Verschärfte Haftung und Hinweispflichten bei Krisenmandanten - 19. Juli 2017

Schweigen ist Silber, informieren ist Gold

Abweichend von der bisherigen Recht­sprechung belegt der Bundes­ge­richts­hof den Steuer­berater mit der Pflicht, auf eine etwaige In­sol­venz­reife hin­zu­weisen und vor In­sol­venz­gefahren zu warnen.

Mit seiner vor kurzem veröffentlichten Entscheidung vom 26. Januar 2017 (IX ZR 285/14) hat der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) die Haftung für Steuerberater bei der Beratung von Krisenmandaten entscheidend verschärft.
Erst 2013 hatte der BGH geklärt, dass eine Haftung nur eintreten könne, wenn der Steuerberater ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens beauftragt sei (Az. IX ZR 64/12, IX ZR 204/12). Es sei nicht Aufgabe des mit der allgemeinen steuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters, die Gesellschaft auf mögliche Insolvenzantragspflichten hinzuweisen. Seitdem galt die goldene Regel: „Wer schweigt, macht nichts falsch.“ Mit dieser Handhabung konnte die laufende Steuerberatungspraxis gut leben: Nur wer ungefragt zu einer möglichen Insolvenzreife Stellung bezog, haftete für die Richtigkeit seiner Aussagen. Und wer in der Krise den expliziten Auftrag übernahm, eine Insolvenzantragspflicht zu überprüfen, musste dann selbstverständlich auch richtig beraten.

Verschärfte Haftung

Nun hat der BGH seine Rechtsprechung in einem entscheidenden Punkt geändert: Auch der Haus-und-Hof-Steuerberater in der üblichen Dauerberatung haftet für In­sol­venz­ver­schlep­pungs­schäden, wenn er bei der Erstellung des Jahresabschlusses Zweifel an der Going-Concern-Prämisse hat und dennoch ohne Klärung diese Prämisse seiner Arbeit zugrunde legt. Kommt es später zur Insolvenz, muss der Steuerberater seinem Mandanten Schäden durch eine verspätete Insolvenzantragstellung ersetzen. Dabei ist der haftungsbegründende Mangel darin zu sehen, dass der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft zu Unrecht von Fortführungswerten ausgeht.
Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) ist hinsichtlich der Wertansätze der Handelsbilanz von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Die Unternehmensfortführung wird als gesetzlicher Regelfall so lange vermutet, bis Umstände sichtbar werden, die die Fortführung innerhalb des Prognosezeitraums (laufendes und folgendes Geschäftsjahr) unwahrscheinlich werden lassen. Seine eigene Haftung kann der Steuerberater nur vermeiden, wenn der Mandant bestehende Bedenken durch stichhaltige und Substanz aufweisende Erklärungen ausräumt. Auf bloße Aussagen der Geschäftsführung ohne sachlichen Gehalt darf er sich nicht verlassen. Eigene Nachforschungen, ob die Fortführungsannahme gerechtfertigt ist, muss der Steuerberater aber ohne einen ausdrücklich hierauf gerichteten Auftrag nicht anstellen.

Hinweispflicht

Der BGH belegt den Steuerberater außerdem mit der Pflicht, auf eine etwaige Insolvenzreife hinzuweisen und vor Insolvenz­gefahren zu warnen, wenn die Unternehmensfortführung zweifelhaft ist. Diese Gefahr ist nach Ansicht des BGH offenkundig, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aufweisen. Ein allgemeiner Hinweis des Steuerberaters an den Geschäftsführer, dass dieser verpflichtet sei, regelmäßig zu prüfen, ob die Gesellschaft noch zahlungsfähig und nicht überschuldet ist, reicht nicht aus. Der Steuerberater muss unter Angabe der einzelnen Umstände konkret darauf hinweisen, dass der Geschäftsführer aufgrund dieser Umstände Anlass habe, eine mögliche Insolvenzreife zu prüfen. Nur wenn der Steuerberater davon ausgehen darf, dass dem Geschäftsführer die Gefahr einer Insolvenzreife bewusst ist und er dies auch tatsächlich und rechtlich richtig einschätzen kann, Soll eine Warnpflicht entfallen. Dies müsste der Steuerberater im Zweifelsfall aber beweisen, um sich entlasten zu können.

