Beratung in der Krise - 8. Dezember 2020

Das Für und Wider abwägen

Obwohl die Zahl der Insolvenzverfahren aktuell immer noch weit hinter den Vorjahreszahlen zurückliegt, kommt es in der Beratungspraxis nun doch vermehrt zu Mandantengesprächen, in denen Insolvenzszenarien zu erörtern sind. Mit Blick auf ein neues Gesetz sind die Sanierungsexperten gefordert, für jedes Unternehmen individuell die richtigen Weichen zu stellen.

Gerade durch die oft missverständliche allgemeine Berichterstattung ist die Vorstellung weit verbreitet, dass sämtliche Insolvenzantragspflichten – egal aus welchen Gründen – bis zum 31. Dezember 2020 ausgesetzt sein sollen. Dies ist eine gefährliche Fehlvorstellung, da schon seit 1. Oktober 2020 der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit wieder in Kraft getreten ist, bevor – voraussichtlich ab Jahresbeginn 2021 – auch die Antragspflicht wegen Überschuldung wieder gelten dürfte. Das sind wichtige Fristen, denn ein Geschäftsführer, der zu spät auf eine Insolvenzsituation seines Unternehmens reagiert, macht sich haft- und gegebenenfalls sogar strafbar.

Fundierte Analyse erstellen

Jeder Unternehmer und (Fremd-)Geschäftsführer muss bei Anzeichen für eine Liquiditätslücke, die größer als zehn Prozent der insgesamt fälligen Verbindlichkeiten ist, einen Status über die Zahlungsunfähigkeit (ZU-Status) erstellen. Im ersten Schritt sollte die Geschäftsführung daher bei ihrem Steuerberater oder einem Wirtschaftsprüfer professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um die finanzielle Lage zu analysieren. Zudem können Sanierungsexperten bei der stichtagsbezogenen Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten und den zu ihrer Tilgung vorhandenen liquiden Mitteln unterstützen. Damit ist gewährleistet, dass sicher die juristisch fundierten – also richtigen – Stichtage für die Analyse verwandt werden. So müssen beispielsweise vertraglich vereinbarte Zahlungsziele geprüft und juristisch belastbare Formulierungen von gegebenenfalls stillschweigend „gelebten“ Stundungen erarbeitet werden. Ohne eine solche sichere Basis sollten keine weiteren, außerinsolvenzlichen Sanierungs- oder Vergleichsszenarien erörtert werden. Diese setzen nämlich alle voraus, dass aktuell kein Insolvenzgrund und somit auch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegen. Sollte sich in einem solchen Quickcheck aber die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens ergeben, ist ein schnelles Reagieren zwingend notwendig. Es müssen unverzüglich alle Möglichkeiten einer Nachverhandlung hinsichtlich der Zahlungsziele mit den Vertragspartnern beziehungsweise Gläubigern geprüft werden. Ferner sind mit der Unternehmensführung die ab diesem Zeitpunkt greifenden Haftungstatbestände zu erörtern – insbesondere die Gefahr einer persönlichen Haftung zusammen mit den konkreten Handlungspflichten. Sehr oft ist diese Haftung nämlich nicht durch die konkrete Rechtsform begrenzt oder versichert.

Neues Gesetz zur Einigung mit den Gläubigern

Eine gute Dokumentation der finanziellen Lage ist auch für jedwede Gespräche mit Gläubigern vorteilhaft. Denn in Verhandlungen mit dem Ziel einer Stundung ist die Bereitschaft zur Einigung auf Basis eines professionell erstellten ZU-Status erfahrungsgemäß deutlich höher als bei eher zufälligen Gesprächen, die den Verdacht erregen, man wolle Mitleid für die eigene Situation erzeugen. Weiterhin steigen die Chancen für eine Einigung durch Erörterung der Alternativen für das betreffende Unternehmen in der Krisensituation. In diesem Zusammenhang sollte auch das neue Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und
-restrukturierungsgesetz – StaRUG) erwähnt werden, da die Grundidee der neuen Vorschriften lauten: frühzeitig sanieren, bevor es zu einem Insolvenzverfahren kommt. Eine solche Möglichkeit zur insolvenzabwendenden Sanierung funktioniert aber nur bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen sowie einer individuellen Perspektive hinsichtlich der Sanierung. Die Einigung mit den Gläubigern wird in diesem Verfahren leichter möglich sein, weil einzelne Gläubiger beziehungsweise Gläubigergruppen unter bestimmten Voraussetzungen überstimmt und somit zu Zugeständnissen gezwungen werden können. In diversen Veröffentlichungen werden die Vorteile einer derartigen Sanierung ohne Insolvenz aktuell sehr plakativ beworben. Dies wird viele Unternehmen sicherlich dazu bewegen, sich dieses Sanierungsszenario von ihren Beratern vorrangig zu wünschen. Ob eine solche minimalinvasive Sanierung letztlich das richtige Mittel zur Bewältigung einer konkreten unternehmerischen Schieflage sein wird, bleibt abzuwarten. In der Praxis kann das neue Gesetz jedoch zumindest in der Argumentation gute Dienste leisten, um etwa zu Vertragsanpassungen und Stundungen zu kommen – und dies bereits vor Einführung der neuen Vorschriften (voraussichtlich Anfang oder Mitte 2021), die aktuell noch beim Gesetzgeber ergebnisoffen diskutiert werden. Für die praktische Relevanz dieser neuen Instrumentarien wird von zentraler Bedeutung sein, ob sich der Gesetzgeber dazu entschließt, die aktuell aus der Praxis eingebrachten Vorschläge zur Modifizierung des bisher vorgestellten Entwurfs anzunehmen. Eine dieser in den Gesetzgebungsprozess eingebrachten Ideen ist beispielsweise die stärkere Öffnung dieses Verfahrens auch für kleinere und mittlere Unternehmen.

