Digitaler Nachlass - 17. Juli 2018

Rechtsnachfolge in der virtuellen Welt

Digitale Konten, aber auch E-Mails gehören zum Nachlass, ebenso wie etwa Briefe oder Tagebücher aus unserem analogen Leben. Das gilt nach einem richtungsweisenden Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 2018. Vollkommene Rechtssicherheit bringt aber auch diese Entscheidung nicht.

Nach dem Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge tritt der Erbe an die Stelle des Verstorbenen. Unstreitig gehören zum Nachlass auch Fotoalben, Tagebücher oder persönliche Briefe, die der Erblasser einst erhalten hat. Daher kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) auch nichts anderes für digitale Konten oder Accounts gelten, so dass auch ein Nutzungsvertrag bei einem sozialen Netzwerk, wie etwa Facebook, auf die Erben übergeht.

Ausgangsfall

Jahrelang hatten die Eltern einer verstorbenen 15-Jährigen gegen Facebook geklagt. Nun endlich bekamen sie recht. Facebook muss den Zugang zum Konto der verstorbenen Tochter öffnen. Den Eltern war es trotz Kenntnis des Passworts unmöglich, sich in das Konto einzuloggen, da der Konzern den Account in einen sogenannten Gedenkzustand, einen Modus speziell für Verstorbene, versetzt hatte. Vor dem Landgericht Berlin in erster Instanz bekamen die Eltern des Mädchens noch recht, weil nach Ansicht des Gerichts das digitale Erbe nicht anders zu behandeln sei als das analoge. Das Kammergericht Berlin sah das anders und vertrat in der Berufungsverhandlung die Ansicht, dass dem Zugriff der Eltern das Fernmeldegeheimnis entgegenstehe, speziell mit Blick auf die Kommunikationspartner ihrer verstorbenen Tochter.

BGH-Entscheidung

Die Richter in Karlsruhe hingegen halten das Facebook-Konto schlicht für vererbbar. Dem stehe auch der Geheimnisschutz nicht entgegen. Der Erbe trete vollständig an die Stelle des verstorbenen Facebook-Nutzers und sei daher „keine andere Person“ im Sinne des Gesetzes. Wer über Facebook eine Nachricht schreibe, kommuniziere mit Nutzerkonten, nicht mit bestimmten Menschen, so der BGH. Ergo könne der Versender einer Nachricht nicht darauf vertrauen, dass nur der Kontoinhaber und niemand anderes die Inhalte zu sehen bekomme. Da auch Briefe und Tagebücher vererbt werden können, sei kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, digitale Inhalte anders zu behandeln. Der Gedenkmodus von Facebook sei nicht rechtens, da die verstorbene Tochter seinerzeit mit Facebook einen Nutzungsvertrag geschlossen hatte und die Eltern als Erben in diesen Vertrag eingetreten seien. Zudem liege keine Unvererblichkeit des Vertragsverhältnisses vor, da der Vertrag insbesondere nicht höchstpersönlicher Natur sei.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des Kammergerichts war massiver Kritik ausgesetzt, weil sie es nahezu unmöglich machte, Daten zu vererben, die auf den Servern Dritter lagern. Folglich ist das Grundsatzurteil des BGH ist für viele, auch die meisten Juristen, eine gute Entscheidung. Facebook als Gralshüter des Datenschutzes, gerade Facebook! Das ist bemerkenswert, hatte es doch der Konzern in der Vergangenheit mit den persönlichen Daten der Nutzer nicht so genau genommen. Und abgesehen davon gebe es tatsächlich keinen Unterschied zwischen analogem und digitalem Erbe, zwischen dem Fotoalbum daheim im Regal und einem Nutzerkonto in sozialen Netzwerken. Aber ist das wirklich so? Nach Ansicht von Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler, Rechtswissenschaftler und Experte für Internetrecht an der Universität zu Oldenburg, ist die BGH-Entscheidung juristisch hochproblematisch, wenn nicht sogar falsch, und würde einer Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht womöglich nicht standhalten. Die Richter in Karlsruhe hätten den Fall ausschließlich nach erbrechtlichen Gesichtspunkten bewertet und dabei den gewaltigen Unterschied zwischen der analogen und der digitalen Welt, der tatsächlich besteht, übersehen. Denn ein Fotoalbum im Regal oder eine Schublade voller Briefe ist eben etwas völlig anderes wie die in einer Cloud gespeicherte Daten, so Boehme-Neßler. Eine Schlüsselfrage des gesamten Verfahrens war auch, wie mit dem digitalen Erbe umzugehen sei, wenn die Rechte anderer Kommunikationspartner berührt sind. Steht das Fernmeldegeheimnis dem Erbrecht entgegen, muss die Kommunikation vertraulich bleiben, argumentieren die die Kritiker der BGH-Auffassung. Und das gelte auch für die Erben, um all jene zu schützen, die dort Nachrichten hinterlassen haben. Diese Aspekte habe der BGH bei seiner Entscheidung viel zu wenig berücksichtigt. Daher kann das Urteil allein die bis zum heutigen Tage entstandene Rechtsunsicherheit nicht vollends aus der Welt schaffen.