Einschätzung

Die aktuelle Entscheidung des BGH führt zu einer deutlichen Verschärfung der Haftung des Steuerberaters, der ein Unternehmen in der Krise berät – und zwar gerade dann, wenn der Beratungsauftrag nur die Jahresabschlusserstellung ­betrifft. Die bisherige Privilegierung der Beratung im Dauermandat war auch nicht unumstritten. In vielen Kleinbetrieben ist der Geschäftsführer kein Betriebswirt, sondern Meister seines Fachs. Der Steuerberater ist hier oftmals der ­gefragte Ansprechpartner mit finanzwirtschaftlicher Kernkompetenz. Die bisherige Rechtsprechungspraxis führte regelmäßig dazu, dass der Steuerberater auf eine Insolvenz hinweisende Umstände nicht erwähnte, um eine eigene Haftung zu vermeiden. Nunmehr schlägt sich der BGH auf die Seite der Unternehmer: Ein Mandant erwarte von seinem Steuerberater auch bei einem beschränkten Mandatsgegenstand, dass dieser offene Fragen mit seinem Mandanten bespricht, über drohende Gefahren aufklärt und den Mandanten dadurch in die Lage versetzt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen oder Entscheidungen herbeizuführen.

Handlungsempfehlung für künftige Fälle

Erhält ein Steuerberater im Rahmen der Bilanzerstellung Unterlagen, welche die Unter­neh­mens­fort­führung zweifelhaft erscheinen lassen, sollte der Steuerberater den Ge­schäfts­führer auf die konkreten Umstände hinweisen, die ­einem Ansatz von Fortführungswerten ohne weitere Prüfung entgegenstehen, und, wenn der Geschäftsführer die Zweifel nicht sofort beseitigen kann, ihm dringend raten, eine Fortführungsprognose fachkundig erstellen zu lassen. Zur Vermeidung einer eigenen Haftung sollte der Steuerberater seine Warnhinweise beziehungsweise Rückfragen zum Ansatz von Fortführungswerten gewissenhaft dokumentieren.

Eine Haftung des Beraters kann ausgeschlossen sein, wenn der Berater ausdrücklich angewiesen wurde, Fortführungswerte anzusetzen und damit eine im Zweifel mangelhafte ­Bilanzierung vorzunehmen. Grundsätzlich darf ein Steuerberater jedoch nicht an unzulässigen Wertansätzen im Jahresabschluss mitwirken. Besteht der Mandant auf diesem Wertansatz, muss der Steuerberater dies in geeigneter Weise in seiner Bescheinigung oder dem Erstellungsbericht würdigen oder den Auftrag niederlegen (vgl. Tz. 29 der Verlautbarung der Steuerberaterkammer zur Erstellung von Jahresab­schlüssen). Eine solche Weisung sollte sich der ­Berater zudem immer schriftlich geben lassen. Denn in einer späteren Insolvenz muss sich ein Geschäftsführer regelmäßig selbst für sein Tun rechtfertigen und wird daher wenig geneigt sein, eine mündliche Weisung zu bestätigen. Im Hinblick auf Dritte, die auf den Jahresabschluss vertrauen könnten, sollte bereits der Auftrag den Adressatenkreis ­begrenzen. Vor allem sollte der Steuerberater entsprechend den Verlautbarungen der Bundessteuer­beraterkammer ­Erstellungsbericht und Bescheinigung im Jahresabschluss sorgsam an die vorgefundenen Gegebenheiten anpassen. Hierbei ist besonders darauf zu achten, dass die Erläuterung von Risiken nicht zu einer Erweiterung des Auftrags in Richtung einer insolvenzrechtlichen Beratung führt.
Die gleiche Sorgfalt sollte der Steuerberater auch beim ­Erstellen einer BWA walten lassen, da diese ebenfalls eine entscheidende Grundlage für die finanzielle Planung eines Unternehmens darstellt. Eine Haftungsfalle droht hier, wenn der Steuerberater im Rahmen der Jahresabschlusserstellung auf Insolvenzgefahren hinweist. Nimmt man die neue haftungsfreundliche Tendenz der Rechtsprechung ernst, muss der Berater gut begründen, warum er diese Erkenntnis nicht schon viel zeitnäher aus der BWA entnommen und das ­Unternehmen früher gewarnt hat.

Fazit

Es ist zu befürchten, dass Insolvenzverwalter auch Altfälle aufgreifen werden.

Auf Grundlage der Entscheidung des BGH ist zu befürchten, dass Insolvenzverwalter auch in Altfällen Regressansprüche geltend machen werden, da Steuerberater aufgrund ihrer Berufs­haft­pflicht­ver­sicherung solvente Schuldner sind. Im Urteilsfall musste ein Steuerberater letztlich haften, obwohl er sich der damals noch geltenden Rechtsprechung gemäß verhalten hatte. Werden Ansprüche geltend gemacht, kann ein Berater aber durchaus versuchen, diese mit fachkundiger Unterstützung abzuwehren. Die Haftungsgrund­lage ist in der Praxis selten so einfach gegeben oder nachzuweisen, wie Insolvenzverwalter dies gern vorrechnen.

Foto: tareo81 / Getty Images

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Zu den Autoren

Dr. Raoul Kreide

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