzes

Hier hatte man darauf gehofft, dass die Erbschaftsteuerricht­linien 2019 mehr Klarheit in dem einen oder anderen Punkt bringen, wenn es das Gesetz selbst schon nicht leistet. Leider konnten die Richtlini­en die Erwartungen aber auch nicht ganz erfüllen. So ist damit zu rechnen, dass letztlich wieder die Gerichte entscheiden müssen. Sicherlich wird sich dann am Ende des Tages auch das BVerfG wieder mit dem Gesetz in seiner gegenwärtigen Ausprägung befassen dürfen. Ist es doch beispielsweise schwer nachvollziehbar, dass ein Inhaber von wenigen privat ge­haltenen vermieteten Wohnungen bei Übertragung dem Re­gelsatz unterworfen wird, wohingegen der Inhaber von 300 Wohnungen diese gegebenenfalls im Rahmen eines soge­nannten Wohnungsunternehmens völlig steuerfrei an andere Personen übertragen kann. Vielleicht kann man diesen Punkt auch generell als Ausdruck der Schwachstelle des gegenwär­tigen Erbschaftsteuerrechts sehen. Die wirklich vermögen­den Personen in Deutschland können vielfach von der im Ge­setz angelegten weitgehenden Begünstigung von Betriebs­vermögen Gebrauch machen, und sei es entweder, weil der sogenannte Verwaltungsvermögenskatalog, der abschlie­ßend bestimmt, welche Teile des Betriebsvermögens nicht begünstigt werden dürfen, lückenhaft ausgestaltet ist, oder sei es, weil gerade die wirklich Vermögenden auch häufig ihre Hauptwerte in Betriebsvermögen halten. Demjenigen, der vielleicht nur 100.000 Euro an seine Lebensgefährtin ver­erben kann, steht ein persönlicher Freibetrag von 20.000 Euro zur Verfügung und jeder über den Freibetrag hinausge­hende Betrag unterliegt gleich einer Erbschaftsteuer von 30 Prozent. Jemand der 25 Millionen Euro in einer betrieblichen Struktur hält, kann diese aber sogar zum Nulltarif übertra­gen. Dabei könnte sich der Erwerber in aller Regel eine ge­wisse Steuerlast leisten, auch ohne dass der Betrieb Schaden nimmt. Statistiken belegen, dass der effektiv angewandte Steuersatz mit der Höhe des übertragenen Vermögens ab­sinkt. Selbst wenn man grundsätzlich im Einklang mit dem BVerfG eine Begünstigung von echtem Betriebsvermögen befürworten dürfte, so stellt sich heraus, dass das komplexe deutsche Erbschaftsteuerrecht auch hier mitunter überra­schende Ergebnisse zeitigt.

Der 90-Prozent-Test

Wird nämlich zum Beispiel ein Handelsunternehmen über­tragen, dessen Bilanz auf der Aktivseite lediglich Vorräte und Forderungen aus Lieferung und Leistung aufweist, aber rela­tiv hoch fremdfinanziert ist, kann es passieren, dass die Über­tragung dieses unzweifelhaft als Betriebsvermögen einzustu­fenden Unternehmens überhaupt nicht begünstigt ist, weil der in § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG normierte sogenannte 90-Pro­zent-Test nicht bestanden wird. Dieser Test gilt als nicht be­standen, wenn das nicht um Verbindlichkeiten gekürzte Ver­waltungs- beziehungsweise Finanzvermö­gen mehr als 90 Prozent des Werts des Betriebsvermögens ausmacht. Auch For­derungen aus Lieferungen und Leistungen werden für diesen Test als schädliches Vermögen eingestuft. Gerade wenn in schwierigen Phasen, wie etwa der Corona-Krise, Unternehmen zu kämpfen haben und auch an Wert verlieren, kann das letzt­lich dazu führen, dass die Erbschaftsteuer im ungeplanten Übertragungsfall echte operative Unternehmen mit einer Vielzahl von Arbeitneh­mern letztlich vollends in den Ruin treibt.

Justiz als Korrektiv

Obwohl dem Gesetzgeber das bewusst ist und gerade im Rahmen der Corona-Krise auch mehrfach darauf hingewie­sen wurde, hier doch Erleichterungen zu verschaffen, ist in diesem Punkt nichts geschehen. Die Regelungen wurden also weder zu Verstößen gegen die Haltefristen aufgrund von Notverkäufen oder Insolvenzen ausgesetzt noch ist beabsich­tigt, den 90-Prozent-Test für eindeutig operative Unterneh­men zu korrigieren, etwa indem man für die Berechnung des als Vergleichsgröße entscheidenden Unternehmenswerts auf einen Wert vor Beginn der Krise abstellt. Auch wenn die Fi­nanzverwaltung die Punkte sieht, sind deren Hände aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen gebunden. Das Finanzgericht Münster hatte am 3. Juni 2019 über einen An­trag auf Aussetzung der Vollziehung in einem solchen Fall zu entscheiden. Das Gericht gab dem Antrag mit folgender Be­ gründung statt: „An der Verfassungsmäßigkeit von § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG, wonach die Finanzmittel ohne Verrech­nung mit den Schulden in die Berechnung der 90-Prozent-Grenze einzubeziehen sind, bestehen ernstliche verfassungs­rechtliche Zweifel. Die gesetzliche Regelung führt zu einem wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren Ergebnis. Insofern ist auch zweifelhaft, ob dieses Ergebnis durch den Gesetzes­zweck, der darin besteht, Missbrauch zu verhindern, gedeckt wird.“ Ob das Gericht sich gegebenenfalls in der Lage fühlt, den § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG verfassungsgemäß auszulegen oder ob gleich eine Vorlage an das BVerfG erfolgt, wird sich im Hauptsacheverfahren herausstellen.

