Kapitalbindung - 25. Mai 2016

Ringen um Regeln

Die Europäische Kommission will berufs­recht­liche Re­ge­lun­gen wie die Ka­pi­tal­bin­dungs­vor­schrift bei Frei­be­ruf­lern lockern, um die Bin­nen­nach­frage zu stärken. Doch diese haben eine wichtige Funktion für den Ver­brau­cher­schutz. Daher sprechen aus deutscher Sicht gute Ar­gu­men­te für die Bei­be­hal­tung der Ka­pi­tal­bindung im na­tio­nalen Berufsrecht.

Anteile an Steuerberatungsgesellschaften dürfen in Deutschland direkt oder indirekt nur durch Personen gehalten werden, die zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind. Diese Ka­pi­tal­bin­dung ist der Generaldirektion für Binnenmarkt und Dienstleistungen der Europäischen Kom­mis­sion bereits seit Längerem ein Dorn im Auge. Forderungen nach Lockerung der be­rufs­recht­lichen Re­ge­lun­gen bei Freiberuflern sind regelmäßig Bestandteil der länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des europäischen Semesters. Ebenso wurden Beschränkungen der Be­tei­li­gungs­mög­lich­keiten bei Freiberuflergesellschaften in der Binnenmarktstrategie vom 28. Oktober 2015 kritisiert. Diese setzt die Schwerpunkte der Juncker-Kommission in Bezug auf den Binnenmarkt in der EU. Doch was will die Kommission mit ihrer Kritik erreichen?

Wirtschaftswachstum

Die EU führt bei ihren Betrachtungen und Empfehlungen stets wirtschaftliche Gründe an, die für eine Reform berufsrechtlicher Regelungen sprechen. Die Argumentationskette ist recht einfach erklärt: Weniger Regulierung führt zu geringeren Preisen und höherer Produktivität durch die Dienstleister, dadurch kommt es zu einer höheren Nachfrage nach den Dienstleistungen, was wiederum zu einer Stärkung der Binnennachfrage und letztendlich zu einem stärkeren Wirt­schafts­wachs­tum führt. Weitere, überwiegend positive Effekte der Regulierung wie Ver­brau­cher­schutz und -zufriedenheit, Dienstleistungsqualität oder Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Dienstleistung, werden nicht betrachtet. Dieser Logik liegen einige Studien zugrunde, die den Istzustand in den einzelnen Mitgliedstaaten vergleichen. Inwiefern jedoch De­re­gu­lie­rungs­be­mühun­gen für Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sorgen oder ob andere Faktoren verantwortlich sind, ist nicht ersichtlich.

Europarecht

Die Kapitalbindung bei Steuerberatungsleistungen kann zweifellos als eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit angesehen werden. Die europäische Dienstleistungsrichtlinie, die diese Grundfreiheit innerhalb der EU regelt, lässt jedoch einzelstaatliche Einschränkungen ausdrücklich zu, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und zur Erreichung des Ziels geeignet sind. Die Einschränkungen dürfen dabei allerdings nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen beziehungsweise durch eine weniger ein­schnei­den­de Regelung ersetzt werden können. Die Förderung des Verbraucherschutzes, die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Steuerrechtspflege sowie die Verhinderung der Steuer­hin­ter­ziehung stellen zwingende Gründe des Allgemeininteresses dar, die Einschränkungen der Dienst­leis­tungs­frei­heit durch berufsrechtliche Regelungen rechtfertigen können. Dies hat der Euro­pä­ische Ge­richts­hof erst jüngst in einem Urteil vom 17. Dezember 2015 (Az. C‑342/14) in anderem Zu­sam­men­hang bestätigt. Es stellt sich demnach lediglich die Frage nach der Er­for­der­lich­keit und der An­ge­mes­sen­heit der deutschen Regelungen zur Ka­pi­tal­bin­dung. Hierzu muss man den Zweck und die Funktionen der Kapitalbindung bewerten.

Verbraucherschutz

Die Kapitalbindungsvorschriften übernehmen eine wichtige Funktion für den Verbraucherschutz, indem sie die Unabhängigkeit der Berufsausübung von Steuerberatern sicherstellen. Sie garan­tie­ren, dass Steuerberater als Organe der Steuerrechtspflege frei vom Gewinnstreben berufsfremder Gruppen bestmöglich im Sinne des Mandanten beraten können. Anderenfalls könnten Mit­ge­sell­schafter schon bei einer geringen Beteiligungsquote Informationsrechte beanspruchen und die Meinungsbildung beeinflussen. Daher stellt die Öffnung der Ka­pi­tal­bindung mit einer Beschränkung des Beteiligungsanteils (beispielsweise 24,9 oder 49,9 Prozent) keine mögliche Alternative zur bestehenden Regelung dar. Deutlich wird dies besonders in den Be­ra­tungs­be­reichen Vermögensplanung und -verwaltung. Bei Fragen des Vermögensschutzes oder der Kapitalanlage ist die Unabhängigkeit besonders wichtig, da sie Grundvoraussetzung für eine objektive und bestmögliche Beratung ist. Mit gewerblichen Teilhabern, beispielsweise Banken oder Versicherungen, wäre diese Unabhängigkeit nicht mehr gegeben und damit auch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Berater und Mandant, das von Privatpersonen und Unternehmen stets geschätzt wird, nachhaltig gefährdet.

