Organ­haftung - 13. Februar 2019

Schau aufs Geld

Werden bei Zahlungs­un­fähigkeit oder Über­schu­ldung einer Kapital­ge­sell­schaft noch Zahlungen geleistet, haftet die Ge­schäfts­führung be­zie­hungs­weise der Vor­stand per­sön­lich. Nach neuerer Recht­sprechung gilt dies auch für Bar­ge­schäfte.

In einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Juli 2017 (II ZR 319/15) ging es unter anderem um die Frage, ob der Beklagte als ehemaliger Direktor der Firma S, einer Limited nach englischem Recht, die eine Niederlassung in Deutschland hatte, verpflichtet war, Zahlungen des Unternehmens in Höhe von insgesamt 6.508,27 Euro für Energie, Wasser, Kaffeeautomatenservice, Telekommunikations- und Internetkosten sowie von 9.208,51 Euro für Gehälter zur Insolvenzmasse zu erstatten. Diese Zahlungen waren nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens geleistet worden. Das Berufungsgericht hatte eine Ersatzpflicht des Beklagten noch mit der Begründung verneint, dass es sich bei den betreffenden Zahlungen um Leistungen gehandelt habe, die als Bargeschäfte im Sinne von § 142 Insolvenzordnung (InsO) privilegiert seien und deshalb vom Insolvenzverwalter – auch gegenüber dem Zahlungsempfänger – nicht angefochten werden könnten. Derartige Leistungen unterlägen nicht dem Zahlungsverbot des § 64 Satz 1 des Gesetzes betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), weil die durch die jeweilige Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen werde.

Keine Enthaftung bei Bargeschäften

Der BGH hat hierzu klargestellt, dass nach Eintritt der Insolvenz­reife zunächst auch Zahlungen, für die in unmittelbarem Zusammenhang eine Gegenleistung erfolgt, eine Ersatzpflicht des Geschäftsführers begründen. Diese Ersatzpflicht entfalle nur, wenn und soweit die hierdurch bewirkte Masseschmälerung – mit oder ohne Zutun des Geschäftsführers – ausgeglichen werde, weil damit der Zweck von § 64 Satz 1 GmbHG, die Masse im Interesse der Gläubiger zu erhalten, erreicht sei. Da der Vorgang der Masseschmälerung, der die Erstattungspflicht auslöst, jeweils in der einzelnen Zahlung bestehe, könne auch nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich berücksichtigt werden. Vielmehr sei ein unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss als Ausgleich der an sich erstattungspflichtigen Masseschmälerung angesehen werden könne.

Regeln des Bargeschäfts nicht anwendbar

Auf die Frage, ob ein solcher Zufluss vorliege, seien die Regeln des Bargeschäfts nicht entsprechend anwendbar. Erstens hätten die Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG und die Insolvenzanfechtung unterschiedliche Voraussetzungen. So schütze das Anfechtungsrecht vor einer Gläubigerbenachteiligung durch die Verminderung der Aktivmasse sowie durch die Vermehrung der Schuldenmasse. Demgegenüber schütze § 64 Satz 1 GmbHG die Gläubiger nur vor einer Benachteiligung durch eine Verminderung der Aktivmasse. Zweitens verfolge das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO ­einen anderen Zweck, als das Entfallen der Ersatzpflicht des Geschäftsführers bei einem Ausgleich der Masseschmälerung. Denn § 142 InsO schütze das Vertrauen einzelner Gläubiger, die als Bargeschäft privilegierte Gegenleistung des Schuldners behalten zu dürfen, um zu verhindern, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befinde, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen werde. Demgegenüber sei der Geschäftsführer gehalten, den Geschäftsbetrieb seiner Gesellschaft gerade nicht fortzusetzen, sondern unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen. Da es lediglich auf einen wirtschaftlich zuzuordnenden Massezufluss ankomme, sei auch – anders als beim Bargeschäft – kein zeitlicher Zusammenhang erforderlich. So könne etwa eine erfolgreiche Anfechtung der verbotenen Zahlung auch noch nach längerer Zeit die Haftung des Geschäftsführers entfallen lassen.

Berücksichtigung von Gegen­leistungen als Massezufluss

Dienstleistungen führen nicht zu einer Vergrößerung der Aktivmasse und sind damit kein Ausgleich für einen Masseabfluss.

