Verbandssanktionengesetz - 28. Juli 2022

Gesetzgebung vertagt

Das neue Gesetz zur Regelung des Unternehmensstrafrechts hatte es in der letzten Legislaturperiode nicht mehr ins Bundesgesetzblatt geschafft. Die Ampelkoalition hat das Gesetzesvorhaben zwar wieder auf der Agenda, aber aufgrund der brisanten politischen Lage erneut zurückgestellt.

Das Verbandssanktionengesetz (VerSanG) ist ein sehr umstrittenes Gesetzgebungsvorhaben. Im Koalitionsvertrag der vorherigen Bundesregierung wurde 2018 die Umsetzung der Neuordnung des Sanktionsrechts für Unternehmen zur wirksamen Ahndung von Wirtschaftskriminalität vereinbart. Im August 2019 hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) dazu einen Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgelegt. Im April 2020 legte das BMJV dann eine aktualisierte Fassung des Entwurfs als Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft vor.

Massive Kritik

Obgleich verschiedene Institutionen den Gesetzesentwurf stark kritisierten, wurde er im Juni 2020 von der Bundesregierung beschlossen. Die Stellungnahmen verschiedener Institutionen zum Entwurf veröffentlichte das BMJV, bevor er dann von der Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens in den Bundesrat eingebracht wurde. Daraufhin äußerte der Bundesrat seine Kritik in der Sache und wies insbesondere in seinen Stellungnahmen auf einen fachlichen Änderungsbedarf an verschiedenen Passagen des Entwurfs hin (BR-Drucksache 440/20). Dennoch brachte die damalige Bundesregierung im Oktober 2020 den Entwurf (BT-Drucksache 19/23568 vom 21.10.2020) in den Bundestag ein, wo er jedoch wegen unklarer Positionierungen in der Regierungskoalition nicht mehr weiter behandelt wurde.

Gesetz vorerst gescheitert

Nachdem sich der Bundesrat mit dem Gesetzesentwurf umfassend beschäftigt hatte, legte er durch seinen Beschluss vom 18. September 2020 verschiedene fachliche Änderungsvorschläge vor (BR-Drucksache 440/20 [Beschluss]). Unter anderem wurde bemängelt, dass es sich bei den sogenannten denkbaren, verbandsbezogenen Pflichtverletzungen, die durch das geplante Gesetz strafrechtlich zu sanktionieren gewesen wären, um vergleichsweise geringfügige unerhebliche Tatvorwürfe handele, die eher im Bereich von geringfügigen Fahrlässigkeitsvorwürfen anzusiedeln seien. Da es sich um banale, alltägliche Pflichtverletzungen handele, seien Sanktionen aus strafrechtlicher Sicht nicht zielführend. Dies hätte zur Folge, dass sich auch die Strafverfolgungsbehörden mit den Verfahren befassen müssten, obgleich der Strafrechtscharakter bei den betreffenden Fällen sehr gering ausgeprägt gewesen wäre und daher personelle sowie fachliche Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden unnötigerweise in Anspruch genommen würden. Deswegen empfahl der Bundesrat, die im Entwurf vorgesehenen Einstellungsmöglichkeiten nach den §§ 35 ff. VerSanG zu erweitern, um mit Blick auf die Zukunft weitere mögliche Verfahrenseinstellungen ebenfalls gesetzlich zu regeln. So sollten beispielsweise die Strafverfolgungsbehörden von der Verfolgung eines Verbands nach pflichtgemäßem Ermessen absehen, wenn bei Begehung einer Verbandstat die Verantwortlichkeit des Verbands neben dem individuellen Verschulden nicht beträchtlich ins Gewicht falle, weil der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in der individuellen Verantwortung für die Verbandstat liege (BR-Drucksache 440/20 [Beschluss], Seite 5). Zudem forderte der Bundesrat wegen der Corona-Pandemie, den Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Zeit mit einer dreijährigen Übergangsfrist einzuräumen.

Wichtige Punkte im VerSanG

In § 1 des Gesetzesentwurfs (VerSanG-E) sind Verbände erfasst, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein muss. Erfasst sind also juristische Personen und Personengesellschaften des Zivilrechts sowie des öffentlichen Rechts, insbesondere die Aktiengesellschaft (AG), die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), die Europäische Aktiengesellschaft (SE), die GmbH und Unternehmergesellschaft (UG), die eingetragene Genossenschaft (eG), Vereine, Stiftungen, die Offene Handels- und Kommanditgesellschaft (OHG, KG), die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), Partnerschaftsgesellschaft und die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts (GbR). Bei öffentlich-rechtlichen Verbänden, die gemeinnützigen Zwecken dienen, soll das Gesetz nicht gelten. Für sie sollte weiterhin das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) einschlägig sein. Auch Einzelunternehmer sind vom bisherigen Gesetzesentwurf nicht erfasst.

