Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. So lautet das Vorurteil, das man vor allem Absprachen in Steuerstrafverfahren entgegenbringt. Tatsächlich aber sind Deals längst gängige Verfahrenspraxis, sie sind transparent und kontrolliert.
Als Verständigung im Strafverfahren – oder umgangssprachlich Deal – wird im Steuer(straf-)verfahren eine auf ein Rechtsgespräch folgende Absprache bezeichnet, bei der die Folgen der Verurteilung abgestimmt werden sollen. Und eigentlich ist der Deal eine Win-win-Situation für alle Verfahrensbeteiligten.
Das Interesse des Täters liegt in einer möglichst milden Strafe, das Interesse der oftmals stark überlasteten Behörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte in einem möglichst erträglichen Verfahrensaufwand.
Durch die Möglichkeit der Verfahrensabsprachen profitieren beide Seiten: Der Täter bzw. der Angeklagte erhält eine gewisse Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens und führt durch das Ablegen eines Geständnisses einen erheblich zu seinen Gunsten verwertbaren Strafmilderungsgrund her.
Umgekehrt erspart der Angeklagte durch sein Geständnis den Gerichten und Staatsanwaltschaften oftmals sehr zeitaufwendige Zeugeneinvernahmen und Einholung von Sachverständigengutachten. Gerade in Prozessen mit einer schwierigen und komplizierten Rechts- und Beweislage, wie es in Steuer- und Wirtschaftsprozessen oft der Fall ist, kann der Deal dazu beitragen, dass die Verfahrensdauer erheblich verkürzt wird. Und was liegt dann näher, als das Geständnis des Angeklagten mit einer erheblichen Strafmilderung zu honorieren?
Gängige Verfahrenspraxis
Das Prinzip der Absprachen oder des Deals ist beileibe keine Neuerfindung der Justiz, sondern gängige Verfahrenspraxis an deutschen Gerichten seit Jahrzehnten und eigentlich schon immer Bestandteil von Verhandlungen, bei denen es darum geht, divergierenden Interessen gerecht zu werden.
So dienen Deals vor allem einem Zweck: der Erzielung eines optimalen Ergebnisses für das Verfahren. Oder anders gesagt, bereits die Römer handelten nach dem Motto do ut des oder frei übersetzt: Gibst du mir, so gebe ich dir.
Die zunehmende Diskussion um die schuldangemessene Strafe im Zuge der weitverbreiteten Verfahrenspraxis der Absprachen ließ den Gesetzgeber handeln. Mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren wurde 2009 durch den neu eingefügten § 257c Strafprozessordnung die Verständigung im Strafverfahren oder der Deal erstmals gesetzlich geregelt.
Die Intention des Gesetzgebers war es, Absprachen zwischen den Verfahrensbeteiligten an bestimmte gesetzliche Vorgaben zu knüpfen und die Deals transparenter für die Öffentlichkeit zu gestalten, sie aus der Verfahrens-Grauzone zu holen, indem zum Beispiel Deals als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens zwingend zu protokollieren sind, auch wenn sie vor Eröffnung der Hauptverhandlung abgeschlossen wurden.
Vor Inkrafttreten des Gesetzes hatten Staatsanwaltschaft, Richter und Vertreter der Verteidigung oft hinter verschlossenen Türen Absprachen getroffen, sodass sich für die Öffentlichkeit gerade dadurch der Eindruck eines Kuhhandels ergeben musste, ohne Transparenz und Kontrolle.
Vermeintliches Privileg der Reichen
Der Deal wird oft als Privileg der Reichen angesehen, zuweilen ist gar von einer Zweiklassenjustiz die Rede.
Doch auch die gesetzliche Verankerung bzw. Legitimation der Deals durch den Gesetzgeber hat an der Umstrittenheit eines eigentlich einleuchtenden Verfahrens nichts geändert. So wird der Deal oft als Privileg der sogenannten Weiße-Kragen-Täter oder als Privileg der Reichen angesehen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Gar von einer Zweiklassenjustiz ist die Rede.
