Rechte der Betroffenen - 23. Oktober 2017

Und ich soll nichts bekommen

Ein Pflicht­teils­berech­tig­ter muss sich mit seiner Ent­er­bung nicht zwin­gend ab­finden. Unter Um­ständen kann er die letzt­willige Verfügung zu Fall bringen.

Entgegen landläufiger Meinung sind Geschwister und entferntere Verwandte nicht pflichtteilsberechtigt.

Grundsätzlich kann jeder Erblasser über sein Vermögen zu Lebzeiten und von Todes wegen frei verfügen. Ändert der Erblasser die gesetzliche Erbfolge mittels letztwilliger Verfügung ab und enterbt er so einen oder mehrere seiner nahen Angehörigen, steht dem oder den Enterbten aufgrund der im Grundgesetz verankerten Erbrechtsgarantie der allgemein bekannte Pflichtteilsanspruch zu. Zum Kreis der abstrakt pflichtteilsberechtigten Personen zählen der Ehegatte, der eingetragene gleichgeschlechtliche Lebens­partner sowie die Abkömmlinge des Erblassers, sofern deren Recht nicht von Gesetzes wegen oder in anderer Weise, wie zum Beispiel aufgrund einer berechtigten Pflichtteilsentziehung, ausgeschlossen ist. Hinterlässt der Erb­lasser keine Abkömmlinge, steht auch den Eltern des Erblassers ein Pflichtteilsanspruch zu. Eltern und entferntere Abkömmlinge, also Enkel, Urenkel und so weiter, sind nicht pflicht­teilsberechtigt, wenn der Erblasser einen direkten Abkömmling hinterlässt; sie stehen somit in Konkurrenz zueinander. Entgegen landläufiger Meinung sind Geschwister und entferntere Verwandte nicht pflichtteilsberechtigt. Der Pflichtteilsanspruch beläuft sich auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die Höhe des zum Zeitpunkt des Todes (dem Stichtag) noch vorhandenen Nachlasses bestimmt die Höhe des Pflichtteils. Ein enterbter Pflichtteilsberechtigter kann zwei Strategien verfolgen. Zum einen kann er versuchen, seinen Anteil am Kuchen zu vergrößern, zum anderen hat er auch die Option, den Kuchen selbst zu vergrößern, aus dem sich sein Pflichtteilsanspruch errechnet.

Unwirksamkeit des Testaments

Die effektivste Methode zur Ausweitung der Teilhabe am Nachlass, also zur Vergrößerung des Anteils daran, besteht für den Pflichtteilsberechtigten natürlich darin, die ihn von der Erbfolge ausschließende Verfügung selbst zu Fall zu bringen. Er kann sich dazu auf deren Formnichtigkeit berufen oder auf die fehlende Testierfähigkeit des Erblassers, und er kann die letztwillige Verfügung selbst anfechten. Sofern die letztwillige Verfügung wegfällt, wird der Pflichtteilsberechtigte kraft der dann eintretenden gesetzlichen Erbfolge (Mit-)Erbe.

Formvorschriften

Der Gesetzgeber knüpft die Wirksamkeit des hierzulande erstellten Einzeltestaments genauso wie die des gemeinschaftlichen Testaments, das Ehegatten gemeinsam errichten können, an die handschriftliche sowie unterschriebene Niederlegung des sogenannten Letzten Willens, § 2247 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Bei gemeinschaftlichen Testamenten genügt es insoweit, dass der zweite Ehegatte mit unterschreibt (§ 2267 BGB). Eine Datierung des Testaments ist dagegen nicht zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung, gleichwohl aber sinnvoll, damit erkennbar ist, welches Testament das jüngste ist, das von dem oder den Erblassern verfasst wurde. Der Erbvertrag kann im Gegensatz dazu sogar nur vor einem Notar wirksam geschlossen werden (§ 2276 BGB). Werden diese Formvorschriften nicht gewahrt, ist das Testament beziehungsweise der Erbvertrag ohne Weiteres unwirksam.

War der Erblasser überhaupt testierfähig?

Wesentlich schwieriger ist der Nachweis der fehlenden Testierfähigkeit des Erblassers (§ 2229 Abs. 4 BGB). Zu den Krankheitsbildern, die zur Testierunfähigkeit führen, zählen degenerativ bedingte Gehirnerkrankungen wie Demenz, speziell die Alzheimer-Demenz, die Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns sowie körperliche Erkrankungen wie Schizophrenie, Manie und Depression. Auch Abhängigkeitserkrankungen und höhergradige Intelligenzminderungen können die Testierunfähigkeit begründen. Sie kann nur durch das Gutachten eines Neurologen und Psychiaters festgestellt werden. Die besondere Schwierigkeit liegt dabei darin, dass dieses Gutachten in der Regel postmortal erstellt wird und der Gutachter so auf die Angaben Dritter, vor allem weiterer Ärzte, Pflegekräfte und sonstiger mit dem Erblasser in Kontakt stehender Personen angewiesen ist.

Kann das Testament auch angefochten werden?

Zu guter Letzt steht dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit offen, das Testament innerhalb eines Jahrs ab Kenntnis eines Anfechtungsgrunds anzufechten. Zu den Anfechtungsgründen gehört vor allem der Motivirrtum des Erblassers (§ 2078 BGB). Ein solcher Motivirrtum liegt vor, wenn der Erblasser anders verfügt hätte, wenn er die wirkliche Sachlage gekannt hätte. Sein Motiv, warum er den Pflichtteilsberechtigten enterbt hat, muss dazu also auf einem Irrtum beruhen. Eine Anfechtungsmöglichkeit kann sich schließlich auch daraus ergeben, dass der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei Errichtung des Testaments entweder nicht bekannt war, etwa ein ihm nicht bekanntes eigenes Kind, oder der erst nach der Testamentserrichtung geboren beziehungsweise pflichtteilsberechtigt geworden ist (§ 2079 BGB). Im letzteren Fall kann allerdings nur der übergangene Pflichtteilsberechtigte selbst das Testament anfechten.

Fazit

Es ist mitunter schwierig, den Anteil am Kuchen zu vergrößern, aber es ist nicht gänzlich unmöglich. Deshalb sollten beim Eintritt des Erbfalls alle denkbaren Konstellationen und Möglichkeiten sorgfältig geprüft werden.

Zum Autor

Ralph Binder

Rechtsanwalt sowie Fachanwalt für Arbeits- und Erbrecht. Er ist Partner in der Kanzlei Binder und Partner, Passau, Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeits­gemeinschaft Kanzleimanagement im Deutschen AnwaltVerein.

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