Die in die Masse gelangte Gegenleistung kann nach den Gründen des referierten Urteils durch den Geschäftsführer die bewirkte Masseverkürzung nur dann ausgleichen, wenn sie für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet ist. Für diese Bewertung sei der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Leistung zugeflossen ist. Aufgrund der bestehenden Insolvenzreife sei jedoch auch darauf abzustellen, ob die Insolvenzgläubiger die Leistung verwerten könnten, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt das Verfahren eröffnet sei. Dies sei bei Arbeits- oder Dienstleistungen regelmäßig nicht der Fall. Dienstleistungen führten nicht zu einer Vergrößerung der Aktivmasse und seien damit kein Ausgleich für einen Masseabfluss. Das gelte im streitgegenständlichen Fall auch für Arbeitsleistungen, die den Gehaltszahlungen gegenüberstehen. Auch die bezahlten Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen sowie die Bereitstellung von Internet und Kabelfernsehen hätten die für die Gläubiger verwertbare Aktivmasse nicht erhöht und bildeten damit keinen Ausgleich für die durch die betreffenden Zahlungen bewirkten Masseschmälerungen. Schließlich wären auch die mit dem Coffee Service etwa verbundenen Materiallieferungen nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Zum einen seien insoweit grundsätzlich Liquidationswerte anzusetzen. Und zum anderen setze selbst eine Bewertung zu Liquidationswerten voraus, dass diese Gegenstände für die Insolvenzgläubiger verwertbar wären. Das sei aber weder vorgetragen worden, noch sei es ersichtlich.

Erforderlichkeit der bezahlten Leistungen

Zu guter Letzt sei nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich, dass die bezahlten Leistungen gemäß § 64 Satz 2 GmbHG erforderlich gewesen seien, um einen sofortigen Zusammenbruch eines auch in der Insolvenz sanierungsfähigen Unternehmens zu verhindern. In einem derartigen Fall wären die Zahlungen nämlich nach der zitierten Vorschrift wegen Abwendung eines größeren Schadens für die Gläubiger entschuldigt gewesen.

Hinweise für die Praxis

Wie bisher sollten die Mitglieder der geschäftsführenden Organe von Kapitalgesellschaften strikt darauf hinwirken, dass nach Eintritt der Insolvenzreife nur noch Zahlungen geleistet werden, die erfordelich sind, um einen ansonsten drohenden sofortigen Zusammenbruch eines auch in der Insolvenz sanierungsfähigen Unternehmens zu verhindern. Dabei sind sowohl die Erforderlichkeit der betreffenden Zahlungen als auch die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens in der Insolvenz zu prüfen und zu dokumentieren. Im Streitfall sind die Organmitglieder für beides darlegungspflichtig und beweisbelastet.

Persönliche Haftung

Jedenfalls können Organmitglieder einer persönlichen Haftung für Lohnzahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife nicht mehr entgegenhalten, die fraglichen Zahlungen fielen unter das Bargeschäftsprivileg. Da solche Zahlungen andererseits auch nicht angefochten werden können, sind sie unter Haftungsgesichtspunkten für die Organmitglieder sogar besonders riskant. Aus dieser Gemengelage kann sich unter anderem die Notwendigkeit ergeben, nur noch diejenigen Mitglieder der Belegschaft zu bezahlen, die für eine Sanierung des Unternehmens gebraucht werden. Die übrigen Mitarbeiter sollten dann sofort freigestellt und nicht mehr bezahlt werden.

Zahlungen anfechten

Kommt es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, sollten die Organmitglieder nach besten Kräften darauf hinwirken, dass der Insolvenzverwalter oder – im Falle einer Insolvenz in Eigenverwaltung der Sachwalter – Zahlungen anfechtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet wurden, weil mit Rückerstattung der geleisteten Zahlungen durch den Anfechtungsgegner der Erstattungsanspruch gegen die Organmitglieder untergeht. Sofern Indizien vorliegen, die einen Insolvenzantrag begründen, sollte der beratende Steuerberater die Geschäftsführung unverzüglich und schriftlich darauf hinweisen und eine entsprechende Prüfung empfehlen.

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Zum Autor

JR
Jochen Rechtmann

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht; Geschäftsführer des Frankfurter Büros von Buchalik, Brömmekamp Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf, Dresden, Berlin, Frankfurt und Stuttgart

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