Gesetzgeber gefordert

Unsere digitale Welt ist kompliziert und wird künftig noch komplexer. Das ist absehbar. Sie wird weitere Fragen hinsichtlich der Regelung von Sachverhalten aufwerfen. In wenigen Jahren wird die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nur noch via Internet kommunizieren. Daher ist der Gesetzgeber gefordert, seinen vagen Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag nun endlich Taten folgen zu lassen und verbindliche Regelungen für die digitale Welt, speziell den digitalen Nachlass, zu treffen. Denn das Erbrecht hinkt dem digitalen Zeitalter weit hinterher. Daran ändert auch das BGH-Urteil nichts. Dreiviertel der Deutschen fänden es gut, wenn es eine gesetzliche Regelung zum digitalen Nachlass gäbe, vergleichbar dem Erbrecht im analogen Bereich. Auch der Deutsche Anwaltverein fordert seit langem verbindliche Regelungen für die digitale Welt, um etwa Unsicherheiten bei Firmendokumenten oder Vertragsunterlagen, die sich in einer Cloud befinden, zu beseitigen. Dass dieser Bereich bis heute nicht geregelt ist, halten viele für ein klares Versäumnis der Politik. Unverständlich eigentlich, wo wir doch die Bürokratie-Weltmeister schlechthin sind.

Digitalen Nachlass regeln

Waren es bis vor kurzem also nur Geld oder Gegenstände, in vielen Fällen auch Immobilien, die wir als Erben erhielten, so gehören inzwischen auch Hinterlassenschaften aus der digitalen Welt zur Erbmasse. Wir kommunizieren per E-Mail, schließen über das Internet Verträge ab, erledigen dort Bankgeschäfte oder buchen Reisen. Und wir halten uns in sozialen Netzwerken auf, wie etwa Instagram, Facebook oder YouTube. Da empfiehlt es sich, den letzten Willen auch für die virtuelle Welt zu regeln.
Für viele aber ist der digitale Nachlass immer noch ein unangenehmes Thema, dem man sich nur ungern widmet. Vor allem jüngere Menschen denken kaum darüber nach, was mit ihrem digitalen Echo, das sie hinterlassen, einmal geschieht. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom haben acht von zehn Internetnutzern ihren digitalen Nachlass noch nicht geregelt.
Wozu das führen kann, zeigt der Fall eines Krypto-Millionärs, der in 2018 verstarb und ein Vermögen von 250 Mio. US-Dollar in einer Kryptowährung hinterließ. Da er keine Regelung hinsichtlich der Zugangsdaten oder Passwörter für die diversen Online-Konten traf, hat die Familie des Verstorbenen bis heute keinen Zugriff auf sein Vermögen und schaut in die Röhre.

Zum Autor

Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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