Junge Finanzmittel

Eine weitere beispielhaft genannte, schwer nachvollziehbare Regelung ist das Entstehen und die Behandlung von jungen Finanzmitteln in Unternehmen. Junge Finanzmittel liegen nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 S. 2 ErbStG vor, wenn diese dem Be­trieb im Steuerentstehungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren. Auf junge Finanzmittel fällt Erbschaft­steuer an, selbst wenn sie unter der vom Gesetzgeber vorge­sehenen Schwelle in Höhe von 15 Prozent des Unterneh­menswerts liegen, bis zu der Finanzmittel als betriebsnot­wendig betrachtet und erbschaftsteuerfrei bleiben sollen. Ein Unternehmer dürfte sich unter dieser Prämisse gerade in Kri­senzeiten stark überlegen, ob er eigene Finanzmittel in das Unternehmen gibt, um das Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten, riskiert er doch eine Besteuerung im Erbfall. Noch abstruser wird die Auffassung weiter Teile der Finanz­verwaltung bei konzerninternen Einlagen. Legt eine Mutter­gesellschaft Finanzmittel in eine Tochtergesellschaft ein, sei­en diese eingelegten Finanzmittel bei der Tochtergesellschaft zwei Jahre lang als junge Finanzmittel anzusetzen und führen damit im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung zu jun­gen Finanzmitteln auch bei der Muttergesellschaft. Auch wenn man vielleicht noch hoffen kann, dass die vorgenann­ten willkürlich herausgegriffenen Regelungsbeispiele von Gerichten einer vernünftigen, verfassungsgemäßen Ausle­gung zugeführt werden, zeigen sie doch, wie unnötig kompli­ziert die Regelungen sind und welche gegebenenfalls nicht intendierten steuerlichen Folgen sie nach sich ziehen.

Übertragungen von Familienwohnheimen

Selbst wenn man die Betriebsvermögensvergünstigungen einmal ausklammert, gibt das Gesetz in vielerlei Hinsicht An­lass zur Kritik.

So ist etwa schwer nachvollziehbar, warum die Übertragung eines Familienwohnheims unter Ehegatten zu Lebzeiten privilegiert wird, bei Übertragung von Todes wegen die Be­günstigung aber davon abhängig gemacht wird, ob der über­lebende Ehegatte noch zehn Jahre in dem Haus oder der Wohnung wohnen bleibt. Auch ist die Nießbrauchsbestellung am Familienwohnheim nicht begünstigt, sondern lediglich die Eigentumsübertragung. Man darf sich in diesem Zusam­menhang getrost die Frage stellen, ob Übertragungen zwi­schen Ehegatten – wie dies in vielen Ländern üblich ist – nicht generell von der Erbschaft- beziehungsweise Schen­kungsteuer verschont bleiben sollten. In der Praxis werden ja allein durch die Einräumung eines Gemeinschaftskontos un­gewollt und unbewusst Schenkungsteuertatbestände ausge­löst, obgleich das Motiv für solche Kontenkonstruktionen häufig reine Praktikabilitätserwägungen sind. Schweizer Banken haben jahrelang ihren Kunden dazu geraten, Ge­meinschaftskonten zu vereinbaren, damit nicht bei Verster­ben eines alleinigen Kontoinhabers, in Bezug auf das Konto eine Handlungsunfähigkeit besteht, bis ein Erbschein vorge­legt werden kann.

Ausblick

In der nun anstehenden Legislaturperiode werden die Karten neu gemischt und sicherlich auch das gegenwärtige Erb­schaftsteuerregime auf den Prüfstand gestellt. Sinnvoll könn­te es durchaus sein, hier den Reset-Knopf zu drücken und das Gesetz völlig neu zu fassen. Dazu liegen auch verschiede­ne Vorschläge auf dem Tisch, die bereits bei der Neufassung des Gesetzes zum 1. Januar 2009 diskutiert wurden. Ein Au­genmerk sollte dabei vor allem auch auf die Steuervereinfa­chung gelegt werden. Ein wahrscheinlich sehr viel höheres Steuersubstrat könnte aus der Steuer gezogen werden, wenn man zunächst einmal alle Ausnahmetatbestände abschafft und auf der anderen Seite aber die Steuersätze erheblich ab­senkt. Mit Steuersätzen von maximal acht bis zehn Prozent können wahrscheinlich die meisten leben und würden erst gar nicht in die Versuchung geraten, alleine aus Steuererwä­gungen in bestimmte Konstrukte zu investieren beziehungs­weise zu Unzeiten Übertragungen durchzuführen. Für Be­triebsvermögen könnte man sich zudem großzügige Stun­dungsregelungen überlegen.

Zum Autor

Dr. Tom Offerhaus

Rechtsanwalt und Partner bei Be­ra­tungs­gruppe WTS, München

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