Dieses Vorurteil wird genährt durch einige Beispiele prominenter Angeklagter, die in der Medienöffentlichkeit auf großes Interesse stießen, nicht zuletzt weil Steuer- und Wirtschaftsdelikte, die erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachten, mit Bewährungs- und Geldstrafen abgeurteilt wurden. Die nach Meinung der Kritiker des Verfahrens relativ milden Urteile schienen die oben genannten Vorurteile zu bestätigen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafjustiz zu gefährden.
Mittel zur Verfahrensbeschleunigung
Dennoch ist an der Möglichkeit von Verfahrensabsprachen oder Deals festzuhalten, nicht nur als probates Mittel zur Verfahrensbeschleunigung bei langwierigen Steuer- und Wirtschaftsprozessen. Ganz entgegen der oftmals geäußerten Kritik dienen Verfahrensabsprachen nicht nur gut betuchten Angeklagten, sich von der Strafe loszukaufen, sondern können selbstverständlich in jedem Steuer(straf)verfahren zum Einsatz kommen, wie unzählige Fälle der Verteidigungspraxis belegen.
Die Tatsache, dass ein Geständnis eine erhebliche Strafmilderung zur Folge hat, ist kein Novum des Deals, sondern ist der Strafgesetzgebung immanent. Es gibt keine Garantie dafür, dass in einem bis zur letzten Minute durchgefochtenen Prozess ein wesentlich anderes Ergebnis erzielt werden würde als im Rahmen eines Deals, zumal es eine Wahrheitsfindung ad maximum nicht gibt.
So muss sich der Angeklagte nicht selbst belasten, Zeugen können unter Umständen geltend machen, das Zeugnis zu verweigern, und selbst Polizei und Ermittlungsbehörden müssen sich bei der Erforschung der Wahrheit an die Vorgaben der Strafprozessordnung halten und können nicht wahllos alle Methoden der Beweiserhebung ausschöpfen. Die Erforschung der Wahrheit unterliegt rechtsstaatlichen Schranken, sodass die Vorstellung, nur eine vollständig durchgeführte Beweisaufnahme erlaube ein gerechtes Urteil, nicht der Rechtswirklichkeit entspricht.
Der vom Gesetzgeber vorgegebene Strafrahmen bewegt sich nun mal zwischen Geldstrafe und mehrjähriger Freiheitsstrafe, und die Entscheidung über die Strafzumessung lag schon immer in der Hand des Gerichts und konnte durch vielfältige Aspekte wie ein Geständnis des Angeklagten positiv beeinflusst werden. Daran ändert auch der Deal nichts.
Pflicht zur Wahrheitsfindung
Was es zu vermeiden gilt, ist der Deal um jeden Preis. Mehr denn je ist hier insbesondere das Gericht gefragt, das den Sachverhalt aufklären muss und nicht blind auf ein Geständnis des Angeklagten vertrauen darf, der möglicherweise das Geständnis nur in der Hoffnung abgegeben hat, weil er oder sein Verteidiger dadurch den Weg für einen Deal und für ein milderes Urteil bereit sehen.
Insbesondere darf das Strafmaß, das ohne Geständnis bei einer Verurteilung zu erwarten ist, nicht wesentlich von dem Strafmaß abweichen, das mit einem Geständnis erreicht wird, da ansonsten der Angeklagte geradezu zu einem Geständnis getrieben wird, mag dieses auch nicht der Wahrheit entsprechen.
Bewegen sich die Verfahrensbeteiligten zwischen den im § 257c Strafprozessordnung verankerten gesetzlichen Leitplanken und beachten den Grundsatz, dass Deals schlüssig zur bestehenden Beweislage sein müssen, transparent zu gestalten sind und die Strafe letztlich immer schuldangemessen sein soll, so sind Verfahrensabsprachen oder Deals besser als ihr Ruf.
Oder anders gesagt: Deals sind mittlerweile gelebte Verfahrenspraxis, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 19. März dieses Jahres betont. Die Gerichte müssen aber weiterhin der Wahrheitssuche verpflichtet sein, dann haben Deals auch nichts mit einem Feilschen um die Gerechtigkeit auf dem Basar gemein.