Steuergeheimnis und Schutz der Mandantendaten

Die Regelungen zur Kapitalbindung stellen bisher sicher, dass vertrauliche Daten nur einem eng abgegrenzten Personenkreis zugänglich sind, der per Gesetz besonderen berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten unterliegt. Diese Regelungen wurden eingeführt, um genau diese Daten effektiver zu schützen. Hätten Berufsfremde eine Beteiligungsoption, könnten sie beispielsweise nach § 51a GmbHG vom Geschäftsführer Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen und die Einsicht in die Bücher und Schriften fordern. Hieraus ergäbe sich die Möglichkeit für den berufsfremden Gesellschafter, auch ohne unmittelbare Einsicht in die Mandantenakten besondere Kenntnisse über die Mandantenstruktur zu erlangen und diese gegebenenfalls auch für eigene gewerbliche Zwecke zu nutzen. In der Steuerberatung werden sensible und höchstpersönliche Daten der Mandanten verarbeitet, welche ebenso schützenswert sind wie Patientendaten bei Ärzten.

Flächendeckende Versorgung

Eine weitere wichtige Funktion der Kapitalbindungsvorschriften stellt die Verhinderung einer übermäßigen Marktkonzentration und die damit einhergehende flächendeckende Versorgung mit Steuerberatungsleistungen dar. Die Aufhebung der Bindungsvorschriften könnte dazu führen, dass die Beteiligung ausschließlich als bloße Kapitalanlage betrachtet wird. Ohne eine ei­gen­ver­ant­wort­liche Einbindung in das Beteiligungsunternehmen würde ein möglicher Investor ausschließlich nach Renditegesichtspunkten entscheiden. Dies führt zu der Gefahr, dass über eine große Zahl von Beteiligungen eine Industrialisierung der Dienstleistung vorangetrieben würde, die allein auf Synergieeffekte durch Kostenoptimierungen abzielt. Die hieraus entstehende Konzentration auf normierte Produkte würde die Verhandlungsposition der Mandanten verschlechtern und die berufliche Unabhängigkeit der Steuerberater einschränken. Die höchst­per­sön­liche Dienstleistung, die der Mandant von seinem Steuerberater erwartet, wäre in diesem Fall letztlich nicht mehr gewährleistet. Es besteht ebenso die Gefahr, dass in großem Ausmaß kleine und mittlere Steuerberatungspraxen verdrängt würden, während sich größere Be­ra­tungs­ein­heiten lediglich in Ballungszentren niederlassen würden, mit all den negativen Folgen, die dies für eine gute flächendeckende Versorgung der ratsuchenden Verbraucher mit steuerberatenden Dienstleistungen hätte.

Fazit

Aus deutscher Sicht sprechen daher gute Argumente für die Beibehaltung der Kapitalbindung im nationalen Berufsrecht, die auch im Falle einer tiefer gehenden Untersuchung der EU-Kommission Bestand haben müssen. Binnenmarktkommissarin Elżbieta Bieńkowska verfolgt daher aktuell einen anderen Ansatz, um die Deregulierungsbemühungen auf europäischer Ebene voran­zu­bringen: Die Mitgliedstaaten sollen „intelligenten Regelungen“ den Vorzug geben. Dafür sollen sie die Regulierungsmodelle der anderen Staaten bewerten, um in diesem Rahmen selbst zu erkennen, dass weniger Regulierung besser ist. Inwiefern dieser Ansatz jedoch zu einem stärkeren Abbau von berufsrechtlichen Regelungen führt, bleibt abzuwarten. Würden die Staaten tatsächlich ein Weniger an Regulierung als besser bewerten, hätten sie sicherlich bereits von sich aus Reformen durchgeführt, wie dies in anderem Zusammenhang auch durchaus schon geschehen ist. Nicht unterschätzen darf man jedoch den politischen Druck aus Brüssel und anderen Mitgliedstaaten. Berufsrechtliche Regelungen könnten – unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit – zur Verhandlungsmasse werden und gegen übergeordnete Ziele eingetauscht werden. Der Deutsche Steuerberaterverband und das Bundesfinanzministerium stehen hinter der Kapitalbildung und haben sich zum Ziel gesetzt, diese auch weiterhin zu verteidigen.

Zum Autor

RB
René Bittner

Steuerberater, Referent für Europaangelegenheiten und Berufsrecht beim Deutschen Steuerberaterverband e.V.

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