Erneut auf der Agenda

Die Ampelkoalition hat die Neuregelung des Unternehmensstrafrechts abermals auf die politische Agenda gesetzt. Der Fokus liegt nun allerdings verstärkt auf Compliance-Maßnahmen und Regeln für interne Untersuchungen. Laut Koalitionsvertrag ist eine Reform des Unternehmensstrafrechts geplant, bei dem ehrliche Unternehmen vor rechtsuntreuen Mitbewerbern geschützt werden. Daher sollen die Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich ihrer Höhe so überarbeitet werden, dass für interne Untersuchungen ein präziser Rechtsrahmen entsteht, der mit Blick auf die Compliance-Pflichten für die Unternehmen Rechtssicherheit schafft. Wie genau dies jedoch ausgestaltet werden soll, ist weiterhin offen.

Überarbeitung bestehender Regeln denkbar

Der Wortlaut des neuen Koalitionsvertrags lässt darauf schließen, dass womöglich gar kein eigenständiges, neues Gesetz mehr geschaffen werden könnte, wie es im Gesetzesentwurf der vorherigen Legislaturperiode noch vorgesehen war. Denkbar ist, dass die bereits bestehenden Regelungen der Unternehmenssanktionen im OWiG, in der Strafprozessordnung (StPO) und weiteren Gesetzen lediglich angepasst beziehungsweise ergänzt werden. Zu diesem Zweck sollen offenbar erstmals Compliance-Pflichten definiert werden. Um die angestrebte Rechtssicherheit für die Unternehmen zu erhöhen, sollten die sehr guten Vorschläge aus der Praxis, die im Gesetzgebungsverfahren zum gescheiterten Verbandssanktionengesetz gemacht wurden, in jedem Fall wieder aufgegriffen werden. Konkret bedeutet dies, dass Vorschriften zu den notwendigen Compliance-Pflichten beziehungsweise neuen Compliance-Maßnahmen möglichst klar und nachvollziehbar ausgestaltet werden.

Corporate Defence privilegieren

Daher wird vielfach gefordert, dass Unternehmen, die bereits angemessene Compliance-Maßnahmen getroffen haben oder neu im Betrieb implementieren, deutlich weniger hart oder gar nicht bestraft werden, wenn es trotz der vorgenommenen Maßnahmen zu Verstößen durch deren Mitarbeiter kommen sollte. Im geplanten VerSanG der vorherigen Legislatur wurde nahezu ausschließlich auf eine abschreckende Wirkung durch staatlichen Verfolgungszwang gesetzt. Vorgesehen waren zum Teil drastische Strafandrohungen vor allem für große Unternehmen. Deshalb wäre es zu begrüßen, wenn nun positive Anreize für präventive Compliance-Maßnahmen gesetzt werden. Unternehmen, die in angemessener Form Compliance schaffen, sollten für Rechtsverstöße aus dem Unternehmen heraus gar nicht mehr sanktioniert werden. Mit anderen Worten: Für eine echte Corporate Defence im Unternehmen muss es eine Privilegierung geben.

Präziser Rechtsrahmen unabdingbar

Zwar gibt es bereits einen Rechtsrahmen für interne Untersuchungen, jedoch fehlen die gesetzlichen Anforderungen dafür, wie es sich künftig auf die Sanktionsbemessung auswirken würde, wenn das betroffene Unternehmen mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren sollte.

Zudem ist zu klären, wie die prozessuale Stellung von den Betrieben ausgestaltet wird, denen eine Unternehmenssanktion droht. Wie sollen die Schweigerechte von Organen und Mitarbeitern geregelt werden? Wie werden Beschlagnahmeverbote für Verteidigungsunterlagen zwischen Unternehmen und Verteidiger normiert, die natürlich auch die Dokumentation interner Untersuchungen umfassen müssen?

All das sind noch unbeantwortete Fragen, die in jedem Fall zu klären sind.

Fazit und Ausblick

Zu begrüßen ist jedenfalls, dass die Ampelkoalition das Unternehmensstrafrecht wieder auf der Agenda hat. Vieles deutet aber darauf hin, dass es gar kein neues, eigenständiges Gesetz geben wird, sondern lediglich bestehende Sanktionsvorschriften angepasst, ergänzt oder überarbeitet werden. Ob Deutschland jedoch mit einer bloßen Anpassung seiner Gesetze, wie etwa dem OWiG, der internationalen Kritik – unter anderem durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – begegnen kann, bleibt abzuwarten. Die internationalen Kritiker bemängeln schon lange, dass die Sanktionen von Unternehmen hierzulande weder effektiv noch abschreckend sind, weil keine echten Strafen drohen, sondern lediglich Ordnungsgelder. Wie schwer sich unsere Politik mit Compliance tut, sieht man nicht nur daran, dass das VerSanG aktuell wieder zurückgestellt wurde. Auch die Implementierung von Hinweisgebersystemen zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in der Praxis gestaltet sich aktuell – sanft ausgedrückt – mehr als schwierig.

Zu den Autoren

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg und Fachjournalist Recht sowie Redakteur beim DATEV magazin

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