Vorteile des Insolvenzverfahrens

Ob mit diesen Sanierungsmöglichkeiten in der täglichen Beratungspraxis letztlich viele Unternehmen gerettet werden können, ist fraglich. Bei der Beantwortung dieser Frage wird es entscheidend darauf ankommen, ob im Einzelfall die Mittel des Insolvenzrechts, etwa des Schutzschirm- oder Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahrens Vorteile bieten und daher vorzuziehen sind. Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bietet beispielsweise den großen Vorteil, dass für bis zu drei Monate alle Löhne und Gehälter eines zu sanierenden Unternehmens über das sogenannte Insolvenzgeld von der Agentur für Arbeit übernommen werden. An einer solchen Unterstützung hinsichtlich der Liquidität fehlt es bei einer präventiven Restrukturierung im Rahmen des StaRUG, da es sich um ein Verfahren ohne Insolvenzantrag handeln soll. Ferner sind in den außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren, die aktuell diskutiert werden, keine Sonderregelungen für Eingriffe in Arbeitsverhältnisse vorgesehen, wodurch der in der Sanierungspraxis meist unumgängliche Arbeitsplatzabbau nicht erleichtert wird. Wenn in den Verhandlungen mit den Vertragspartnern oder Gläubigern also keine Stundungen erreicht werden können und auch keine weitere Unterstützung des betroffenen Unternehmens darstellbar ist, etwa durch Patronatserklärungen von Gesellschaftern oder Dritten, sollte mit den Mandanten – so früh wie möglich – auch eine Sanierung unter Insolvenzschutz diskutiert werden.

Diverse Möglichkeiten der Gestaltung

Insoweit ist eine gedankliche Abstufung angezeigt. Je nach Krisensituation des Unternehmens, dem konkreten Ziel der Sanierung sowie dem regelmäßigen Wunsch des Unternehmers, persönlich sowie eng und kontinuierlich in den Sanierungsprozess eingebunden zu sein, gibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Insolvenzverfahren zu beantragen mit dem Ziel

  • eines Schutzschirms,
  • einer Eigenverwaltung oder
  • eines Regelverfahrens mit übertragender Sanierung beziehungsweise Insolvenzplan.

Ein großer Vorteil von Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren ist, dass der Unternehmer die Sanierung seines Unternehmens aktiv mitgestalten kann und nicht wie in einem Regelverfahren die Sanierungsbemühungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters lediglich beratend „aus der zweiten Reihe“ begleitet. Selbstverständlich bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob das Unternehmen und die Akteure konkret für eine Eigenverwaltung geeignet sind. Wenn das der Fall ist, bieten die Sanierungsmöglichkeiten unter Insolvenzschutz eindeutige Vorteile, einmal mit Blick auf die Liquidität und zum anderen, weil der Rechtsträger erhalten werden kann, was zum Beispiel für Lizenzen und langfristige Verträge von Bedeutung sein kann.    

Gegenüberstellung der Verfahren

Wenn man die Sanierung nach den neuen Vorschriften oder die Eigenverwaltungsszenarien mit einem Insolvenzantrag vergleicht, der ein Regelinsolvenzverfahrens zum Ziel hat, sollte gleich zu Beginn einer derartigen Beratung auch eine Gegenüberstellung aller Kosten der im Raum stehenden Verfahren erfolgen. Aufgrund der komplexen Materie dürfte dies nicht ohne fundierte insolvenzrechtliche Erfahrung möglich sein. Ferner ist auch auf die notwendige Marktansprache im Rahmen eines M&A-Prozesses mit allen hierbei denkbaren Szenarien einzugehen, sofern man eine Sanierung im Schutzschirm beziehungsweise einer Eigenverwaltung in Betracht zieht. Nur so ist eine abgewogene Entscheidung für den jeweils richtigen Beratungsansatz gewährleistet. Sollte sich nach alldem ein Insolvenzantrag mit dem Ziel eines Regelinsolvenzverfahrens als einzig sachgerecht erweisen, wäre schließlich die Möglichkeit eines sogenannten prepacked plan zu erörtern mit dem Ziel, das Unternehmen zu erhalten. Eine weitere, denkbare Alternative wäre zudem in geeigneten Fällen eine regelmäßig zügigere und rechtssichere Übertragung des Geschäftsbetriebes im Rahmen eines Asset Deals auf einen neuen Rechtsträger in Form einer übertragenden Sanierung.

Fazit

Auf eine Entscheidung auf fundierter Basis zu einem frühen Zeitpunkt kommt es an. Dies zeigt unsere Erfahrung aus vielen Mandaten immer wieder. Der Erfolg einer jeden Sanierung hängt entscheidend von einer frühzeitigen professionellen Prüfung und Weichenstellung ab. Aus „fünf vor zwölf“ kann schneller als gedacht „fünf nach zwölf“ werden. Das heißt: das Risiko erhöht sich oft rasant, so dass nur eine Liquidation des Unternehmens als einzige Möglichkeit bleibt, wenn zu spät Expertenrat hinzugezogen wird. Eine Beratung durch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und erfahrene Sanierungsexperten daher nach den ersten Krisenanzeichen gar nicht früh genug erfolgen.

Zum Autor

HB
Dr. Hubertus Bartelheimer

Sanierungsexperte bei der PLUTA Rechtsanwalts GmbH. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung in der insolvenzrechtlichen Sanierungsberatung beziehungsweise Insolvenzverwaltung. Seit 2001 ist er als Rechtsanwalt und seit 2009 als Fachanwalt für Insolvenzrecht tätig. Darüber hinaus ist er geprüfter ESUG-Berater.

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