Steuerbescheide - 27. Januar 2022

Fiktion des Zugangs aufgehoben

Gemäß § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung gilt ein Bescheid, der dem Steuerpflichtigen zugestellt wird, drei Tage nach Aufgabe zur Post als zugegangen. Auf diese Vorschrift werden sich die Finanzbehörden künftig wohl aber nicht mehr berufen können.

Dieser wohl faktisch ehemals in Stein gemeißelte Grund­satz des fiktiven Zugangs steht aufgrund eines gerichtli­chen Verfahrens für das Bundesland Rheinland-Pfalz inzwi­schen infrage. Jedenfalls dürfte für alle Finanzämter in die­sem Bundesland nun feststehen, dass die Aufgabe zur Post nicht nachweisbar ist und man sich seitens der Finanzbehör­den daher auch nicht mehr auf die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) berufen kann.

Ausgangsfall

Ein betroffener Steuerpflichtiger hatte vor dem Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz dagegen geklagt, dass das Finanzamt (FA) Mainz im Rahmen einer Entscheidung über seinen Ein­spruch erklärt hatte, dieses Rechtsmittel sei verspätet einge­legt worden. Das FA hatte das kurz und knapp damit begrün­det, das Datum der Postaufgabe sowie das Datum des Be­scheids würden in aller Regel übereinstimmen.

Erstinstanzliches Verfahren

Dieser Sachvortrag des FA erfolgte auch noch im finanzge­richtlichen Verfahren. Einzige zusätzliche Begründung hier­zu war nur noch, man würde das allgemein rechtsverbindli­che elektronisch-maschinelle Verfahren anwenden. Das FG Rheinland-Pfalz hat dieser Vortrag der Finanzbehörde über­zeugt und es hat mit der Begründung, dass dieses maschi­nell-elektronische Verfahren allgemein bekannt sei, die vom betroffenen Steuerpflichtigen erhobene Klage abgewiesen.

Nichtzulassungsbeschwerde

Der Steuerpflichtige legte daraufhin eine Nichtzulassungsbe­schwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) ein mit dem Erfolg, dass die Sache von dort an das FG Rheinland-Pfalz zurück­verwiesen wurde. Der BFH machte dem FG die Auflage, den Sachverhalt mit Blick auf den Zeitpunkt Aufgabe zur Post zu ermitteln. Im weiteren Verlauf kam es dann zu einem größe­ren Schriftsatzwechsel, in dessen Folge auch die vom FA Mainz benannten zwei Zeugen noch einmal explizit zum Sachverhalt gehört wurden.

Beweisaufnahme und rechtliche Würdigung

Das FG Rheinland-Pfalz kam nach gründlicher sowie umfang­reicher Beweisaufnahme sowie nach zudem kurzer Vorbera­tung mit der zuständigen Steuerbehörde dann jedoch zu der Auffassung, dass nicht davon auszugehen sei, dass das FA Mainz den Zeitpunkt Aufgabe zur Post tatsächlich darlegen oder sogar beweisen könne. Um im Weiteren eine unum­gängliche Entscheidung durch Urteil zu vermeiden, in dem diese Rechtsauffassung des FG Rheinland-Pfalz explizit be­gründet worden wäre, hat das FA Mainz sozusagen die Not­bremse gezogen und sich verpflichtet, einen Änderungsbe­scheid entsprechend dem Antrag des Steuerpflichtigen zu er­lassen.

Rechtsfolge

Der Ausgang dieses finanzgerichtlichen Verfahrens dürfte richtungsweisend sein. Im zugrunde liegenden Fall konnte das FA Mainz im Rahmen des Prozessvortrags seine Behaup­tungen nicht belegen. Der Nachweis, dass die Aufgabe des Schreibens an den Steuerpflichtigen zur Post mit dem Datum des Bescheids erfolgt sei, konnte jedenfalls nicht geführt werden. Da es sich bei elektronisch-maschinell erstellten Be­scheiden um ein standardisiertes Verfahren handelt, muss das Ergebnis in diesem Prozess auch für andere Steuerpflich­tige im Verhältnis zu ihren Steuerbehörden gelten.

Zum Autor

UG
Ulrich Germer

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Frankfurt/Main

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